Filmfestival Türkei/Deutschland in Nürnberg

Von Thomas Senne |
Von einem Treffen mit eher regionaler Ausstrahlung mauserte sich das Filmfestival Türkei/Deutschland mit den Jahren zum bedeutendsten Forum zwischen den Cineasten beider Länder. Mittlerweile gilt es als wichtigste internationale Plattform für den türkischen Film außerhalb der Türkei. Kein Minderheiten-Kino also, sondern ein spannender Überblick über aktuelle Tendenzen.
Von heute an bis zum 20. März sind auf dem türkisch-deutschen Cineasten-Stelldichein 25 Spielfilme, 13 Kurz- und 14 Dokumentarfilme zu sehen: ein aktueller Überblick über das aktuelle Kino beider Länder mit prominenten Filmschaffenden als Gästen.

"Der Schwerpunkt ist nach wie vor der interkulturelle Dialog zwischen den beiden Ländern Türkei und Deutschland. Daran arbeiten wir, daran werden wir auch die nächsten Jahre arbeiten müssen."

... sagt Festivalleiter Adil Kaya und erzählt, dass Vergangenheitsbewältigung, die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, momentan in türkischen Filmen eine große Rolle spielt. Auch auf dem Nürnberger Festival.

"Das ist einmal die Vergangenheit, wie die Türkei vor 30, 40, 50 Jahren mit der Minderheit, mit den Griechen umgegangen ist. Dazu kommen immer mehr Produktionen, immer mehr aufklärende Filme, Dokumentarfilme, Spielfilme. Ein anderer Punkt ist sicherlich die Aufarbeitung des türkisch-kurdischen Konfliktes. Da sind sie gerade dabei, dieses Thema immer mehr zu bearbeiten, welche Einflüsse dieses Thema auf die jetzige Gesellschaft hat."

Zum Beispiel in "Kopf oder Zahl", einem brandaktuellen Streifen, der auf dem Filmfestival von Antalya 2004 gleich in mehreren Kategorien preisgekrönt wurde und jetzt in Nürnberg seine Europa-Premiere feiert. Der Film von Ugur Yücel bricht mit Tabus und erzählt vom Schicksal zweier junger Soldaten, die sich nach dem Wehrdienst im normalen bürgerlichen Leben nicht mehr zurechtfinden. Der eine von beiden hat sein rechtes Bein verloren und begeht Selbstmord. Der andere endet als Killer.

Themen wie diese finden in aktuellen Debatten hierzulande wenig Beachtung. Dafür wird öffentlich verstärkt über "Parallelgesellschaften" gesprochen, über "Ehrenmorde" und "Zwangsheirat" a la Türkei. Diskussionen, die sich auch in Festivalfilmen niederschlagen?

"Unser Anspruch ist es, die aktuelle Türkei hier zu zeigen. D.h., dass unsere deutschen Freunde aber auch die Türken, die hier aufgewachsen sind, die wenig die Türkei kennen, die nur die Urlaubsstrände kennen, dass sie auch die Chance bekommen, dass sie auch die vielschichtige Türkei kennen lernen können. Und diese vielschichtige Türkei, diese moderne Türkei, die umfasst die Modernität, das moderne Leben, aber auch sehr viele Probleme, die vielleicht zum Mittelalter gehören. Und genau diese Vielschichtigkeit möchten wir und müssen wir als verantwortliche Festivalmacher auch hier wiedergeben."

Auch wenn so genannte "Ehrenmorde" in Festivalbeiträgen nicht direkt auftauchen, werden doch tradierte Normen kritisch unter die Lupe genommen. In "Die Braut" berichtet der Altmeister des türkischen Kinos, Lütfi Ömer Akad, über den wirtschaftlichen Überlebenskampf einer Familie in Istanbul, spricht über Ehre und den Druck, den dieser Begriff für eine junge Frau mit sich bringt. "Pseudo-Braut" von Regisseur Atif Yilmasz hingegen - gezeigt in der Reihe "Filmlandschaften" - handelt von einer Einrichtung, die in Anatolien bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gang und gäbe war. Eine so genannte "Pseudo-Braut" hatte dabei die Aufgabe, dem angehenden Ehemann in punkto Liebensleben theoretisch und vor allem praktisch unter die Arme zu greifen. Die Folge dieses Intensivtrainings: Irrungen und Wirrungen im Gefühlsleben der Protagonisten.

"Kino zum Anfassen" garantieren in Nürnberg diverse Podiumsdiskussionen mit prominenten Filmschaffenden. Natürlich wird dabei auch über die Zuwachsraten geredet werden, die türkische und deutsche Filme seit ein paar Jahren in der Publikumsresonanz erzielen. Das Kernstück des zwölftägigen Festivals sind jedoch die Wettbewerbe der Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme. Fatih Akin, der letztes Jahr bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann und in Nürnberg einst seine ersten cineastischen Gehversuche unternahm, hat das Drehbuch für "Kebab Connection" mitverfasst. Diese Familienkomödie läuft ebenso im Wettbewerb wie "Schiffe aus Wassermelonen", ein poetischer Debütfilm von Ahmet Ulucay. Er lässt zwei filmbegeisterte Jungen in einer anatolischen Kleinstadt der 60er Jahre von der Liebe und dem großen Kino träumen.

"Der Film, der den besten Spielfilmpreis bekommt, der kriegt dann noch von uns so ne kleine Verleihförderung. Wir lassen dann eine Kopie in der Sprache des anderen Landes machen und schicken das dann in das jeweilige Land zu dem potentiellen Verleiher. Das ist so ein Anstoß, so dass der Film, der hier einen Preis bekommt, in dem anderen Land auch gezeigt wird./Das ist uns auch sehr gut gelungen. Letztes Mal war ja "Schussangst", der deutsche Film. Von diesem Film haben wir eine Kopie mit türkischen Untertiteln machen lassen. Und der tourt gerade in der Türkei durch diverse Festivals und Kinos."

Ein Beleg dafür, dass sich das Nürnberger Filmfestival nicht als kulturelle Einbahnstraße in Richtung Deutschland versteht, sondern auf eine gegenseitige Wechselwirkung setzt. Jetzt präsentierte Streifen wie Wim Wenders "Land of Plenty" oder Detlef Bothes verstörende Bilder über die bröckelnden Fassaden unserer Wohlstandsgesellschaft in "Meine Frau, Meine Freunde und Ich" untersteichen dies einmal mehr.