Programmtipp: Über die Preisträger sprechen wir um 23:10 Uhr in unserer Sendung Fazit - Kultur vom Tage
Schweiger hat "mit vielen Dingen Recht behalten"
Bei der Verleihung des 65. Deutschen Filmpreises wird Til Schweiger erstmals mit dem undotierten Preis für den besucherstärksten Film prämiert. Er mache als Regisseur vielen das Arbeiten möglich, betont die Schauspielerin Iris Berben, Präsidentin der Filmakademie. Heute Abend werden in Berlin die Lolas verliehen. "Victoria" geht als Favorit ins Rennen.
Vor der Verleihung des Deutschen Filmpreises "Lola" sagte Berben im Deutschlandradio Kultur, die 1600 Mitglieder der Filmakademie würden immer wieder gebeten, bei ihren Entscheidungen auch Verdienste der Filmwirtschaft zu bedenken. Es stelle sich die Frage, ob man nicht auch mal einen Film auszeichne, der ein riesengroßer Publikumserfolg sei, sagte Berben. Dies werde diskutiert, aber die Meinungen gingen sehr auseinander.
Debatte an der Filmakademie
"Gerade ein Til Schweiger ist jemand, der macht vielen von uns das Arbeiten möglich"; sagte die Schauspielerin mit Blick auf die staatliche Filmförderung. "Viele Arthaus-Filme entstehen, weil Til unter anderem seine Gelder zurückzahlen kann." Es sei aber auch verständlich, dass viele Mitglieder der Akademie etwas außergewöhnliches und eine andere Form von Mut auszeichnen wollten. "Wobei ich sagen muss, ich finde Til Schweiger hat viel Mut", sagte Berben. "Er steckt viel Geld da rein und er hat mit vielen Dingen Recht behalten." Deshalb sehe sie das differenzierter als andere Mitglieder der Akademie. "Aber es wird diskutiert bei uns."
Nana Brink: Wer hat Chancen auf eine Lola? Heute Abend werden im Berliner Palais am Funkturm die Lolas vergeben, die Preise für die besten deutschen Filme. Sie sind die höchstdotierten Preise überhaupt in Deutschland im Bereich Kunst. Allein der Beste sackt eine halbe Million ein. Insgesamt sind es fast drei Millionen. Und mit sieben Nominierungen gehen der Echtzeit-Thriller "Victoria" und das Drama "Elser – er hätte die Welt verändert" über das Hitler-Attentat als Favoriten ins Rennen um den 65. Deutschen Filmpreis. Und natürlich gibt es ein großes Schaulaufen der Filmindustrie auf dem roten Teppich. Jan-Josef Liefers moderiert ja die Verleihung. Und als Präsidentin der Deutschen Filmakademie, die den Preis vergibt, sitzt auch Iris Berben in der ersten Reihe und ist jetzt bei uns. Ich grüße Sie!
Iris Berben: Einen schönen guten Tag!
Brink: Wenn sich die Filmbranche heute Abend, wie man so oft hört, selbst feiert, was feiert sie denn?
Berben: Sie feiert ein Jahr unterschiedlichster Filme, sie feiert sicherlich auch eine große Ernsthaftigkeit. Wir haben ein paar Filme dabei, die sich doch auch sehr besonders mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen, was immer spannend ist, weil es eine junge Generation ist, die gerade am Start ist. Es ist ein Dankeschön, es ist aber auch immer eine Form von Aufmerksamkeit, die wir natürlich auch haben wollen, weil ich bin angetreten vor fünf Jahren als Präsidentin, weil ich mir vorgenommen habe, was immer mir möglich ist, Menschen zu begeistern für den deutschen Film. Das werde ich in allen möglichen Formen machen, wie ich es hier gerade eben jetzt auch wieder mache.
Brink: Ich hake noch mal ein, weil Sie sagten, man feiert sich auch selbst. Wenn wir ein bisschen Namedropping machen – was sind denn die tollsten Namen, die Sie unbedingt dabei haben wollten?
Berben: Also Frederik Lau, finde ich, ist schon jemand, der sich jetzt über die letzten Jahre in seiner Kraft, die er ausstrahlt, in seiner Eigenwilligkeit auch – ich hatte das Glück, einen seiner aller-, allerersten Filme mit ihm zu machen, damals, "Der Mauerbau, '61" (genauer Titel "Die Mauer – Berlin '61" – Anmerkung der Redaktion) hieß das, und da ist er mir wirklich als ein Junge, ein zwölfjähriger Junge sehr aufgefallen schon. Ich würde mich natürlich freuen über – Hanno Koffler ist da, der in dem Film "Härte" ... Und es gibt ein paar andere Filme. Aber es fällt einem eh schwer. Die Laia Costa, die ist ganz besonders, auch in dem "Victoria" ist sie mir aufgefallen. Meret Becker, Nina Kunzendorf, auch alles Kolleginnen, mit denen man gerne dreht, weil sie eben auch so unsere Arbeit, unseren Beruf, unsere Leidenschaft auf dieselbe Weise definieren, wie ich es auch mache oder wie es sicherlich die Leute machen, die diesen Beruf mit Haut und Haaren zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben.
