Eine wunderbare Dokfilmerin aus Tschechien
Seit Mitte der 70er Jahre dreht sie so unaufdringliche wie eindrückliche Porträts - oft von gesellschaftlichen Außenseitern. Über 50 Dokumentarfilme umfasst die Filmografie der tschechischen Regisseurin Helena Třeštíková, der das Berliner Arsenal-Kino eine Retrospektive widmet.
Die tschechische Dokumentarfilmregisseurin Helena Třeštíková gehört seit Jahren auch international zu den gefeiertsten und besten Dokumentarfilmern. Ihre Filme wie "René", "Marcela" oder "Mallory" touren durch die Festivals gewinnen Preise und doch kommen sie außerhalb Tschechiens so gut wie nie ins Fernsehen oder ins Kino.
Das Berliner Kino "Arsenal" widmet Helena Třeštíková nun bis zum 20. März eine umfassende Werkschau in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Zentrum Berlin. Von ihren bisher 50 Dokumentarfilmen unterschiedlicher Längen, werden im Arsenal fast ein Drittel zu sehen sein.
Jörg Taszman hat mit der Filmemacherin gesprochen, teilweise auf Tschechisch. Das Interview wurde von der Kuratorin Christina Frankenberg übersetzt.
Manuskript zur Sendung:
Zu Beginn der 80er-Jahre erhielt die damals fest angestellte Regisseurin den Auftrag einige Hochzeitspaare zu filmen. So auch Marcela und Jiri, die sich in Prag das Ja-Wort geben und zwei Jahre später, als die gemeinsame Tochter gerade einmal zehn Wochen alt ist, schon wieder trennen.
Diese hohe Scheidungsrate in der damaligen CSSR war ein Grund dafür, warum Helena Třeštíková diese Ehe-Etüden Manzelské Etudy mit zufällig ausgewählte Paaren drehen sollte. Eigentlich waren die Ehe-Etüden auf einen Zeitraum von sechs Jahren begrenzt. Einige Protagonistinnen - wie Marcela - begleitete sie dann jedoch über 20 Jahre lang. 2006 erschien das gleichnamige Frauenporträt, das ähnlich wie die Kinder von Golzow Filme in einer Langzeitbeobachtung auch die Brüche in der tschechischen Geschichte mit auffängt. Helena Třeštíková über die Ursprünge des Projekts:
"Die jungen Leute haben wir damals begleitet von der Eheschließung an, haben dann geschaut, wie sich die Beziehung und das Leben der jungen Menschen weiter entwickeln. Das dauerte wie gesagt sechs Jahre, dann war das Projekt beendet. Und einige Jahre später, als eigentlich alles schon im Kasten war, kam mir die Idee, dass es eigentlich sehr interessant wäre, wenn man mit diesen Geschichten for fahren würde. Und so ist dann der Gedanke entstanden, die Dreharbeiten wieder aufzunehmen und das Projekt weiter zu führen."
Dramatisches Auf und Ab der Protagonisten
Filmische Langzeitbeobachtungen sind das Markenzeichen der Regisseurin, die in Berlin gerade ihren Film Mallory aus dem Jahr 2015 präsentierte. Im Mittelpunkt steht das dramatische Auf und Ab im Leben der einst heroinabhängigen Mallory, die jahrelang obdachlos in Prag in Autos oder Fabrikhallen lebte, immer Pech mit Männern hatte und doch einen Sohn aufzog und vom Heroin weg kam.
Mallory und Marcela sind zwei Frauen mit ähnlichen Schicksalen. Sie leben am Rande der Gesellschaft, kämpfen ums finanzielle Überleben, sind alleinerziehende Mütter und ziehen Probleme regelrecht an. Helena Třeštíková steht auch heute noch im engen Kontakt zu beiden Frauen. Von Marcela wird sie fast täglich angerufen.
"Aber das können sie sich vorstellen, dass es nicht eben angenehm ist, jeden Tag schlechte Nachrichten zu hören. Aber ich weiß, sie braucht das - und dass ich nicht sagen kann: Stopp Marcela, ich kann es nicht mehr hören. Das ist nicht einfach manchmal und mit Mallory auch. Mallory ist so ein conflict maker. Mit Mallory bin ich auch in Kontakt. Es ist nun nicht tagtäglich. Aber Mallory ist wirklich auch eine schwierige Persönlichkeit, die von einem Schlamassel ins nächste gerät - oder sie selber auch verursacht. Aber das Gute ist, dass sie wirklich weiterhin clean ist. Und ihr Sohn ist auch in Ordnung."
Die 1949 in Prag geborene Regisseurin spricht übrigens ziemlich gut Deutsch und wechselt im Interview zwischen Deutsch und Tschechisch. Nicht immer handeln ihre Filme von Außenseitern.
In ihrem Porträt über den Schauspieler Jakub Spalek Zivot s Kasperem/Das Leben mit Kasper vermischen sich Privates und Historisches. Spalek wagte zusammen mit anderen Schauspielschülern im November 1989 den friedlichen Protest gegen die herrschenden Kommunisten.
Zeitreisen durch tschechoslowakische und tschechische Geschichte
Eigentlich gehört es nicht zum Stil der Helena Třeštíková, sich selbst vor der Kamera einzubringen. In Das Leben mit Kasper gibt es jedoch eine Ausnahme, als der Schauspieler die Filmemacherin nach einem Streit herauswirft. Und hier wird auch Helena Třeštíková einmal laut und erklärt heute lachend:
"Es war schrecklich in diesem Moment, aber für den Film war das - meine ich - ganz gut, weil man sieht, wie kompliziert es mit so schrecklichen Gruppen wie Schauspielern ist, zu arbeiten."
Die Filme von Helena Třeštíková sind Zeitreisen durch tschechoslowakische und tschechische Geschichte. Sie filmt ihre Protagonisten einfühlsam, aber ihren Alltag schnörkellos. Dabei verzichtet Helena Třeštíková auf einen belehrenden Kommentar.
Heute erreichen ihre Filme in Tschechien auch im Kino ein größeres Publikum. Leider ist sie hierzulande, trotz zahlreicher Festivalpreise zum Beispiel beim Dok Leipzig bisher ein Geheimtipp für Cineasten geblieben. Dabei sind ihre Filme zugänglich, voller Empathie und ganz nah am Leben.