Filmfestival in Gdynia

Das polnische Kino nach dem Oscar

Filmplakat des oscarprämierten Filmfs "Ida" auf dem Filmfestival in Gdynia.
Filmplakat des oscarprämierten Filmfs "Ida" auf dem Filmfestival in Gdynia. © Deutschlandradio / Patrick Wellinski
Von Patrick Wellinski |
Pawel Pawlikowski hat mit seinem Film "Ida" nicht nur bei den europäischen Filmpreisen abgeräumt, sondern auch noch den ersten Oscar für Polen geholt. Grund genug sich auf dem Filmfestival in Gdynia umzuschauen und zu fragen: Was passiert gerade im polnischen Kino?
Das Polizeiorchester von Gdynia steht mitten auf der Straße vor dem großen Musiktheater in dem traditionell das wichtigste polnische Filmfestival eröffnet wird. Roter Teppich, Stars und Sternchen. Doch dieses Jahr ist etwas anders. Das 40. Jubiläum soll die polnische Filmgeschichte feiern. So wird die Eröffnungsgala genutzt, um den besten polnischen Spielfilm zu küren. Oscarpreisträger Pawel Pawlikowski verkündet den Gewinner auf der Gala:

Eine Überraschung: Das Publikum und die Jury zeichnen "Nächte und Tage" von Jerzy Antczak aus. Die polnische Variante von "Vom Winde verweht" aus dem Jahr 1975. In diesem Porträt einer Frau, die sich an die turbulente Geschichte ihres Landes, Lebens und ihrer Liebe erinnert, steckt – wie in einer Nussschale – der ganze Kosmos der polnischen Kinos, das gerade jetzt eine Hochphase erlebt, was Jerzy Antczak auf der Gala freudig betonte:
Er sagt, alles wird besser. Das polnische Kino stehe erst am Anfang. Also... versuchen wir uns dem Kino unserer Nachbarn zu nähern. Was sollten wir wissen?
Es gibt kaum ein geschichtsbewussteres Volk in Europa als die Polen
Zunächst ist da dieGeschichte. Es gibt kaum ein geschichtsbewussteres Volk in Europa als die Polen. Wer jahrelang um die eigene Souveränität kämpfte und fürchtete, der vergisst nicht so schnell – vor allem nicht den Krieg. Und wenn man auf dem Festival-Gelände zwischen dem neu errichteten Filmzentrum und dem großen Musiktheater steht, blickt man in Richtung Danzig und so auch auf die Halbinsel Westerplatte, wo mit dem Beschuss des polnischen Munitionslagers der Zweite Weltkrieg begann. Man sieht auch die Werften, die vor 25 Jahren die Soldiarnosc-Bewegung ins Leben riefen. Und es ist auch kein Zufall, dass dieser Platz hier Tannenbergplatz heißt – und an 1410 erinnert und jene Schlacht in der polnisch-litauische Truppen den deutschen Kreuzritter-Orden besiegten. Jedes Kind in Polen kennt diese Daten. Alle erinnern sich an alles. Auch auf der Leinwand.
"Karbala" heißt einer der Filme des Festivals. Im Irakkrieg hat das polnische Heer den ersten selbstständigen Militäreinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. In der Stadt Karbala haben sie nach langer Belagerung das Rathaus halten können. Das US-Heer ehrt die Einsatztruppen, verkauft den Sieg aber als Erfolg der neuen irakischen Armee. Die polnischen Soldaten dürfen nicht über den Einsatz sprechen. Polen der Underdog: Doch der Kriegsfilm, der mit hollywoodreifen Bildern operiert, weiß nicht so recht wie er diese Geschichte des verkannten Heldentums verkaufen soll:
Gleiches gilt für die polnisch-deutsche Koproduktion ´Unser letzter Sommer` von Michal Rogalski. Jonas Nay spielt einen jungen Nazikadetten, der lieber Jazz hören würde als zu morden. Der Film will dem Schema des Nazifilms entgehen, erzählt vom Erwachsenwerden im Zeiten des Krieges, doch ob das am Ende gelungen ist, darüber gehen in Gdynia am Ende die Meinungen auseinander…
Während die Regisseure der beiden Kriegsfilme sich den Fragen der polnischen Presse stellen werden im Keller des Filmcenters die internationalen Gäste begrüßt. Michal Oleszczyk, 33 Jahre alt, der jüngste Künstlerische Leiter, den das Festivals je hatte. Seine größte Aufgabe ist es die internationale Strahlkraft des Festivals aufzubauen und zu sichern.
Selten war die Aufmerksamkeit für das polnische Kino so groß wie jetzt. Nach dem Oscar für "Ida" steigt das Interesse von Auslandspresse und Produzenten. Dann übernimmt der Leiter des Adam Mickiewicz Instituts, ein Pendant zum deutschen Goethe Institut, das Mikrofon. Jetzt wird’s geschäftlich. Vokabeln fallen: Business, Partnerschaft Projekte. Man demonstriert Professionalität.
