Filme über die Globalisierungskrise

Von Robert Brammer |
Die weltweite Finanzkrise hat fast alle unsere Gewissheiten praktisch über Nacht auf den Kopf gestellt. Die überall spürbare Krise der Globalisierung spiegelt sich auch im Programm der Berliner Filmfestspiele wider - vor allem in der Sektion des Panoramas. Mit dabei sind auch zwei Berlinale-Gewinner: Jose Padilha, der im letzen Jahr für ’ Tropa de Elita’ den Goldenen Bären erhielt und Michael Winterbottom, der 2004 für den besten Film ausgezeichnet worden ist.
Filme dauern 90 Minuten - aber in 90 Minuten kann man nicht die Welt retten. Mit dieser kinematografischen Weisheit endet der phänomenale Undercover- Dokumentarfilm: "The Yes Men Fix the World".
Die "Yes Men", das sind die Globalisierungsaktivisten und Schauspieler Andy Bichlbaum und Mike Bonano. Sie agieren als komödiantische und subversive Helden in der Welt der Big Players. Und oft erzählen sie komplett absurde Geschichten. Aber immer überzeugend und mit umwerfendem Ernst.

Gleich zu Beginn des Films tarnt sich Bichlbaum als vermeintlicher Sprecher von DOW Chemicals. In BBC World, einer weltweit ausgestrahlten Fernsehnachrichtensendung mit einem Publikum von über 300 Millionen Menschen gibt er ein Interview. Es geht um den Jahrestag des Giftgasunglücks im indischen Bhopal. Der eingeschmuggelte Schauspieler schafft es in Minutenschnelle zur Breaking News: Dow accept full responsbility.

BBC: "”This is no small matters. This is the first time in history, that a publicity owned company of any thing over the side of DOW has performed an action, which is significantly against ist bottom line - simply because it is the right thing to do.”"

1984 waren in Bhopal über 8000 Menschen an den Folgen des weltgrößten Chemie-Unfalls gestorben. Weitere 100.000 sind auf lebenslange Betreuung angewiesen. Durch die Aktion der Yes-Men haben sie zumindest für einen Moment wieder etwas Aufmerksamkeit erhalten. Für Dow Chemicals dagegen war der Auftritt der Yes-Men im BBC Fernsehen ein reiner Alptraum.


"”Wealth, money, privatisation, individual freedom, free markets, ownership, capitalism an freedom, wealth and prosperity. Hallelujah. We are getting a message.""

Ronald Reagan und Milton Friedman und alle ihre Epigonen verkünden in ‘The Yes Men fixe the World’ noch einmal ihr Glaubensbekenntnis: Freiheit, Wohlstand, Liberalisierung, globalisierte Märkte, Deregulierung. Aus diesen Wortbausteinen wird ein Weltbild gezimmert, ein Weltbild mit den immer gleichen Zutaten.

Um dieses Weltbild zu erschüttern sind die Yes Men überall unterwegs: bei der WTO, bei McDonald’s oder beim weltgrößten Erdölkonzern Exxon.

"The Yes Men fix the World” - ein modernes Märchen. Am Filmende: Fernsehbilder zeigen kurz den Wahlsieg von Obama. Eine leise Hoffnung. Mehr nicht. Denn die Exxon und Dow Manager und all die anderen Vertreter des Marktliberalismus, sie sind nicht abgewählt worden.

Garapa heißt der Dokumentarfilm von Jose Padilha, der 2008 auf der Berlinale mit "Tropa de Elita" den Goldenen Bären gewann. Gararpa, das bedeutet Zuckerwasser. Wasser, mit Zucker erhitzt, das bekommen die unterernährten Kinder, weil sich ihre Eltern keine Milch leisten können.

Statistiken der Vereinten Nationen besagen, dass mehr als 910 Millionen Menschen auf dieser Welt hungern müssen. Fast jeder sechste. Gewöhnlich aber, so Regisseur Padilha, reden wir über Hunger nur aus einer übergeordneten Perspektive.

"Menschen reden über die ökonomischen Gründe von Hunger, über die ökologischen oder die geografischen oder die klimatischen Ursachen von Hunger. Das ist auch sehr wichtig, aber es berührt uns nicht wirklich. Das alles zeigt uns nicht wirklich, was Hunger bedeutet. Das ist alles sehr intellektuell. Aber nicht emotional."

Um wirklich verstehen zu können, was Hunger für den einzelnen Menschen bedeutet, muss man, so Padilha, eine Weile mit den hungernden Menschen zusammengelebt haben.

Sein Film schildert in bewegenden Schwarz-Weiß-Sequenzen, die an den Fotografen Sebastiao Salgado erinnern, den Alltag von drei brasilianischen Familien, die kaum eine Chance haben, ihren tagtäglichen Kampf gegen die Mangelernährung zu gewinnen. Den ganzen Film über ernähren sich die Kinder von diesem schrecklichen Zuckerwasser und daraus entstehen nur schwer erträgliche Bilder. Das weiß auch der Regisseur:
"Garapa ist ein schwieriger Film. Ein Film, der zu zeigen versucht, was wir nicht sehen möchten. Das ist der Ausgangspunkt meiner Überlegungen gewesen. Ich wollte einen Film machen über etwas, was wir gerne ausklammern. Wir werden also abwarten müssen, ob das funktioniert."

Auch "Die Schock-Strategie" handelt von der Krise der Globalisierung. Der britische Regisseur Michael Winterbottom versucht in seinem neuen Film den gleichnamigen Bestseller der kanadischen Globalisierungskritikerin Naomi Klein zu bebildern.

Klein beschreibt darin, wie der Siegeszug einer ungezügelten Marktwirtschaft in den letzten 40 Jahren immer auch auf extremer Gewalt und auf Katastrophen beruhte: Chile und Argentinien in der Ära der Militärdiktaturen, Russland nach dem Zusammenbruch des Kommunismus oder der Irak und Afghanistan nach der amerikanischen Militär-Invasion. Immer dann, wenn die Menschen gelähmt sind von Kriegen und von Katastrophen, werden sie, so die kanadische Autorin, einer weiteren, diesmal einer ökonomischen Schock-Behandlung ausgeliefert.

Michael Winterbottom verfilmt Naomi Klein, aber die Bilder, die er dafür findet, gehen nur selten über das Buch hinaus. Holzschnittartig vereinfachte Argumente, eingewickelt in einem bunten Bilderteppich: Winterbottoms "Schockstrategie" wirkt seltsam antiquiert und rückwärtsgewandt - nicht nur wegen der vielen Archivaufnahmen.

Und so überrascht es dann auch fast schon nicht mehr, dass der Film eine sehr aktuelle und wirklich naheliegende Frage erst gar nicht stellt, die wirklich beunruhigende Frage nämlich, ob sich die Welt unter dem Eindruck der internationalen Finanzkrise nicht selber in einer globalen Schock-Starre befindet. Könnte es vielleicht sein, dass der für gescheitert erklärte Neoliberalismus auch den Staat mit in den Strudel der globalen Krise hineinreißt? Und dass wir am Ende in einer Welt leben, die aus den Fugen geraten ist - und nichts und niemand mehr da ist, der sie wieder ins Lot bringen könnte?