Filmemacher Carlos Saura wird 85

"Ich kann mir keinen Film von Tarantino anschauen"

Der spanische Filmregisseur Carlos Saura, aufgenommen 2014 in Buenos Aires, Argentina
Der spanische Filmregisseur Carlos Saura © picture alliance / dpa / David Fernandez
Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Er ist der bekannteste spanische Filmemacher neben Pedro Almodóvar: Am 4. Januar wird Carlos Saura 85 Jahre alt. Bekannt wurde er durch seine dunklen Filme wie "La Caza" während der Franco-Diktatur. Und er ist bis heute aktiv: Vor wenigen Wochen kam sein Musikfilm "Jota de Saura" ins spanische Kino.
Drei ältere und ein jüngerer Mann machen einen Jagdausflug in die karge Ödnis Kastiliens. Jahrzehnte zuvor war diese Landschaft Schauplatz einer erbitterten Schlacht im spanischen Bürgerkrieg. In "La Caza" (Die Jagd) aus dem Jahre 1965 eskalieren die unterschwelligen Konflikte zwischen den Männern am Ende in brutaler Gewalt.
Als Kind erlebte Carlos Saura den spanischen Bürgerkrieg und den Riss durch die eigene Familie. Diese Erinnerungen und das Drama von Militärputsch, Bürgerkrieg und Diktatur haben sein Leben und Werk geprägt.
"Man darf die Vergangenheit nicht vergessen. Das heißt nicht, dass sich unser ganzes Leben um sie drehen soll. Aber unsere Vergangenheit ist uns näher als wir vielleicht denken. Wir können die Wiederholung solcher grausamen Ereignisse, wie etwa unser Bürgerkrieg, nur verhindern, wenn wir die Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit nicht verlieren."

Gewalttätige Geschichten aus dem Bürgertum

Während der Franco-Diktatur in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren spiegelt Saura die spanische Gesellschaft über skurrile, böse und gewalttätige Geschichten aus dem Bürgertum wider. Filme wie "Die Cousine Angelica" oder "Der Garten der Lüste" sind dunkle psychologische Märchen, in denen aus kindlicher Perspektive politische Unterdrückung beschrieben wird.
Misstrauisch verfolgte die Zensur seine Filme, der geschiente Arm eines Falangisten in "Die Cousine Angelica" erinnerte einen Zensor an den Hitlergruß. 1975 als Franco schon im Sterben lag drehte Saura seinen Spielfilm "Züchte Raben". Weltbekannt wurde daraus das Lied "Por qué te vas" (Warum gehst du?) mit dem ironisch schon das Ende der Diktatur angekündigt wurde.
Auch nach Francos Tod und dem Ende der Zensur zeigte Carlos Saura die dunklen und gewalttätigen Seiten der spanischen Geschichte und Gegenwart. Gewalt, sagt der Filmemacher, dürfe dabei aber nie zum Selbstzweck werden.
"Ich kann mir zum Beispiel keinen Film von Tarantino anschauen, auch wenn alle sagen, er sei ein Genie, weil ich diese auf lustig gemachte Gewalt nicht ertragen kann. Diese Art amerikanischen Kinos, die seit Jahren in Mode ist, finde ich einfach scheußlich. Dafür ist der Tod eine zu ernste und endgültige Angelegenheit und ich finde, man sollte Respekt davor haben."
Auch seine Tanz- und Musikfilme handeln oft von Tod und Leidenschaft. Nach den schablonenhaften Folklore-Filmen die das Franco-Regime in die Kinos gebracht hatte, wollte Carlos Saura die reichen musikalischen Traditionen Spaniens anders interpretieren. Weltweit bekannt wurde er in den 1980er Jahren durch seine Flamenco Trilogie: Mit "Bodas de Sangre", "Carmen" und "El Amor Brujo" adaptierte er mit dem Tänzer Antonio Gades drei klassische Vorlagen von Federico García Lorca, Georges Bizet und Manuel de Falla als modernes Flamenco-Tanztheater.

Künstliche, verfremdete Inszenierungen

In den folgenden Musikfilmen entwickelt er diese betont künstliche und verfremdete Inszenierung weiter: 1998 mit "Tango", 2007 mit "Fados", 2010 mit "Flamenco, Flamenco" und 2015 mit "Argentina". In der Zusammenarbeit mit dem italienischen Kameramann Vittorio Storaro entwickelte Saura ganz eigene unwirklich wirkende Studiolandschaften, beleuchtete, mit transparentem Stoff bezogenen Flächen, die mit Farben und Fotografie eigene szenische Räume für die Musiker und Tänzer schaffen.
"Ich versuche diese Flächen immer weiter zu entwickeln, arbeite mit einprojizierten Filmen, aber auch mit Spiegeln: Spiegel faszinieren mich immer wieder. Sie schaffen ganz neue Räume und Gänge."
Die 44 Filme von Carlos Saura sind stilistisch teils sehr unterschiedlich. Er geht immer wieder neue Wege, wagt das Experiment, das Spiel mit Licht, Farbe, Ton, aber auch mit der Filmtechnik begeistert ihn.
"Wirkliches Kino regt doch die Vorstellungskraft an, da fühle ich mich in einer Linie mit Buñuel, Fellini oder Bergmann. Die Welt ist nicht so einfach, wie man sie uns in unserer Kindheit erklärt hat: Das Wirklichkeit nur das sei, was man direkt vor den Augen habe. Wenn du älter wirst, merkst du, dass diese Realität viel komplexer ist, da kommen Erinnerungen, Ängste und Erfahrungen hinzu, oder einfach deine Wünsche und Vorstellungen."
Auch mit 85 Jahren ist Carlos Saura noch ganz aktiv auf der Suche nach dieser Welt hinter der sichtbaren Oberfläche: Vor wenigen Monaten hat er seinen Musikdokumentarfilm "Jota de Saura" fertiggestellt und hat bereits seit Jahren zwei große historische Projekte zu Picassos Guernica.
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