Konkurrenz für Hollywood
Die chinesische Filmindustrie boomt und produziert gewaltige Mengen an Blockbustern - mit ihren Action-Reißern ist sie Hollywood dicht auf den Fersen. Ausländische Filme unterliegen dagegen strengen Quoten - alles im Sinne der politischen Propaganda.
Patrick Wellinski: Seit Donnerstag läuft in Shanghai das Internationale Filmfestival. Es ist das größte A-Festival in Asien und ein guter Moment für uns, um uns auf die chinesische Filmwirtschaft, zu konzentrieren. Die boomt. "Detective Chinatown 2", "Monster Hunt 2", "Operation Red Sea" – allein drei chinesische Blockbuster haben es quasi im Alleingang geschafft, den Februar 2018 zum finanziell erfolgreichsten Monat weltweit und auch aller Zeiten zu machen.
Noch ist der chinesische Filmmarkt der zweitgrößte nach Amerika, aber Experten schätzen, dass sich das 2020 spätestens ändern wird. Woran liegt das, wer gestaltet die chinesische Filmpolitik – und wie? Das habe ich vor der Sendung mit dem ARD-Korrespondenten Steffen Wurzel besprochen. Hallo!
Steffen Wurzel: Hallo!
Wellinski: Steffen Wurzel, seit Jahren kann man vom wachsenden chinesischen Filmmarkt lesen, einen Leinwandboom soll es geben. Ist das auf den Filmhunger der Chinesen zurückzuführen?
Großer Filmhunger
Wurzel: Ja, absolut. Dieser Filmhunger ist tatsächlich riesig. Um mal eine Zahl zu Beginn zu nennen: In China werden statistisch gesehen jeden Tag 25 neue Kinosäle in Betrieb genommen, landesweit, 25 neue Säle jeden Tag. Was genau dahintersteckt, das ist gar nicht so einfach zu erklären, das ist nicht schwarz-weiß. Einerseits gibt es einen riesigen Bedarf, also die Leute haben Lust, ins Kino zu gehen.
Andererseits wird auch sehr viel Geld von staatlicher und privater Seite massiv ins System reingepumpt. Da haben wir so die Henne-und-Ei-Problematik. Ist da also die Nachfrage größer, oder ist das Angebot einfach da, das die Nachfrage erzeugt. Das ist so fifty-fifty, würde ich sagen.
Wellinski: Wie sieht denn jetzt die Filmwirtschaftspolitik Chinas aus?
Wurzel: China ist kein freies Land, nicht wirtschaftlich und schon gar nicht kulturell, und das spürt man auch im Bereich des Kinos. Grundsätzlich ist es so, dass die Kinobranche streng beaufsichtigt wird von staatlicher Seite. Das gilt natürlich für die Inhalte, also alles Politische, alles Kritische wird zensiert, das findet nicht statt auf der Leinwand, mit ganz wenigen Ausnahmen.
Quoten für ausländische Filme
Aber auch wirtschaftlich mischt der Staat eben mit. Und der schreibt zum Beispiel ein ganz interessantes Quotensystem vor, eine Quote, die bestimmt, wie viele große ausländische Filme jedes Jahr überhaupt gezeigt werden dürfen in China. Das waren zuletzt immer so um die 30, 34 Filme pro Jahr.
Davon betroffen sind vor allem Filme der großen Hollywood-Studios in den USA, Disney, Paramount, Sony, Fox, Warner Brothers und so weiter. Diese Filme dürfen in China laufen, aber eben nur immer so 34 Stück pro Jahr. Und die Einnahmen aus diesen vorher festgelegten Filmen, die werden dann auch streng aufgeteilt nach einem Schlüssel. 25 Prozent der Einnahmen gehen nach Amerika zurück an die ausländischen Produktionsfirmen, und 75 Prozent, der große Batzen bleibt in China. Der Staat hat also ein großes wirtschaftliches Interesse daran, dass hier möglichst viele erfolgreiche Blockbuster laufen, weil dann eben viel Geld verdient wird, auch in China.
Wellinski: Jetzt ist auch immer wieder zu lesen, dass China auf dem globalen Filmmarkt mitmischen wird, und das machen sie ja auch zum Teil. Widerspricht dieses Zensur- und Quotensystem nicht eigentlich diesem Plan?
Noch boomen chinesische Filme nicht im Ausland
Wurzel: Das passt im Grunde zu genau dem, was in ganz vielen anderen Bereichen auch passiert in China, so eine Widersprüchlichkeit, so eine Art Schizophrenie, sagen einige auch. Qualitativ ist es schon so, dass die chinesischen Filme inzwischen ganz weit vorn sind, dass also große Produktionen – auch Kritiker sagen, das ist ordentlich produziert, das sieht toll aus – wirklich sehr erfolgreich sind. Aber es ist schon so, dass auf den ausländischen Märkten noch ganz viel mit Subventionen stattfindet.
