75. Filmfestival in Cannes
Was kommt da auf das Kino zu? Das Festival eröffnet dieses Jahr der Film "Final Cut" vom französischen Regisseur Michel Hazanavicius: eine Zombie-Komödie. © Lisa Ritaine
Rettet TikTok das Arthouse-Kino?
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Streit um mangelnde Diversität, TikTok als neuer Medienpartner. In seinem 75. Jahr sucht das Filmfestival von Cannes nach Wegen in die Zukunft. Mehr Debatte und weniger Dünkel täten ihm gut, meint Filmkritiker Patrick Wellinski.
Den ersten Skandal gab es schon vor der Eröffnung: Ein US-amerikanisches Magazin warf dem Festivalleiter Thierry Frémaux "Zensur" vor: Er habe sich in einem Interview kritisch über das Prinzip geäußert, Filme via Quote zu besetzen, nachträglich aber verlangt, dass die entsprechenden Passagen herausgenommen würden.
Zu wenig Frauen, zu wenig People of Color
Der Fall zeige exemplarisch, dass Cannes nervös auf die Kritik reagiere, mit denen längst auch andere Festivals konfrontiert seien, sagt der Filmkritiker Patrick Wellinski: Zu wenige Frauen, zu wenige People of Color seien in der Auswahl vertreten.
In Cannes stammen diesmal 25 Prozent der Filme in der offiziellen Sektion von Regisseurinnen. Das entspreche genau dem Anteil unter den diesjährigen Einreichungen, sagte Frémaux bei der Pressekonferenz zum Festivalstart. Wenn die Filmwirtschaft sich ändere, werde sich das künftig auch im Programm widerspiegeln.
Alte Weggefährten im Wettbewerb
Zur Wahrheit über Cannes gehöre aber auch, dass man dort enorm an der eigenen Tradition festhalte, sagt Wellinksi: Dem Festival seit Langem verbundene Regisseure wie etwa die Gebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne seien quasi abonniert auf den Wettbewerb, was die Chancen für jüngere, noch nicht etablierte Filmemacher deutlich schmälere, hier Sichtbarkeit zu erlangen. Eine vertane Chance für Diversität, urteilt Wellinski.
Einigermaßen überraschend mutet die Kooperation des Festivals mit TikTok an. Während Streamingdienste wie Netflix nach wie vor vom Wettbewerb ausgeschlossen sind, tritt das soziale Netzwerk in Cannes erstmals als Medienpartner auf. Vielleicht "ein Versuch, das Event ins 21. Jahrhundert zu bringen", meint Wellinkski, und ein junges Publikum zurückzugewinnen. Die deutsche Managerin Iris Knobloch, die am 1. Juni als erste Frau die Leitung des Festivals übernimmt, sei Serien und Online-Formaten gegenüber sehr aufgeschlossen.
TikTok und der frühe Stummfilm
Sollen Influencer also jetzt das Kino retten? "Intellektuell sind Tiktok-Filme sicherlich genau das Gegenteil dessen, was Cannes hier gerne zeigt und sich als Kunst vorstellt", sagt Wellinski. Aber es gebe ja schon die ersten Stimmen, die sagen, dass die Clip-Struktur von Tiktok an den frühen Stummfilm erinnere.
Das Festival habe einen schwierigen Ruf als Elfenbeinturm des Kinos, es gelte als elitär und abweisend und tue von daher gut daran, sich stärker aktuellen Trends und Themen zuzuwenden, meint Wellinski: "Man muss diskursiver werden, debattenfreudiger, sich überhaupt auch für das 'normale Publikum' öffnen, dann hat dieses Festival eine Zukunft."
(fka)