"One to free" - die Ausstellung mit Filmen des syrischen Regisseurs Ammar al-Beik ist bis zum 5. Mai 2019 im Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf zu sehen. Geöffnet ist dort täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr.
Ein künstlerischer Ex-Künstler
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Der Regisseur Ammar al-Beik ist im Nahen Osten für seine Experimentalfilme bekannt. In seiner Heimat Syrien fühlte sich der preisgekrönte Filmemacher nicht mehr sicher, inzwischen lebt er in Berlin. Das Haus am Waldsee widmet ihm nun eine Ausstellung.
Langsam drehen sich die Wasserräder der Getreidemühle wie überdimensionierte Filmrollen im Projektor. Die Müller laufen barfuß über den mehlbestäubten Boden. Einer macht Siesta auf einem Berg von weichen, weißen Säcken. Licht fällt durch eine Öffnung im Dach. Mit dem Kurzfilm "Light Harvest" - Lichternte aus dem Jahr 1996 hat alles angefangen, erklärt Ammar al-Beik in seiner multimedialen Ausstellung "One to free" im Berliner Haus am Waldsee.
"Es gibt mir Energie, denn das ist mein Ort, das alte Damaskus, seine Geräusche, seine Gerüche. Das war mein erster Film. Als ich zur Schule gegangen bin, habe ich diese Arbeiter jeden Tag beobachtet. Ich bin immer glücklich, wenn ich diesen Film sehe. Ich habe sie gesehen, als ich klein war. Und jetzt rede ich über sie. Da schließt sich der Kreis."
Zehn Jahre arbeitete der Künstler in einem armenischen Fotogeschäft in Damaskus, das darauf spezialisiert war, Kameras zu reparieren. Ammar al-Beiks Filme stemmen sich gegen das Vergehen. In einem aufgelassenen Zugdepot beobachtet er die abgewickelten Mechaniker. Er spricht mit seiner Mutter kurz vor ihrem Tod. Er dokumentiert die Arbeit des italienischen Priesters Paolo Dall'Oglio, der in Syrien die Demonstranten unterstützte und nach Gesprächen mit dem IS verschwand. Mit dem arabischen Frühling wird die Erzählweise atemlos.
"Die eine Stadt wirft Dich raus ...
Die Filme verweben eigene Aufnahmen mit Fernseh- und Handybildern. In "The Sun's Incubator" stellt al-Beik Pressefotos eines syrischen Jungen, der zu Tode gefoltert wurde, den Aufnahmen von der Geburt seiner eigenen Tochter Sofia gegenüber.
Nach der Vorführung beim Filmfestival in Venedig erschien es ihm nicht mehr sicher, nach Syrien zurückzukehren. Über Beirut und Dubai kam er 2014 nach Berlin und fand eine erste Bleibe im Wohnheim. Hier stellte er seinen Film "La Dolce Siria" fertig, der im Forum Expanded der Berlinale gezeigt wurde:
... die andere Stadt sagt hallo"
"Die eine Stadt wirft Dich raus, die andere Stadt sagt hallo. Es war wie eine offene Tür in dem Wohnheim. Da gab es so viele Geschichten, soviel Leid. Ich saß in einem vier Quadratmeter großen Raum und habe meinen Film geschnitten. Es war sehr schön, einen Film über die syrische Revolution zu schneiden, während tausend Menschen um dich herum sind. Wenn man die Tür aufmachte, schrien Kinder oder spielten. Ich war mitten unter den Flüchtlingen."
Im Gespräch vermittelt der Regisseur mit der schwarzumrandeten Brille unter der Schirmmütze etwas von der Intensität, die seine Filme prägt. Das Schlüsselwerk "Aspirin and a Bullet" ist im Haus am Waldsee auf eine große Leinwand projiziert. Der Titel bezieht sich auf die rigorose Werbung seines Vaters.
"Als sich mein Vater in meine Mutter verliebte, nahm er eine Packung Aspirin mit und sagte zu ihr: 'Wenn Du mich nicht heiratest, nehme ich 40 Aspirin.' Sie sagte nein, er nahm die Tabletten und kam ins Krankenhaus. Als er entlassen wurde, ging er zu ihr mit einer Pistole und sagte: 'Wenn Du mich nicht heiratest, erschieße ich mich.' Da hat sie eingewilligt."
Blick auf das bürgerliche Damaskus
Der Film entstand in der Wohnung seiner Mutter in Damaskus, in der heute Flüchtlingsfamilien leben und in Ammar al-Beiks eigener Wohnung, die inzwischen von der Armee genutzt wird. Betrachtern eröffnet er einen Blick auf das bürgerliche Damaskus.
Vor allem huldigt al-Beik darin den Regisseuren, die er verehrt. An einer der schönsten Stellen sagt der Altmeister Manoel de Oliveira über die Filmkunst: "Das Leben dreht sich bis zum Tod."
In Berlin hat Ammar al-Beik eine kleine Wohnung gefunden. Aber er vermisst die Sonne, seit zwei Monaten fühlt er sich müde. Das Wort Heimweh läßt er dennoch nicht gelten.
In seiner Kunst hält er sich für gescheitert
"Jetzt bin ich hier. Wir sind hier im Haus am Waldsee. Für diesen Moment ist es unser Zuhause. Immer wenn wir in der U-Bahn sitzen, dann ist das unser Zuhause. Deshalb gibt es Heimweh gar nicht. Es ist kein romantisches Wort."
Seine Tochter lebt mit seiner Ex-Frau inzwischen in Griechenland. Von der kleinen Sofia stammt der Titel der Ausstellung: "One to free".
Das klingt wie der Startschuss in ein neues Leben. Aber in seiner Kunst hält sich Ammar al-Beik für gescheitert. Sie konnte nichts ändern an der Lage seiner Landsleute. Deshalb nennt er sich jetzt einen Ex-Künstler und fühlt sich freier.