Das 40. Jubiläum des Festivals in Gdynia in der Nähe von Danzig.
Das 40. Jubiläum des Festivals in Gdynia in der Nähe von Danzig.© Deutschlandradio / Patrick Wellinski
Wieder auf dem Tannenbergplatz auf dem Festivalgelände. Auf einer großen Freilichtbühne arbeitet eine Band am Soundcheck. Jeden Abend gibt es Konzerte. Davor auf Liegestühlen liegen die Festivalbesucher. Aber nur kurz, dann geht es ins Kino. Fast alle Vorstellungen sind ausverkauft. Selbst für Filme, die in Polen schon seit einem halben Jahr im Kino zu sehen sind. Das ist neu. Das Land hat letztes Jahr einen Kinorekord verzeichnet. 40 Millionen verkaufte Tickets. Davon fast die Hälfte an heimische Produktionen. Zahlen die es seit 25 Jahren nicht gegeben hat.
Zwei Frauen kommen gerade aus dem Berlinale-Film "Body" von Malgorzata Szumowska. Sie schwärmen über die Rolle von Janusz Gajos, der einen alkoholkranken Vater und Staatsanwalt spielt. Dabei ist er gar nicht der Star des, sondern eher die junge Regisseurin.
Wie überhaupt das polnische Kino ein Ort der Frauen ist. 62 Prozent der aktuellen Filme sind von Frauen gemacht. Jeder zweite wird von einer Frau produziert, der alte wie der neue Chef der Filmförderung bleibt eine Frau und nicht zu vergessen, die ganzen Cutterinnen, Drehbuchautorinnen und Kamerafrauen. Das ist ein Erbe aus sozialistischen Zeiten. Wenn ich hier Kollegen auf die Quoten-Debatte in Deutschland anspreche, ernte ich nur Staunen. Sie verstehen es nicht. So selbstverständlich ist das hier verankert. Und klar: Auch auf der Leinwand.
"Die Boulevardkomödie "Die Dulskie Frauen" erzählt von einer Matriarchin mit einem dunklen Geheimnis und ihrer Macht wie ihre Töchter dieses Geheimnis weiter tragen. Die Männer sind hier recht nutzlose Halunken, die Frauen schmeißen den Laden. Die Grand Dame des polnischen Kinos, Krystyna Janda, spielt diese Matriarchin mit einem furchteinflößenden Bestimmtheit."
Jeden Abend wird ein polnischer Genrefilm gezeigt
Die Band auf dem Festivalgelände probt nicht mehr. Im Open Air Kino wird jeden Abend ein polnischer Genrefilm gezeigt. Geht man an der Johannes Paul II. Allee etwas weiter gibt es einen Fernsehgeschäft. Auf einem der Bildschirme läuft die aktuelle Sejm-Debatte zu der Flüchtlingskrise.
Jaroslaw Kaczynski, Chef der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit, steht am Pult, verkniffenes Gesicht und wettert gegen die Aufnahme von Flüchtling. In düstersten populistischen Farben malt er eine polnische Zukunft in der die Scharia herrscht. Doch in Gdynia schafft es das Kino auch diesen gegenwärtigen xenophobischen Reflexen utopische Friedensbilder entgegen zu setzen.
Im "Neue Welt" zeigen drei Regisseure drei Schicksale von Flüchtlingen im heutigen Warschau. Alle wollen ein neues Leben anfangen: da ist der Junge aus Afghanistan, der sich seiner Gefühle nicht im klaren ist; das ist die Frau eines politisch verfolgten weißrussischen Rocksängers, die sich in den Menschenrechtsanwalt verliebt und da ist die Transgenderfrau aus der Ukraine, die hier endlich zu sich finden will aber von ihrer Vergangenheit eingeholt wird.
Es gibt da ein wiederkehrendes Bild in allen Episoden: Es ist das Bild einer Palme mitten in Warschau. Eine amerikanische Künstlerin hat sie da hingestellt und eigentlich sollte sie längst wieder verschwunden sein. Doch die Bewohner haben sich daran gewöhnt. Und darum geht es. Wenn eine Palme mitten in Warschau stehen kann, kann auch jeder Flüchtling dort eine neue Heimat finden.

Entlang dieses Bildes rutscht man aus dem schönen Gdynia direkt in die Mitte unserer Gegenwart. Auch das polnische Kino kann sich nicht von den aktuellen Nachrichtenbildern verstecken. Es ist dort angekommen, wo es immer hin wollte: In der Mitte Europas und das mit all den Vorteilen und Konsequenzen, die das heute und morgen mit sich bringen wird.
Mehr zum Thema