Also, die chinesische Filmbranche ist noch nicht so attraktiv im Ausland, dass zum Beispiel in den Nachbarländern die Leute wie verrückt in chinesische Filme reinrennen. Da ist ein gewisser Widerspruch da. Das mit der Zensur - da würde ich nicht mal sagen, dass das das größte Problem ist, weil, seien wir ehrlich: Irgendwelche Actionfilme und so weiter müssen gar nicht politisch sein, um erfolgreich zu sein. Das gilt in China, aber auch anderen Staaten.
Wellinski: Jetzt spricht man immer wieder davon, dass gerade heimische Produktion, auch diese groß budgetierten heimischen Produktionen die sogenannte Soft-Power Chinas ausbauen sollen. Wie muss man sich das vorstellen?
Der Staat nutzt Filme zur Image-Bildung
Wurzel: Soft Power, damit ist eine dezente Art und Weise, den Einfluss auszubauen, gemeint, könnte man sagen. Der chinesische Staat nutzt Kinofilme inzwischen sehr stark dazu, sich ein positives Image zu geben, zum einen im Inland, bei der eigenen Bevölkerung, aber eben auch im Ausland. Ein Beispiel ist der Film "Wolf Warrior 2", der kam vergangenes Jahr ins Kino: ein Actionfilm, so eine Mischung aus "Rambo" und "Top Gun", könnte man sagen.
Unterschwellig wird so vermittelt, früher waren die USA der größte Weltpolizist, inzwischen sind wir mindestens ebenbürtig, und wir retten nicht nur unsere eigene Bevölkerung, sondern retten auch noch arme afrikanische Kriegsflüchtlinge, was der Realität übrigens überhaupt nicht entspricht, aber im Film wird das eben so vermittelt. Und das ist schon so, das hat man vergangenes Jahr gemerkt. Leute, die in diesem Film waren, also Chinesen, die sind danach mit einem zum Teil ganz erhobenen Gefühl rausgegangen. So nach dem Motto, schaut her, da können wir stolz drauf sein, auf unser Militär, auf unsere Elitekämpfer, die uns auf der ganzen Welt raushauen, wenn wir irgendwo in Not sind.
Wellinski: Jetzt braucht eine ausgebaute Filmwirtschaft auch eine gute Infrastruktur, und uns haben ja in den letzten Wochen Bilder erreicht von einer quasi Filmstadt in dem Küstenörtchen Qingdao, das größte Studiogelände der Welt. Wie ist denn dieses Projekt einzuschätzen?
Hollywood in Qingdao
Wurzel: Das ist ein Symbol der immer wichtiger werdenden Filmindustrie. Zunächst muss man sagen, ein Küstenörtchen stimmt nicht ganz. Qingdao hat zehn Millionen Einwohner, also der Großraum, der Ballungsraum. Und da eben am Rande von Qingdao steht dieses riesige Gelände, was so eine Art Hollywood konzentriert ist. In die Richtung soll es jedenfalls gehen. Das ist natürlich auch ganz im Interesse der Staats- und Parteiführung, denn die will ja China umwandeln und zu einem Land machen, in dem es um moderne Dienstleistungen geht, in dem es um Service geht, dass damit eben Geld verdient wird, nicht nur mit Industrie.
Und jetzt haben wir diese Filmstadt, kann man eigentlich sagen, in der Nähe von Qingdao im Nordosten von China. Da stehen insgesamt 40 Filmstudios konzentriert auf einem großen Gelände, unter anderem ein topmodernes Unterwasserstudio. Es gibt dort die modernsten Post-Production-Einrichtungen der Welt. Insgesamt wurden sechseinhalb Milliarden Euro investiert dort, und interessanterweise so Fünfzig-Fünfzig staatlich, aber auch privat. Wanda, so heißt der große Konzern, der da investiert hat, der hat ein ganz großes Interesse daran, künftig in diesem Unterhaltungssegment viel Geld zu verdienen, deshalb wurde da viel Geld investiert.
Wellinski: Das Interessante ist ja, dass diese ganze Infrastruktur auf das klassische Kino zielt. Es wirkt so, als würde China noch dieses klassische Kinoerlebnis mit großer Leinwand favorisieren, dabei würde man sich irgendwie vorstellen, dass gerade in China Vertriebswege wie Streaming oder Video on Demand viel attraktiver sind.
