Filme der Woche: "Anomalisa"

Ein seltenes Juwel

Die beiden US-Regisseure Charlie Kaufman und Duke Johnson
Die beiden US-Regisseure Charlie Kaufman und Duke Johnson © dpa / picture alliance / Andrea Merola
Von Patrick Wellinski |
Unser Filmkritiker ist hellauf begeistert von "Anomalisa": Ein wunderbar trauriger Animationsfilm für Erwachsene, ausdrucksstark und erfinderisch, meint er - das Beste, was es momentan im Kino zu sehen gibt.
Ein animierter Puppenfilm für Erwachsene ist derzeit das Beste, was man im Kino sehen kann: Zärtlich, melancholisch, voller Lebensklugheit ist "Anomalisa" des Querdenkers Charlie Kaufman und des jungen Animationsgenies Duke Johnson.
Im Mittelpunkt des Films steht Michael Stone, ein Brite, der in den Vereinigten Staaten zum Service-Center-Guru aufgestiegen ist. Er hat ein Buch darüber geschrieben, wie man am besten mit Kunden umzugehen hat. Doch der Erfolg ödet ihn an. Seine Ehe ist eingeschlafen, Michael Stone ist in der Midlife-Crisis.
Dementsprechend träge verläuft eine Dienstreise ins verschlafene Cincinnati, wo er einen Vortrag halten soll und eine Nacht in einem anonymen Hotel verbringt. Die Welt ist so trist um Michael Stone, dass alle Menschen gleich aussehen und mit der gleichen Stimme sprechen. Doch da trifft er Lisa. Sie ist anders. Sie spricht mit einer eigenen Stimme.
Sensible Annäherung an das Leben
Mit ihr verbringt Stone eine Nacht und den darauffolgenden Morgen, währenddessen sprechen die beiden über die großen und kleinen Dinge des Lebens, über Ängste und verpasste Chancen. Mehr passiert nicht. Genau in dieser stillen Zurückhaltung liegt die Kraft dieses großartigen Films. Die Erzählökonomie erinnert an die lange Tradition amerikanischer Short Stories, erinnert an Geschichten von John Updike oder Lydia Davis.
Diese emotionale Zugänglichkeit konterkarieren die Stop-Motion-Animation von Duke Johnsen, dessen Einfallsreichtum nicht zu bremsen ist. Denn die Menschenpuppen sehen nicht ganz wie Menschen aus. Die Münder sind seltsam angeschnitten als würde immer ein Teil fehlen. Das alles erzeugt eine tieftraurige Welt der Einsamkeit und Antriebslosigkeit, die Michael Stones Inneres nach Aussen kehrt. Ausdrucksstark, dynamisch und erfinderisch ist dieser Film, der im Kern eine sensible Annäherung an das Leben sein möchte und darin komplett aufgeht. Im Kino sind solch kleine Juwelen wie "Anomalisa" selten geworden. So selten, dass man sie sofort erkennt, wenn man sie zu sehen bekommt.

Anomalisa
Animationsfilm USA 2015, 90 Minuten
Regie: Duke Johnson und Charlie Kaufman
Sprecher: Jennifer Jason Leigh, David Thwelis, Tom Noonan

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