Wider die Vorurteile gegen die Golf-Region
Das Doha Film Institute in Katar gibt es seit 2010 und die Fördereinrichtung spielt im Weltkino eine immer wichtigere Rolle. Sie habe sich zur Aufgabe gemacht, die Vorurteile gegenüber der Golf-Region zu widerlegen, sagt Chefin Fatma Al-Remaihi. Es gebe viele Talente, die eigene Geschichten erzählten.
Susanne Burg: Ich bin vor einigen Tagen aus Katar zurückgekommen. Dort fand das Ajyal Youth Film Festival statt, ein Ableger des italienischen Kinder- und Jugendfilmfestivals Giffoni. Organisiert wird dieses Festival vom Doha Film Institute, einer Filmeinrichtung, die es seit 2010 gibt und die im Weltkino als Fördereinrichtung eine immer wichtigere Rolle spielt. Mich hat das Doha Film Institute schon seit Jahren interessiert – und nun hatte ich die Gelegenheit, mit der Chefin höchstselbst zu sprechen, mit Fatma al-Remaihi.
Ich habe sie erst mal auf Ajyal angesprochen. Ein Festival, bei dem Kinder und Jugendliche in Filmen mit gesellschaftlich relevanten Themen konfrontiert werden, aber in Workshops auch sehr handfeste Dinge lernen: wie man Filme schneidet, Sound mischt oder Licht setzt. Und ich habe sie gefragt, ob die Idee ist, in dem kleinen und reichen Staat eine Kinokultur zu etablieren und die katarische Filmindustrie zu fördern, die es so richtig erst seit der Gründung des Instituts gibt.
Fatma Al-Remaihi: Auf jeden Fall. Wir wollen nicht, dass die vielen tausend Kinder und Jugendlichen, die hier über die Jahre herkommen, alle Regisseure werden. Das geht nicht, aber sie sollen sich selbst hier entdecken, was sie mögen und wo ihre Stärken liegen. Ob im Schauspiel oder Drehbuchschreiben oder der Filmkritik. Und die Kinder und Eltern verstehen, wie wichtig das ist. Viele dachten früher, dass Kino Zeitverschwendung ist. Das hat sich geändert. Die Eltern verstehen, dass es auch das Medium ist, mit dem die Kinder kommunizieren und wir müssen wissen, wie wir sie da durchnavigieren.
Burg: Sie sind ja auch zuständig für Filmförderung. Bei der letzten Förderrunde waren über die Hälfte der geförderten Filme von Frauen. Haben Sie eine Erklärung dafür? In Europa und den USA ist Geschlechtergerechtigkeit im Film gerade ein so großes Thema.
Al-Remaihi: Ja, ich weiß. Wir sind ja an dem Ort, von dem viele Leute denken, es handele sich um die Dritte Welt – da widerlegen wir einige Vorurteile. Bei uns ist Bildung im Allgemeinen sehr wichtig, für Jungs und für Mädchen. Frauen sind lange in allen Zweigen der Wirtschaft tätig. Jetzt eben auch in der Filmindustrie. Ich bin stolz, dass wir als gutes Beispiel für die alten etablierten Filmindustrien voran gehen. Und weil wir eine so junge Wirtschaft sind, gab es auch nicht die alten verkrusteten Strukturen. Wir konnten ganz frisch anfangen. Das hat eben auch Vorteile. Wir haben natürlich auch noch einige Aufgaben zu bewältigen. Wir haben ganz bewusst auf eine Art Graswurzelbewegung gesetzt. Wir bilden die Interessierten technisch aus, fördern ihre künstlerischen Visionen. Wir wollen, dass Filmemacher erst ihre eigene Stimme finden und nicht gleich an den Produktionswert eines Filmes denken. Wir sehen bereits einige aufstrebende Talente und ich glaube, in ein paar Jahren werden wir sie auch bei den großen Festivals wiederfinden.
Suche nach guten Geschichten
Burg: Eine Sache ist ja die heimische Filmkultur, aber das Doha Film Institute fördert ja auch internationale Produktionen. Und viele Förderungen gehen an arabische Produktionen. Hat sich das Filminstitut auch zur Aufgabe gemacht, die arabische Filmkultur zu stärken?
