Film "Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt"
Das Bayreuther Festspielhaus zieht jedes Jahr viele Besucher an. © picture alliance / Alexander Schuhman
Wohl dosierte Respektlosigkeit
06:08 Minuten
Wagner-Kenner Axel Brüggemann bietet in seiner Doku einen Blick hinter die Kulissen der Bayreuther Festspiele und will auf einen Schlag auch noch den Wagner-Kult dekonstruieren. Das ist zu viel gewollt für einen Film, der sich aber dennoch lohnt.
Es ist ein Kuriosum – das Erbe Richard Wagners und Bayreuth, in dem man sich Sommer für Sommer schwitzend und fechelnd dem Opernwerk des Komponisten hingibt. Der Journalist und Wagner-Kenner Axel Brüggemann bringt nun einen Dokumentarfilm über den Wagner-Mythos in der fränkischen Mittelstadt in die Kinos. "Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt" zeigt die Menschen, die diesen Mythos in der ganzen Welt zelebrieren.
Um Brüggemanns filmisches Vorhaben zu beschreiben, muss man wahrscheinlich mit dem Metzgerehepaar Rauch beginnen: In ihrem Familienbetrieb versorgen die Rauchs das gemeine Bayreuth mit Aufschnitt, im Sommer vermieten sie Zimmer an Festspielmitarbeiter – und präsentieren im Film auf der heimischen Eckbank eine ebenso handfeste wie poetische Beziehung zu ihrem Wagner.
"Wie die Musik ankommt, wissen Sie, die kommt so wie… wie ein Wasser angeflossen und sie erholt sich immer wieder…", erklärt der Mann.
"Die erholt sich ned…"
"Und kommt immer wieder, und baut sich die Musik dann einfach nach oben auf. Ich meine, der…
"Hör auf, hör auf…"
Richard Wagner und Wurst
Brüggemann stellt solche Originale einem großen Wagner-Kenner wie dem US-Kritiker Alex Ross gegenüber, um dem Mythos Bayreuth näher zu kommen: Und er tut das mit wohldosierter Respektlosigkeit. Mehr als einmal in diesem Dokumentarfilm gerät Wurst ins Bild als eine Art kulinarischer Orgelpunkt des Fränkischen. Der Grundtenor: Wer Wagner liebt, darf sich vor dem Deutschen nicht ekeln.
"In Salzburg wohnen Sie im Blattgold und im Fränkischen, in Bayreuth, wohnen Sie in furnierter Eiche – so ist das halt, ne?", sagt Filmemacher Brüggemann. Der Wagner-Glanz soll dem Profanen standhalten, das Brüggemann überall mit neckischem Kamerafokus zu entblößen sucht.
Egal, ob das biedere Bayreuth oder die Wagnerianerinnen und Wagnerianer, die der Regisseur auf der ganzen Welt besucht – meistens gibt es da eine arrivierte Schrulligkeit bei dem oft ergrauten Wagner-Fan – sei es der ehemalige Ministerpräsident Lettlands, der als Präsident der örtlichen Wagner-Gesellschaft im gealterten Anzug durch das baufällige Wagner-Konzerthaus führt; oder sei es der japanische Geschäftsmann, der den vierstündigen Parsifal für eine Kindervorstellung in Tokyo auf eine Stunde eindampfte, um damit der Aufmerksamkeitsspanne der Smartphone-Generation gerecht zu werden.
Warum lieben Juden, Christen und Moslems Wagner?
Axel Brüggemann formuliert seine Leitfragen durch den Film so: "Wir wissen, Wagner war ein sehr unsympathischer Mensch, Wagner war ein Antisemit, Wagner will uns betören und berauschen. Warum lassen wir das mit uns geschehen von so einem Typen? Warum lieben Juden, Christen und Moslems Wagner?"
Es ist wirklich faszinierend, wohin Brüggemanns Film überall hinreist – in die New Yorker Vorstadt, wo Laien den ersten, rein mit Schwarzen besetzten Ring vor einer Kirche aufführten, ins Emirat Abu Dhabi, nach Tel Aviv und so weiter.
Gerade die Beziehung von Juden zu Wagner ist schwierig: Wagner hatte Juden in einem Aufsatz eine musikalische Unfähigkeit attestiert und damit einen wichtigen kulturpolitischen Grundpfeiler des Nationalsozialismus gesetzt.
Diesen Antisemitismus diskutiert Brüggemanns Film ausführlich – mit dem israelischen Rechtsanwalt und Wagner-Fan Jonathan Livny, Sohn emigrierter Juden, der bis heute gegen die Widerstände in seiner Heimat kämpft; und auch mit den US-amerikanischen Regisseuren Yuval Sharon und Barrie Kosky, die sich am Wagner-Werk abarbeiten.
Erklären und Dekonstruieren
Dazwischen besucht Brüggemann unnützerweise den Grünen Hügel im Winter, um den Nachtwächter des Opernhauses zu besuchen. Der setze ganz andere Prioritäten: "Für den ist der wichtigste Raum des Festspielhauses der Heizraum. Weil da kann es brennen."
Eine Art Gralshüter des Bayreuther Winterschlafs. Nette Idee. Doch in diesem Anspruch, Wagner sowohl zu dekonstruieren als auch komplett zu erklären, droht die Doku dann in eine schlichte Fernsehreportage zu kippen.
Für eine einzige große Geschichte und damit zu einem großen Dokumentarfilm hätte es bei "Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt" einfach mehr Konzentration auf weniger Menschen bedurft.
Erstmals ein Kamera-Team im Orchestergraben
Doch der Film lohnt sich trotzdem: Zum ersten Mal bekam ein Kamera-Team Einblick in den sogenannten mystischen Abgrund: den stickigen Orchestergraben, der in Bayreuth unter der Bühne liegt. Hier steht Christian Thielemann kurzärmlig vor seinem schwitzenden Orchester. "Kurze Streicher, sonst ist es ganz gut. Und auch da noch sparen. Drei, vier…", zählt der Dirigent.
Die im Film zu hörende, fast brutale Dominanz der Blechbläser in der Probe – sie ist im Orchestergraben nötig, damit oben im Saal die Tonmischung stimmt. Per Telefon gibt ein Assistent Anweisungen nach unten.
"Wer hier das erste Mal in dem Graben dirigiert und diese Klangmassen mitkriegt, die einen hier fast erschlagen, und wer weiß, wie wenig man da von oben hört – da brauche ich Leute, denen ich vertraue. Ich müsste eigentlich mein Ohr abschrauben und müsste es oben reinlegen, aber das geht ja nicht." Daher der Assistent.
Thielemann am Telefon
Und es ist ein großes Vergnügen, Thielemann im Film dabei zuzusehen, wie er die Lautstärke der Instrumentengruppen mittels Telefonhörer und seiner Mimik tuned – ein echter Moment. Hier kommt der Wagnersche Wahnsinn in seiner sinnlichen Dimension zur vollen Entfaltung.