Filmfestspiele in Cannes

Keine Selfies mehr vom Roten Teppich

Jörg Taszman im Gespräch mit Shanli Anwar |
Ab sofort sind bei den Filmfestspielen in Cannes Selfies von Fans mit ihren Stars auf dem Roten Teppich verboten. Damit nicht genug, will Festival-Chef Frémaux auch die Pressevorführungen abschaffen. Kritiker Jörg Taszman sieht dahinter vor allem die Gier nach Exklusivität.
Thierry Frémaux, Chef der Filmfestspiele in Cannes, ist auf dem besten Weg, es sich mit den Filmjournalisten und mit den Film-Fans zu verscherzen: Keine Vorabaufführungen mehr für Journalisten soll es in diesem Jahr geben, anders als bei der Berlinale sollen Kritiker nur noch von den offiziellen Premieren der Filme berichten dürfen. Doch in diesen Veranstaltungen gibt es nicht genug Plätze für alle Kritiker.
Wenn Frémaux Ernst macht, steuert Cannes damit direkt auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft für die Presse zu: Die sogenannten Premium-Medien – große TV- und Radiosender sowie auflagenstarke Printmedien – dürften dann rein, alle andere müssten meistens draußen bleiben. Zudem sollen Selfies mit den Stars auf dem Roten Teppich künftig verboten sein.

Zwanghafte Sucht nach Glamour und Weltpremieren

Hinter diesem Vorgehen stecken für unseren Filmkritiker Jörg Taszman schlicht Arroganz und ein fast zwanghafter Drang zur Exklusivität. Man wolle mögliche schlechte Kritiken vorab möglichst vermeiden. Es sei fairer, mit Sperrfristen zu arbeiten, die es Journalisten untersagen, ihre Kritik vor dem Ende der offiziellen Filmpremiere zu veröffentlichen. So werde es bei der Berlinale praktiziert.
"Das Problem ist natürlich, dass sich nicht alle daran gehalten haben, auch auf der Berlinale nicht. Da muss man schon ein bisschen solidarisch sein, auch innerhalb unserer Zunft. Das führt dann einfach zu solchen Geschichten, dass Thierry Frémaux jetzt die Pressevorführungen abschafft."

"Es herrscht keine Solidarität innerhalb der Branche"

Schon jetzt gebe es in Cannes eine Zwei-Klassengesellschaft, die dadurch noch verschärft werde. Einige Journalisten müssten länger für einen Platz anstehen als andere. Mindestens ebenso ärgerlich findet Taszman "die Geilheit nach Weltpremieren". Dabei dürften sowohl Cannes als auch Berlin sehr wohl auch Filme zeigen, die sogenannte internationale Premieren seien, also, in ihrem Heimatland schon gezeigt worden seien. Doch diese lasse das Ego der Festivaldirektoren nicht zu, die sich unbedingt mit Weltpremieren schmücken wollen.
Die einzige Möglichkeit, dem etwas entgegen zu setzen und Festivalleitungen einen Denkzettel zu verpassen, sei, über die Eröffnungsfilme einfach gar nicht mehr zu berichten.
"Aber das passiert natürlich nicht, weil keine Solidarität innerhalb dieser Branche herrscht. Jeder will den Coup, jeder will der Erste sein, jeder will darüber schreiben."
Emma Thompson bei der Premiere von The Meyerowitz Stories New and Selected auf dem 61 BFI London. Ein Fan bittet um ein Selfie.
Die meisten Fans spielen gerne mit im "Selfie-Spiel" - so wie hier die Schauspielerin Emma Thompson bei einer Premiere in London.© imago stock&people
Auch das Selfie-Verbot auf dem Roten Teppich sei absurd: Nur weil Thierry Frémaux die Sitte der Fans, sich mit Stars zu fotografieren vulgär finde, müsse man noch lange kein Verbot aussprechen. Cannes sei ohnehin, anders als Berlin, kein Publikumsfestival. Verbiete man nun noch die Selfies am Roten Teppich, beraube man die Film-Fans jeder Freude. Es sei zu hoffen, dass die Stars dabei nicht mitspielten und das Verbot unterliefen.
(mkn)
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