Wurzel: Dass eine schließt das andere nicht aus in China. Streaming ist wirklich sehr wichtig hier, noch wichtiger als bei uns in Deutschland oder als in den USA. Aber das steht eben hier in diesem Land, das ist das Spannende, nicht im Widerspruch zum klassischen Kino, denn das wächst ja eben auch. Ein Aspekt, den man auch nicht vergessen darf: Das klassische Kino ist auch schon sehr digital hier in China.
Das sieht man beim Bereich des Kinoeintrittskartenverkaufs. 80 Prozent der Kinoeintrittskarten werden hier in China online verkauft und vertrieben, mit Rabattaktionen, mit Aktionen nach dem Motto: Hey, wenn dir vergangene Woche dieser Film gefallen hat, gefällt dir nächste Woche vielleicht jener Film. Und auch dieser Markt wird in China, kann man sagen, aufgeteilt und bedient von den zwei großen Playern im Onlinebereich, das ist Ali Baba, und das ist Tencent. Die verdienen ganz viel Geld mit Big Data, das heißt, mit dem Nutzungsverhalten der Kinogänger. Das machen sich hier die großen Firmen sehr zu Nutze.
Wellinski: Kreativität und Kapital im Reich der Mitte. Wir sprachen mit ARD-Korrespondent Steffen Wurzel. Vielen Dank!
Wurzel: Sehr gern!
Wellinski: Auch Anke Leweke schaut sich im chinesischen Filmbusiness in Shanghai um. Sie besucht das 21. Internationale Filmfestival vor Ort. Hallo, Anke!
Anke Leweke: Ni hao!
Wellinski: Anke, gib doch zu Beginn erst mal ein paar grundsätzliche Eindrücke des Festivals. Wie geht die Stadt überhaupt mit Film jetzt gerade um?
Platte Propaganda
Leweke: Also ich finde schon mal ganz interessant, wenn ich so in die Lobby meines Hotels gehe, dann ist die mit riesigen Stellwänden und Monitoren zu Propagandazwecken umgestaltet worden, und da kannst du dann so Zeilen lesen wie "1978 hat das Dritte Plenum der Elften Kommunistischen Partei Chinas beschlossen, die Wirtschaft zu öffnen und eben auch das Kinobusiness.
Und dann kannst du eben lesen, was China so alles gemacht hat. Und da steht dann: "Lebewohl, meine Konkubine" hat 1992 in Cannes die Goldene Palme gewonnen. Das Kulturrevolutionsdrama von von Cheng Kaige wurde natürlich offiziell hier nie gezeigt, aber man schmückt sich trotzdem gern mit der Goldenen Palme. Und dann bekommt man einfach mit, ich meine, China kauft ja überall auch Hafenanlagen auf, und genauso gibt es überall Satelliten im Filmbusiness, die China installiert.
Wir kriegen das ja gar nicht bei den großen Produktionen immer unbedingt mit. Aber natürlich ist chinesisches Geld auch in "Mission Impossible" oder "Sky Fall", James Bond, drin. Und das ist so wie ein Spinnennetz. Zum Beispiel der Filmmarkt in Cannes wurde dieses Jahr von dem Filmmarkt in Shanghai gesponsert, und dann will man jetzt auch in der sogenannten Dritten Welt tätig werden. Filmische Entwicklungshilfe, dazu gab es auf dem Festival einen Projektmarkt mit den Ländern. Dort konnten junge Regisseure ihre Filme vorstellen und chinesische Investoren finden.
Wellinski: Wir haben ja schon gehört, dass es eine Quote gibt und nur eine bestimmte Anzahl nicht-chinesischer Filme dürfen überhaupt gezeigt werden. Ist das vielleicht ein Grund für Chinesen, die in Shanghai wohnen, ganz häufig jetzt ins Kino zu gehen in den nächsten Tagen, um mehr als 34 ausländische Filme zu sehen?
Til Schweiger ist in China "Art House"
Leweke: Ja, auf alle Fälle. Die Kinos sind total überfüllt, und der Vorverkauf fängt zwei Wochen vorher an. Und dann ist alles auch ganz schnell ausverkauft, weil man seine Freizeit gern vorweg, einfach schon mal alles regelt. Und online auch, weil ja alles nur noch online stattfindet. Du bezahlst auch gar nicht mehr bar, deshalb kann aber auch alles immer zurückverfolgt werden, was du eigentlich machst.
