Das linke Gewissen Hollywoods
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Gerade noch auf dem roten Teppich in Venedig, schon präsentieren die Filmstars sich und ihre neuen Filme auf der anderen Seite des Atlantiks in Toronto. Beim wichtigsten Festival Nordamerikas gibt es aber nur eine deutsche Weltpremiere.
Deutsche Koproduktionen gibt es einige beim Filmfestival in Toronto (TIFF), auch deutsche Filme, die vorher schon bei anderen Festivals liefen. Aber es gibt nur eine deutsche Weltpremiere in diesem Jahr: "Das Vorspiel" der Regisseurin Ina Weisse. Die Hauptdarstellerin Nina Hoss spielt eine Geigenlehrerin, die gegen den Willen ihrer Kollegen an der Musikschule einen Studenten annimmt und sich immer weiter reinsteigert in die Idee, aus ihm müsse etwas werden. Der Kollateralschaden dabei ist die eigene Familie, Sohn und Ehemann, von denen sie sich immer weiter entfernt.
Ängste und Erziehungsmuster in "Das Vorspiel"
"Es geht nicht nur um diese zerrissene Frau, die auch versucht, einen Platz zu finden, die kämpft, was ja auch erstmal gut ist", sagt Weisse. "Es geht auch um Erziehung, also wie sie ihren Sohn behandelt, wie sie ihn in Konkurrenz zu ihrem Schüler setzt. Wie sie das, was sie gelernt hat, dann doch weitergibt. Auch wenn sie versucht, ihre eigene Erziehung zu umgehen. Und doch verfällt sie wieder in ähnliche Verhaltensmuster. Indem sie versucht, ihren Schüler dahinzubringen, wohin sie es selbst aus großen Ängsten heraus nicht hingeschafft hat."
Weisse ist zusammen mit Hoss angereist, die gleich für zwei Filme in Toronto ist. Auch für "Pelikanblut", der zuvor in Venedig lief. Ihr Film "Pelikanblut", der zuvor in Venedig lief, wird in der Reihe "Discovery" gezeigt, also den Entdeckungen.
"Ich habe von dem Festival immer viel gehört, aber ich war hier noch nie", sagt Weisse. "Aber was mir bei den Leuten, denen ich begegne, auffällt, das ist diese große Offenheit und Freude." Das Publikum in Toronto gilt tatsächlich als besonders kinoliebend. Stundenlang stehen die Zuschauer einmal um den ganzen Block Schlange und warten geduldig, bis sie ins Kino dürfen.
"Filme verändern, wie die Menschen die Welt wahrnehmen" hat sich TIFF als Motto auf die Fahnen geschrieben. Und stellt sich dabei auch eine gerechtere und vielfältigere Welt vor. In diesem Jahr laufen mehrere prominent besetzte Filme beim Festival, die sich gegen Unrecht stark machen, gegen Diskriminierung, die für die gute Sache kämpfen. Das linke Gewissen Hollywoods, hier ist es lebendig.
Todestrakt und Texttafeln in "Just Mercy"
"Just Mercy" ist ein filmisches Manifest gegen die Todesstrafe. Der Film erzählt die wahre Geschichte von Bryan Stevenson, der als junger afroamerikanischer Anwalt nach Alabama geht und sich dort als erstes des Falls von Walter McMillian annimmt, einem Mann im Todestrakt, der angeblich eine weiße Frau getötet haben soll. Nach dem Sichten der Akten ist Stevenson überzeugt: McMillian (gespielt von Jamie Foxx) ist unschuldig. Auch bei anderen Fällen stellt er fest, die Verurteilten im Todestrakt sind fast immer Afroamerikaner und bitterarm. Sie hatten keinen wirklichen Rechtsbeistand bekommen.
"Ich glaube, wir können die Welt nicht verändern und für mehr Gerechtigkeit sorgen, wenn wir uns immer nur an sicheren Orten aufhalten", sagt der echte Anwalt Bryan Stevenson, der als Vorbild die Hauptfigur im Film diente. "Unsere Politiker machen diesen Fehler. Sie sind zu weit entfernt und hören nicht auf die Menschen, die leiden. Sie sehen nicht das, was man sieht, wenn man nahe dran ist. Und ich halte es für wichtig, Menschen mit dieser Nähe zu konfrontieren."
Der Film schafft Nähe. Man ist empört über die Ungerechtigkeit, dass ein unschuldiger Mann im Todestrakt sitzt. Nur, wer wäre das nicht? Bei aller menschlichen Nähe verfällt "Just Mercy" in alte Schablonen des Gerichtsfilms. Es gibt Rückschläge, Enttäuschungen, aber man kämpft weiter gegen alle Widrigkeiten - bis das Gericht einem am Ende doch Recht gibt. Texttafeln unterstreichen am Ende die Dringlichkeit des Themas.
Stars in Toronto
Bei aller Politik im Film zählen natürlich auch die Stars. Sie laufen im Stundentakt über den roten Teppich. Scarlett Johansson als Nazimutter in der Satire "JoJo Rabbit", Jennifer Lopez, die eine Stripperin spielt in "Hustlers", Matt Damon und Christian Bale als Rennfahrer in "Ford vs. Ferrari" oder Nicole Kidman, die für die Romanverfilmung "Der Distelfink" nach Toronto gekommen ist. Am Ende des Festivals werden die Zuschauer entscheiden, welcher Film sie am meisten überzeugt. Denn der wichtigste Preis in Toronto ist der Publikumspreis. Und den Titel dieses Filmes kann man sich merken. Er wird bei den Oscars im kommenden Jahr bestimmt wieder auftauchen.