Goldene Palme für den wilden Horrorfilm "Titane"
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Chaos bei der Zeremonie und der Horrorfilm "Titane" von Regisseurin Julia Ducournau als Sieger – die Jury unter Vorsitz von Regisseur Spike Lee hat in Cannes für Überraschungen gesorgt. Allerdings drückte sie sich auch vor klaren Entscheidungen.
Der Horrorfilm "Titane" ist beim Filmfestival in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden. Damit geht der Hauptpreis erst zum zweiten Mal in der Geschichte des traditionsreichen Treffens in Südfrankreich an eine Frau. Das Werk von Regisseurin Julia Ducournau ist ein wilder Horrorfilm.
Jurypräsident Spike Lee sorgte zudem für viel Chaos und Heiterkeit, indem er den Siegerfilm zu früh verkündete. Filmkritiker Patrick Wellinski sagt zum Verlauf der Preisverleihung, er habe selten "so eine toll besetzte Komödie gesehen – bis es zu der eigentlichen Übergabe kam, passierten die abstrusesten Dinge."
Die Geschichte einer Massenmörderin
Es sei schön gewesen, die anderen Jurymitglieder dabei zu beobachten, sagt Kritikerin Anke Leweke, "weil die sich in ihren Sitzen vor Lachen gebogen haben. Ein Jurymitglied hat sich dann erbarmt, neben Spike Lee gesetzt und ihm souffliert. Das war alles so herrlich ausgelassen. Im Grunde die amüsanteste Preisverleihung seit langem."
Der Siegerfilm "Titane" von Regisseurin Julia Ducournau erzählt die Geschichte einer Massenmörderin, die von einem Auto geschwängert worden sei und statt Muttermilch Motoröl in ihren Brüsten habe, erzählt Wellinski. In dem Film gebe es unterschiedliche Formen des Körperhorrors, die von dem kompletten Schauspielerensemble sehr gut umgesetzt würden.
"Ein toller Film, der die Körper unheimlich schön choreographiert", sagt Leweke. "Mir kam es vor, als ob das Kino hier einen Resetbutton drückt und einer jungen Frau alle Möglichkeiten bietet, sich in allen möglichen Geschlechtern, Identitäten, und Rollen auszuprobieren."
Eine nicht entscheidungsfreudige Jury
Der zweitwichtigste Preis des Festivals, der Grand Prix, wurde zweigeteilt und ging an den iranischen Regisseur Asghar Farhadi für seinen Film "A Hero" und an den finnischen Regisseur Juho Kousmanen für "Compartment No. 6".
An der fundamentalen Unterschiedlichkeit der beiden Filme lasse sich die unklare Linie der diesjährigen Jury erkennen, sagt Wellinski. "Es waren die richtigen Filme dabei, aber in der falschen Reihenfolge." Zudem habe es viele Preise gegeben, die an zwei Filme gegangen seien. "Auch das hat nochmal für Chaos gesorgt. Es scheint mir, dass sich die Jury einfach nicht entscheiden konnte und dass man hier ganz harte Grabenkämpfe sehen kann. Ich muss schon sagen, dass man sich von so einer Jury eine etwas geradlinigere Entscheidung wünscht."
Das Programm sei mit 24 Wettbewerbsfilmen vielleicht übervoll gewesen, sagt Leweke. "Da war viel Mittelmaß dabei. Aber es gab auch das wilde, durchgedrehte Kino wie 'Titane', und dazu kann man auch 'Anette' von Leos Carax zählen, das die Künstlichkeit des Kinos feiert und darüber nachdenkt, was man mit Kunst alles erzählen kann."
(rja)