Al-Remaihi: Ja, die arabische Welt ist für uns sehr wichtig. Es ist eine Sache, etwas hier in Katar zu entwickeln. Aber es braucht auch ein ganzes Ökosystem drumherum, also eine Welt, in der Film lebt, in der ihn Zuschauer sehen. Das ist wichtig. Es gibt viele Talente in der Region. Und es gibt so viele Vorurteile gegenüber der Golf-Region. Es wurde Zeit, dass wir diese Wahrnehmung verändern und unsere eigenen Geschichten erzählen. Aber wir fördern auch Filme aus anderen Gegenden. Denn auch diese Verbindungen sind wichtig. Wir wollen von anderen Perspektiven lernen, von anderen Filmemachern. Wir haben diese Strategie von Anfang an verfolgt.
Burg: Mich würden diese Strategien, die Sie in der arabischen Welt und im Mittleren und Nahen Osten verfolgen, noch etwas mehr interessieren. Ägypten und Libanon dominieren den Markt. Sie produzieren viele Filme. Und in den beiden Ländern spielen arabische Filme genauso viel Geld ein wie nicht-arabische Filme. Dann ist da noch der Iran, auch ein großes Filmland. Sie haben unter anderem Asghar Farhadis "The Salesman" mitfinanziert, der einen Auslands-Oscar gewann. Wie sehr studieren Sie die Märkte in der Region?
Al-Remaihi: Wir versuchen, so vielfältig wie möglich zu sein. Aber, ehrlich gesagt, hängt immer viel davon ab, wer sich für Förderungen bewirbt. Und es gibt jeweils ca. 350 Anträge für die zwei Förder-Sitzungen im Jahr. Also 700 Anträge im Jahr. Und dann nehmen sie ihren Weg – durch Jurys und Shortlists. Manchmal sind die Anträge aus Tunesien besonders stark oder die aus dem Libanon. Da haben wir keinen Einfluss drauf. Und dann schauen wir auch, dass es mit den Filmen auch nach der Drehbuchförderung weitergeht, dass sie wirklich produziert werden. Aber wir schauen in erster Linie nach guten Geschichten. Bei "The Salesman" war es ein bisschen anders. Da haben wir nach Geschichten geschaut, die etwas mit unserer Region zu tun haben. Und nach einem Regisseur, der auch unsere Filmindustrie stärkt und von dem wir profitieren, der uns etwas zurückgibt. Bei unserem Festival "Qumra" hat Asghar Farhadi Masterklassen gegeben und mit fünf katarischen Filmemachern gearbeitet. Das ist uns auch sehr wichtig.
Filmemacher als Leidtragende der Blockade
Burg: Sie haben gesagt, was Sie fördern, hängt von den Anträgen ab, aber es gibt natürlich auch noch die Politik. Es ist nicht immer einfach, durch die politischen Gewässer in der Region zu navigieren, vor allem in der jetzigen Situation mit der Blockade von Katar, angeführt durch Saudi-Arabien. Sie haben traditionell viele Filme aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten gefördert. Nun beteiligen sich die beiden Länder aber an der Blockade. Wie gehen Sie damit um?
Al-Remaihi: Für uns hat sich nichts geändert. Alle können einen Antrag einreichen. Die Filmemacher können ja nichts für die politische Situation. Und es gab sogar Anträge aus den Blockade-Ländern, und ein Film sollte auch gefördert werden, aber am Ende haben die Filmemacher die Förderung nicht angenommen, weil sie Angst hatten, es könnte ihnen schaden, wenn auf ihrem Film "Doha Film Institute" draufsteht. Am Ende sind also die Filmemacher die Leidtragenden.
Burg: Weil wir gerade über Grenzen sprechen: In Ihrem Nachbarland Saudi-Arabien tut sich einiges, auch was Filme angeht. Kinos sind jetzt erlaubt. Bislang gab es in Saudi-Arabien keine Filmindustrie. Wie sehr verfolgen Sie, was dort passiert? Und was bedeutet das für Sie?
Al-Remaihi: Ja, auf einem offiziellen Level tut sich etwas. Aber inoffiziell gibt es schon lange Bewegung. Es gibt dort große Talente. Wir haben Saudi-Arabien immer als einen riesigen Markt betrachtet, sobald er offiziell eröffnet ist. Wir freuen uns, dass es jetzt passiert. Und wir freuen uns auf die Geschichten, die von dort hierher kommen werden.
Burg: Aber damit dieser Austausch stattfindet, muss ja wohl erst die Blockade aufhören, oder?
Al-Remaihi: Wir wollen natürlich alle, dass die Blockade beendet wird. Wir sind nicht glücklich darüber. Wir wollen verhandeln, aber solange die anderen dazu nicht bereit sind, können wir nur wenig tun. Wir müssen einfach der Welt gegenüber offen sein und an unserem Fortschritt arbeiten, dann kann uns niemand aufhalten.