Utopia
Regie: Sohrab Shahid Saless
Mit Manfred Zapatka
FSK freigegeben ab 12 Jahren, 187 Minuten
Auf DVD bei Filmjuwelen erschienen
Der Horror einer Außenseiterwelt
08:55 Minuten
Weltbürger des Kinos wurde der Regisseur Sohrab Shahid Saless genannt. Der Iraner drehte in mehreren Ländern, sein Werk ist verstreut. Der Film "Utopia", ein Rotlichtdrama aus dem unwirtlichen West-Berlin der 80er-Jahre, ist als DVD erschienen.
Der Filmemacher Sohrab Shahid Saless (1944–1998) war ein Weltbürger des Kinos, dessen Werk sich über mehrere Länder verteilt: Nachdem er im Iran keine Filme mehr machen konnte, drehte er sie in Deutschland. Obwohl er in Deutschland eine ganze Reihe von Kino- und Fernsehfilmen drehte, blieb er doch ein Außenseiter. Nach vielen Jahren in Deutschland zog er in die USA, wo er verarmt gestorben ist.
Die Transkulturalität des Werks von Saless erschwert die Archivierung, weil die Filme über Länder- und Sendergrenzen hinweg verteilt sind. Nun ist mit "Utopia" ein Klassiker von 1982 auf DVD erschienen: drei Stunden Innenleben, Szenen aus einem Wohnungsbordell als Fragen der Macht.
Der Film beginnt damit, dass Heinz, ein Berliner Zuhälter, gespielt von Manfred Zapatka, in einer Berliner Altbauwohnung ein Bordell einrichtet. Der Rest des Films spielt nahezu ausschließlich dort: Fünf Frauen arbeiten für Heinz in den Räumen, zum Teil schlafen sie auch da.
Später im Film gibt es durchaus dramatische Entwicklungen, aber zunächst ist da erst einmal viel tote Zeit. Deutlich öfter als mit Freiern sieht man die Frauen in den Gemeinschaftsräumen: Wie sie gelangweilt herumsitzen, sich über Gott und die Welt unterhalten oder immer wieder von Heinz "zur Sau" gemacht werden.
Gnadenlose Ausbeutung
"Utopia" ist kein Film über Sexarbeit. Worum es vor allem geht, ist das Verhältnis zwischen den Frauen und Heinz. Ein Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnis, das einerseits gnadenlos ist, das sich aber andererseits im Lauf des Films durchaus verändert.
Was den Film zu einem einmaligen Erlebnis macht, ist vor allem die Konzentration auf diesen einen speziellen Ort. Es ist ein Film, nach dessen Ende man das Bedürfnis hat, sich zu vergewissern, dass die vermeintlich echte Welt um einen herum tatsächlich noch existiert.
Terror der Form
Man kann "Utopia" durchaus als einen Horrorfilm beschreiben. Wichtig ist dabei allerdings, dass der Schrecken weniger damit zu tun hat, was Saless zeigt, als damit, wie er es tut. Es ist ein Terror der Form. Was den Film so eindrücklich macht, sind Wiederholungsstrukturen, die die Rituale des Bordelllebens betreffen, aber auch die distanziert-kaltblütige Kameraarbeit.
"Utopia", der letzte große Kinofilm von Saless, zeigt eine Außenseiterwelt, eine Art Gegenwelt, die sich inmitten von Deutschland etabliert. Das Bild von Deutschland, das dabei gezeichnet wird, bleibt ein kaltes, unwirtliches. Das betrifft nicht nur die Isolation der Frauen und die tristen Einkaufsstraßen, auf die sie blicken, sondern betrifft die Sprache.
In Manfred Zapatkas herrischer, überkontrollierter Stimme zum Beispiel, in der in jedem Wort und in jeder Sprechpause eine Gewaltdrohung mitschwingt, überlebt sehr deutlich eine nationalsozialistische Prägung.
Keine Solidarität, kein Ausweg
Insgesamt ist "Utopia" aber vermutlich weniger ein Film über Deutschland als einer über den Kapitalismus. Darüber, wie Verdinglichung von allem und eben auch von Sexualität das Leben aus der Welt saugt, wie es menschliche Beziehungen zerstört. Etwa wenn die Hoffnung auf eine Sonderrolle wieder und wieder die Solidarität zwischen den Frauen verhindert.
Das eigentlich Erschreckende ist allerdings, dass Saless keinen Ausweg anbietet. Das bessere Leben, von dem die Frauen träumen, ist Teil des Problems. Saless sieht es nicht als Aufgabe des Kinos, zu trösten oder Systemalternativen anzubieten. Das mag sich erst einmal sehr finster anhören. Man könnte das aber auch so verstehen, dass das Utopia des Titels nur außerhalb des Kinos entstehen kann.
(nho)