Ein Chronist schwuler Geschichte
Seit einem Vierteljahrhundert erzählt der Regisseur Jochen Hick schwule Geschichten von Los Angeles bis in die Dörfer der deutschen Provinz. Auf der Berlinale ist sein neuer, sehr persönlicher Film zu sehen: "Mein wunderbares West-Berlin".
"Also ich mache einfach Filme über Sachen, über die es sonst nichts geben würde."
Und das seit einem Vierteljahrhundert. Der Regisseur Jochen Hick ist so etwas wie der Chronist vergessener schwuler Geschichte.
"Im ganzen queeren Bereich gibt es ja hauptsächlich Oral History, weil sich niemand von der heterosexuellen Gesellschaft die Mühe gemacht hat, was aufzuschreiben."
Hicks Kamerablick ist immer subjektiv. Sein aktueller Film allerdings ist der persönlichste:
"Nach dem Abitur habe ich Film in Hamburg studiert, aber wenn man als schwuler Mann nicht immer die gleichen Leute treffen wollte, musste man nach Amsterdam, Köln oder nach West-Berlin ziehen."
Das Private ist politisch
Jochen Hick zog nach West-Berlin. Die Selbstvorstellung steht am Anfang von "Mein wunderbares West-Berlin", einer Dokumentation über die Anfangsjahre der schwulen Emanzipationsbewegung der 60er- und 70er-Jahre in der Mauerstadt und ihre Protagonisten.
"Wir wollten die schwule Revolution machen."
Ein Revolutionär war Jochen Hick nie, aber der Anspruch der 68er "Das Private ist politisch" zieht sich als roter Faden durch alle seine Filme: In seiner ersten Dokumentation "Sex/Live in LA" von 1998 blickte er hinter die Kulisse der schwulen Pornoindustrie.
"It's all about money."
Hick begleitet Pornodarsteller, Stricher und Gogo-Tänzer durch ihren normalen Alltag zwischen Auftritt, Hotelzimmer und Filmdrehs. Ein ernüchternder Blick. Sieben Jahre später kehrt nach Kalifornien zurück und dreht mit "Cycles of Porn" eine Fortsetzung unter den Vorzeichen von Aids. Eine komplett andere Welt holt Jochen Hick um die Jahrtausendwende in "Ich kenne keinen - Allein unter Heteros" vor die Kamera, ein Film über Schwule in der westdeutschen Provinz:
"Schwule auf dem Land: Das sollte ja eigentlich so ein Gegenpol werden zu 'Sex/Life in L.A.' Und ich wollte dahin gehen, wo genau das Gegenteil ist."
Zum schwulen Forstarbeiter Michael zum Beispiel, zu Peter, der mit 30 noch bei seiner Mutter wohnt oder zu Hartmut, der mit 50 sein Coming Out hat:
"Es gibt Mann und Frau und das ist von Gott gewollt. Und was Männer miteinander machen, das finde ich abstoßend."
... sagt ein alter Mann in einer Dorfkneipe, sein schwuler Nachbar sitzt daneben und schweigt.
"Ich glaube, eine meiner Eigenschaften oder Stärken ist, ich hoffe, dass es eine Stärke ist, dass etwas Drittes entsteht oder eine dritte Information, die gar nichts damit zu tun hat, was die Leute in dem Moment proklamieren."
Seine Filme werden immer persönlicher
In den letzten fünf Jahren entdeckte Jochen Hick die queere Seite der DDR für die Kamera: In "Out in Ost-Berlin"geht es um Lesben und Schwule in der DDR, in "Der Ost-Komplex" erzählt er die Geschichte eines schwulen Republik-Flüchtlings. Mit "Mein wunderbares West-Berlin" ist Jochen Hick quasi zu den Ursprüngen seiner eigenen Berlin-Biografie zurückgekehrt.
Die alten Herren, die er interviewt, prägen die Stadt bis heute: Der Kollege Rosa von Praunheim kommt zu Wort, Wolfgang Theiß, Mitbegründer des schwulen Museums, erzählt von den Schwierigkeiten mit der freien Liebe und endlosen Diskussionen in der HAW, der homosexuellen Aktion West-Berlin. Wieland Speck, Chef der Panorama-Sektion bei der Berlinale erinnert sich an sein WG-Leben von damals.
"Wir wollten Grenzen überschreiten zwischen Arbeit und Leben, gemeinsam leben und lieben."
Was ist aus den Träumen von damals geworden? Jochen Hick filmt Specks Auszug und die letzten Tage seiner schwulen WG. Am Ende steht er in seiner ersten eigenen Wohnung nach über 40 Jahren.
Schwule Geschichte und Geschichten, wie sie Jochen Hick seit fast einem Vierteljahrhundert erzählt. Von Los Angeles bis zu seiner Wahlheimat Berlin. Mit den Jahren sind seine Filme persönlicher geworden. Was noch fehlt in Hicks Filmen, ist seine eigene Geschichte. Und die ersten Protagonisten dafür hat Jochen Hick schon gefilmt.
"Mit meiner Mutter filme ich schon seit mehreren Jahren. Sie ist aber ein sehr widerspenstiges Filmobjekt, weil sie sehr ungern über diese ganzen gefühligen Dinge spricht."
Aber wenn, dann wird das ihrem Sohn, dem Dokumentarfilmer Jochen Hick gelingen.