Brink: Nun haben Sie eingangs gesagt, das fand ich sehr interessant, dass da die junge Generation, eine engagierte junge Generation am Start ist. Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die ja heute auch da sein wird, hat kürzlich in einem Interview die Mutlosigkeit der deutschen Filmemacher beklagt. Jetzt gab es ja gerade Fassbinder-Geburtstag auf allen Kanälen – vermissen Sie einen Fassbinder unter den Jungen?
Früher konnte man mehr ausprobieren
Berben: Die Mutlosigkeit ist nicht – die wird angesprochen, die wird auch mit Recht angesprochen, aber es ist gar nicht mal unbedingt nur bei den jungen Leuten so, sondern wir werden häufig natürlich auch schon in die Schranken gewiesen, wann immer jemand etwas Außergewöhnliches machen möchte. Und da ist Fassbinder in einer anderen Zeit groß geworden. In der Zeit bin ich auch groß geworden. Die Spielwiese war breiter, größer. Du konntest mehr ausprobieren, du musstest nicht auf diesen Druck des Erfolges und auf diese ungeheure Beobachtung, der wir alle ausgesetzt sind, auch gerade, wenn junge Leute anfangen oder ihren ersten kleinen oder größeren Erfolg haben. Der Druck wird dir oft von außen gegeben. Es wird dir dann auch die Experimentierfreude oder der Wahnsinn, den man auch braucht für manche Ideen, die dann vielleicht erstmal ganz weit in eine Richtung gehen. Aber trotzdem, sie werden uns zu früh – werden uns die Flügel gestutzt.
Brink: Publikumsrenner waren ja auch in diesem Jahr, wenn wir das Thema ein bisschen weiter verfolgen, die berühmten Schweiger-Schweighöfer-Komödien – also Til Schweiger wird ja bestimmt einen Preis für "Honig im Kopf" bekommen ...
Berben: Er bekommt ihn als besucherstärksten Film ...
Brink: ... genau, als Publikumsrenner. Da fragt man sich ja immer, warum taugen solche Komödien dann nicht für so normale Preiskategorien, wie zum Beispiel bester Film oder bestes Drehbuch?
Berben: Ja, das ist in der Tat etwas, was ja viel diskutiert wird, immer wieder neu diskutiert wird. Da sind dann 1.600 Mitglieder, die auch von uns immer wieder gebeten werden, vielleicht nicht auch nur ihre ganz eigene, manchmal etwas enge Sicht auf etwas, oder was ihnen persönlich jetzt ganz besonders, sondern vielleicht auch mal als Filmwirtschaft, um das mal so auszudrücken, aber dass wir die unterschiedlichsten Filme machen. Und sollte man nicht auch und kann man nicht auch einen Film auszeichnen, der einfach ein riesengroßer Publikumserfolg ist? Aber da gehen die Meinungen, wir merken das, wir diskutieren es, wir bitten immer wieder – gerade auch ein Til Schweiger zum Beispiel ist jemand, der macht vielen von uns das Arbeiten möglich. Viele Arthouse-Filme entstehen, weil Til unter anderem seine Gelder zurückzahlen kann. Also, es ist ja immer ein Geben und Nehmen auch. Aber es ist auf der anderen Seite auch verständlich, dass viele der Mitglieder wollen etwas Außergewöhnliches auszeichnen. Sie wollen eine andere Form von, wie sie es nennen, Mut, wobei ich sagen muss, ich finde, Til Schweiger hat viel Mut, er steckt viel Geld da rein. Und er hat mit vielen Dingen Recht behalten. Also ich sehe das ein bisschen differenzierter, aber es wird diskutiert bei uns, das kann ich Ihnen versprechen.
Brink: Es ist ja auch interessanterweise wahrscheinlich auch eine sehr deutsche Diskussion. Wir loben auch gerade wieder den deutschen Film. Aber wenn wir dann nach Cannes gucken, dann wird ja immer wieder auf den deutschen Film eingeschlagen, weil wieder mal keiner nach Cannes eingeladen worden ist. Wo hakt es denn dann beim deutschen Film, dass der international da so nicht mithalten kann. Oder vielleicht mit jemandem wie Schweighöfer mithalten könnte mit diesen Komödien?
