Filmexperten zum Tod von Claude Lanzmann

Es gibt "nichts Vergleichbares zu 'Shoah'"

Claude Lanzmann erhielt 2013 den Goldenen Bären der Berlinale für "Shoah".
Claude Lanzmann erhielt 2013 den Goldenen Bären der Berlinale für "Shoah". © RIA Nowosti / Ekaterina Chesnokova
05.07.2018
Der Regisseur von "Shoah" ist tot. Claude Lanzmann war strikt gegen Nachinszenierung und brachte stattdessen die Zeitzeugen zum Reden. Die Filmhistoriker Ulrich Gregor und Andreas Kötzing betonen die Einzigartigkeit seines Films.
Der Filmhistoriker Ulrich Gregor hat anlässlich des Todes von Claude Lanzmann an die Uraufführung des Werkes "Shoah" erinnert. Lanzmanns Dokumentarfilm wurde zum ersten Mal 1986 auf der Berlinale gezeigt, zu deren einflussreichen Organisatoren Gregor als Leiter des Internationalen Forums des Jungen Films zu dieser Zeit gehörte. Es habe eine große Befangenheit beim Publikum geherrscht, erinnert er sich.
Lanzmanns große Leistung sei gewesen, das "nicht Darstellbare darstellbar zu machen". Das sei ihm dadurch gelungen, dass er die Überlebenden des Holocaust zum Sprechen brachte. Mit Vertrauen und Einfühlung, aber auch mit Nachdruck habe er gefragt, bis die Menschen erzählten. "Ein Bild kann es nicht geben von diesen Dingen, aber die Erzählung ist ebenso stark", so Gregor im Deutschlandfunk Kultur.

Neue Erzählweise

Ähnlich äußerte sich der Filmhistoriker Andreas Kötzing in unserem Programm. Filmisch habe der französische Regisseur etwas gemacht, was erst nach "Shoah" zu einem Filmelement wurde: "Nämlich zu sagen: Wir inszenieren nicht nach." Er habe mit überlebenden Opfern, aber auch Tätern und mit den Menschen, die in der näheren Nachbarschaft von Vernichtungslagern lebten, gesprochen.
Lanzmann habe sogar in einem Interview gesagt, auch wenn er dokumentarisches Material von Vernichtungen in Konzentrationslagern oder von Vergasungen gefunden hätte, hätte er es nicht für seinen Film verwendet, sondern es sogar vernichtet, so Kötzing:
"Er wollte das nicht. Er hat das als Dogma tatsächlich abgelehnt, das allein ins Bild zu setzen. Die Leute sollten darüber erzählen und über das Erzählen die Erinnerung wieder vergegenwärtigen für das Publikum."

Kein gleichwertiger Film aus Deutschland

Beide Filmhistoriker betonten die besondere Stellung von "Shoah". Kötzing sagt, Lanzmann habe den Meilenstein schlechthin für die Aufarbeitung des Holocaust gedreht. Gregor unterstrich, es gebe "nichts Vergleichbares zu 'Shoah'". "'Shoah' ist ein einmaliger Film und eines der größten kinematografischen Ereignisse unserer Gegenwart." Deshalb müsse man ihn immer wieder zeigen.
Die Deutschen hätten es verpasst, einen eigenen großen Film zu dem Thema zu machen, so Gregor. Zwar sei künstlerisch an dem Thema gearbeitet worden, es seien Bücher wie Anna Seghers "Das siebte Kreuz" und viele andere erschienen. "Ein gleichwertiger Film ist nicht entstanden."
(mf, rit)
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