Die Politik ist allgegenwärtig - und wie!
Nicht Berlin, nicht Köln, sondern Nürnberg ist Ausrichter des wichtigsten deutsch-türkischen Filmfestivals. Doch bei diesjährigen Ausgabe wird weniger über die Filme diskutiert als vielmehr die politische Entwicklung der Türkei.
Was für ein Auftakt! Beim 21. Filmfestival Türkei Deutschland in Nürnberg - immerhin das größte bilaterale Cineasten-Treffen beider Länder - zeigten tumultartige Szenen bereits bei den Eröffnungsfeierlichkeiten, dass die zunehmend eskalierenden sozialen und politischen Spannungen in der Türkei längst auch in der Bundesrepublik zu spüren sind.
Gerade als Nürnbergs neuer türkischer Generalkonsul während der Ehrenfilmpreisverleihung für den prominenten Schauspieler Kadir Inanir in der vollbesetzten Tafelhalle zu seiner Begrüßungsrede ansetzte, stürmte eine Gruppe Demonstranten das Podium mit einem Transparent - in Anwesenheit von Filmstar Mario Adorf und vielen anderen Gästen.
"Stoppt die Massaker in Kurdistan" war darauf zu lesen – eine Anspielung auf die kriegerischen Auseinandersetzungen in den Kurdengebieten, wo der sich zunehmend als Diktator gerierende türkische Machthaber Erdogan seine Militärs mit eiserner Hand wüten lässt.
Nicht die Filme, sondern die türkische Tagespolitik wird diskutiert
Auch der Film "Die Frauenzelle", in dem Preisträger Kadir Inanir einen zu langjähriger Haftstrafe verurteilten kommunistischen Dichter spielt, wurde einen Tag später durch kurdische Nationalisten gestört. Dabei griff man die Organisatoren nicht nur verbal an, sondern attackierte sie auch körperlich. Einmal mehr ein Beleg dafür, wie unversöhnlich sich inzwischen verfeindete Gruppierungen aus der Türkei gegenüberstehen.
"Generell: Wenn dieses Filmfestival als eine Plattform benutzt wird für Parteipolitik - dann sind wir dagegen. Dieses Filmfestival ist eine Plattform für Kunst und Künstler, wo natürlich der politische Diskurs stattfinden soll, aber - über die Künstler. Da sollen sich die Künstler eher äußern, damit wir eine andere Perspektive bekommen in den ganzen Tagesdiskussionen ..."
... machte der Direktor des Filmfestivals, Adil Kaya, nach den Vorfällen unmissverständlich deutlich. Kein Zweifel: Die politisch brisante Lage am Bosporus lässt in diesen Tagen in der Dürer-Stadt niemanden kalt.
Der Gipfel zwischen der Türkei und der EU in Brüssel, die Flüchtlingskrise, der Kurdenkonflikt, die Ausschaltung von Richtern, Staatsanwälten und kritischen Medien - vor allem die gerade erfolgte Verstaatlichung der auflagenstärksten Zeitung "Zaman" durch Erdogans Machtapparat - überschatten in diesem Jahr das Stelldichein der Filmemacher.
Grund dafür, dass bis jetzt Diskussionen über die neuen Filme und deren Inhalte eher etwas ins Hintertreffen gerieten.
Das Kulturleben in der Türkei verödet
In der Verstaatlichung der Zeitung "Zaman" sieht Filmregisseur Ezel Akay erst den Beginn von umfassenderen Restriktionen im Medienbereich.
Akay: "Das Ziel der Regierung und des Staatspräsidenten ist es, sämtliche Kanäle der Kommunikation unter staatliche Kontrolle zu stellen, vor allem Internet und die sozialen Medien, denn die gelten für sie als die größere Gefahr. Schon jetzt erleben wir, dass Internet-Zeitungen und Twitter-Accounts ohne Vorankündigung und Gerichtsbeschluss unterbrochen werden. Natürlich kann man durch besondere technische Vorkehrungen immer ins Internet gelangen, aber die normalen Verbraucher können diese täglichen Kanäle, wo sie ihre Informationen herbekommen, nicht mehr erreichen. Warum dies aber alles überhaupt gemacht wird, wird nicht erklärt."
Dennoch sei das Vorhaben der Machthaber aus Ankara klar, meint Ezel Akay. Nämlich: die Installierung eines undemokratischen Regimes - mit einer Sprache, einer Religion und einem Führer an der Spitze.
Zwar gebe es bei Film und Fernsehen momentan keine Zensur, aber bereits jetzt herrsche bei Filmschaffenden und Produzenten in der Türkei ein Klima der Angst, keine Aufträge mehr zu bekommen, wenn nicht stromlinienförmige Beiträge geliefert würden. Die Folge: Konformität und Verödung des Kulturlebens.
Vom aktuellen Brüsseler Gipfel oder ganz allgemein von der EU–Bürokratie, die Erdogan mit Schielen auf die Flüchtlingskrise bislang vor allem hofiert hat, erwartet der engagierte Filmemacher nichts. Er setzt vielmehr in punkto Demokratie und Meinungsfreiheit auf die Solidarität der einfachen Bürger Europas – jenseits etablierter Politprominenz.
Demokratiedefizite in der Türkei
Politische Einflussnahme seitens türkischer Behörden auf das Nürnberger Programm hat es bis jetzt allerdings noch nicht gegeben, sagt Festival-Chef Adil Kaya und verweist auf die strikte Unabhängigkeit des Filmfestivals Türkei/Deutschland.
"Für ein friedvolles Zusammenleben in Deutschland brauchen wir einen guten Dialog zwischen der Türkei und Deutschland und eine Türkei, die an europäische Werte angenähert ist. Türkei hat große Defizite, was das Demokratiesystem angeht, aber mit der Türkei sollte man immer im intensiven Dialog stehen. Wir brauchen eine Türkei, die die europäischen Werte nicht nur angenommen hat, sondern sich damit auch identifiziert."