Berben: Tja, ich weiß es nicht. Wir machen natürlich sehr viele Filme für so ein kleines Land. Das müssen wir auch wissen. Da gibt es ja auch die Diskussion immer, haben wir nicht zu viele Filme? Auf der anderen Seite: Nur durch die Vielfalt dieser Filme hast du natürlich auch die Möglichkeit, dann doch auch die Pflanzen zu entdecken, die man entweder weiter gießen muss oder die schon so weit hochgewachsen sind, dass man sagt, ja, da muss man jetzt die Augen drauf lenken. Was uns immer ein bisschen, sagen wir mal, in den Hintergrund drücken wird, ist die Sprache. Die englische Sprache ist einfach eine Filmsprache, die dann für die Leute auch interessanter ist natürlich. Du kannst anders verkaufen, du kannst anders – viele mögen das Synchronisierte nicht, wenige haben Lust, in Untertitel zu gehen. Also, es spielt vieles eine Rolle, denke ich.
Brink: Aber ich wage jetzt noch mal eine kühne These: Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, das meinen ja auch viele Kritiker, dass es zu viele Fördergelder gibt. Also man muss sich nicht mehr anstrengen, es gibt zu viel Mittelmäßigkeit.
Berben: Ja ...
Brink: Sie kriegen ja viele Drehbücher in die Hand, Sie sind nicht nur Präsidentin der Jury, sondern auch Schauspielerin. Wie glücklich sind Sie denn mit diesen angebotenen Büchern?
Berben: Ich meine, wenn wir keine Förderung hätten, sähe es schlecht um den Film aus, aber das ist ja genau die Diskussion, die wir führen gerade. Sie haben ganz genau recht: Man muss sich nicht unbedingt weiter anstrengen, man kann dann den nächsten Film machen, auch wenn der gerade eben gefloppt ist. Das ist in vielen Ländern anders. Und da bin ich absolut auch der Meinung, und ich weiß auch, da sind wir auf dem Weg, diese Diskussion findet ja auch immer breiter statt, dass wir über die Fördermodelle nachdenken müssen und über die Möglichkeiten, wie gefördert wird. Und, Sie haben recht, ja, klar, wie viele Bücher gibt man auch zurück, weil man sagt, das ist ein schöner Fernsehfilm, aber kein Kinofilm.
Brink: Wie viele geben Sie denn zurück?
Berben: Ja, das – ich muss jetzt auch mal wirklich sagen, ich habe natürlich auch das Glück, zu sagen, ich kann wirklich ganz frei entscheiden. Das können viele Kollegen nicht. Viele meiner Kollegen haben nicht einmal die Möglichkeit, ihre Miete zu zahlen. Das muss man auch wissen. Auch da hakt es ja. Wir haben einfach auch zu viele Schauspieler, wenn man das will, oder zu viele Schauspieler, die wenig arbeiten können und davon auch gar nicht leben können und sicherlich da die größeren Kompromisse machen, dadurch auch wieder Filme entstehen. Ich kann es mir vielleicht ein bisschen leichter erlauben, zu sagen, Kinder, das ist ein schönes Buch, aber es ist kein Kinofilm. Uns fehlen oft die Kinobilder auch, denke ich, die Größe der Kinobilder, das zu wagen, was irgendwo auch verstört oder, ich weiß es nicht, zu einer Diskussion führt oder erschlägt oder – ja, davon brauchen wir mehr.
Brink: Sie haben einer großen Boulevardzeitung verraten, dass Sie immer noch aufgeregt sind bei solchen Veranstaltungen. Ist das auch heute so?
Keine Lust auf Abgebrühtheit
Berben: Ja, natürlich. Also ich merke ja, dass Aufregung und auch Zweifel sind ein ganz guter Motor eigentlich. Ich möchte diese Abgebrühtheit irgendwie nicht haben. Und es ist auch eine Live-Sendung, und es sind die Kollegen, und es geht ums Bestehen, es geht auch ums Geliebtwerden – ja, das ist, irgendwo spielt das ja alles eine kleine Rolle. Man möchte der Sache gegenüber sachlich und gut bleiben und trotzdem seinen Witz und seine Leichtigkeit nicht verlieren, und – ach ja.
Brink: Ich kann mir überhaupt gar nicht vorstellen, dass man Ihnen etwas anmerken wird heute Abend.
Berben: Ich versuche es mal in meiner schauspielerischen Qualität vielleicht zu verbergen.
Brink: Iris Berben, die Präsidentin der Deutschen Filmakademie. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet, und der Deutsche Filmpreis, den gibt es heute natürlich auch im Fernsehen, zeitversetzt im ZDF ab 22:45 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.