Und ich bin hier ja mit anderen deutschen Gästen, und dann haben wir immer eine Betreuerin, die gibt sich einen westlichen Namen, die heißt Cherry. Das ist eine Studentin, und die führt uns dann ein bisschen durch Shanghai. Und wir sprechen natürlich auch mit ihr übers Kino. Und die Idee, dass Kino auch eine Kunstform sein kann, die gibt es gar nicht. Es wird jetzt erst so mehr und mehr entdeckt, dass Kino dir auch zeigen kann, wie Leute in anderen Ländern leben, was für einen Alltag sie haben, wie sie arbeiten, wie sie lieben. Das wird jetzt alles erst entdeckt.
Wellinski: Das wirkt so, als wäre diese Unterscheidung, die wir ja im Kopf haben, also quasi Blockbuster-Mainstream und Arthouse-Filmkunst, so wird gar nicht gedacht vor Ort?
Leweke: Nein, überhaupt nicht. In Peking gibt es ein Arthouse-Kino schon seit Längerem, das wird aber auch von Hongkong-Chinesen betrieben, dort laufen auch nur Blockbuster. Kino ist Jahrmarkt, Action, Kitsch, Liebesgeschichten, Spezialeffekte. Und so langsam fängt man an, doch diese Unterscheidung zu machen. Alles, was englischsprachig ist, ist dann Arthouse. Und demnächst kommt ja die deutsche Komödie "Hot Dog" mit Til Schweiger und Matthias Schweighöfer hier in die Kinos, also ganz offiziell. Und das ist dann ein deutscher Arthouse-Film.
Wellinski: Das wird, glaube ich, die beiden sehr freuen, diese Aufwertung haben sie bestimmt nicht erwartet. Wird das denn so bleiben, Anke? Weil ich meine, wenn, wir haben es ja gerade vom ARD-Korrespondenten gehört, man will Geld machen, und dann kann man ja auch sagen, auch Arthouse ist durchaus eine Sparte, die Geld einbringen kann.
Berlinale-Gewinner läuft zensiert
Leweke: Jetzt wird es ein bisschen kompliziert. Die Big Players, also die großen Studios aus Amerika wollen natürlich am Einspielergebnis hier in China, das ist der zweitgrößte Filmmarkt überhaupt, teilhaben. Wir haben es ja eben gehört, mit 25 Prozent können sie an den Einspielergebnissen auch teilhaben. Jetzt gibt es aber einen sogenannten Arthouse-Circuit. Das heißt, die kaufen dann Filme von europäischen Produzenten, die bezahlen nur eine bestimmte Summe. Und diese Produzenten werden dann an dem Einspielergebnis nicht teilhaben können. Aber dafür sind diese Filme nicht der Quote unterworfen, natürlich trotzdem der Zensur.
Diese Filme werden dann nur in bestimmten Kinos zu bestimmten Zeiten laufen, das ist dann meistens vormittags, wenn sowieso nicht so viele Leute ins Kino gehen. Aber immerhin läuft dann bald offiziell der letztjährige Berlinale-Gewinner, "Body and Soul", immerhin auf 2.000 Leinwänden. Und der muss natürlich auch ein bisschen zensiert werden: Die zarte Liebesgeschichte spielt ja in einem Schlachthaus, und diese Schlachthausszenen mussten reduziert werden.
Wellinski: Dabei ist das ja so ein Blick auch in – oder eine Metapher auf das heutige Ungarn. Und du hattest ja schon erwähnt, die Leute sind interessiert vielleicht ja auch an Geschichten aus dem Alltag, aus anderen Ländern. Die Frage, die sich da auch stellt, sind sie das denn auch, was Geschichten aus dem eigenen Land angeht, die vielleicht nicht die Glanzseite zeigen?
Die jungen Regisseure wollen auch soziales Kino machen
Leweke: Das ist eine interessante Frage. Die Kinobesucher, das sind ja – meistens bestehen die aus der neuen Mittelschicht, und die wollen ja jetzt nicht unbedingt die Geschichten von Menschen sehen, die sie in einem gewissen Sinne auch abgehängt haben, die als Servicekräfte für ihr Wohlergehen sorgen. Kino ist doch dann in erster Linie erst mal Vergnügen und soll keine schwere Kost sein. Aber trotzdem gibt es gerade bei jungen chinesischen Filmemachern so ein Verantwortungsgefühl, auch soziales Kino zu machen, weil die Informationen sind ja relativ beschränkt hier, und das Kino ist immerhin eine Möglichkeit, die Geschichten von Unterprivilegierten zu erzählen. #
Und da schließt sich jetzt auch historisch ein Kreis, weil 1920 war ja Shanghai schon mal eine Metropole, auch eine große Kinometropole. Und hier hat man wirklich soziales Kino gemacht, auch viele Frauengeschichten, ganz tragisch. Und das sind jetzt eigentlich alles Klassiker der chinesischen Filmgeschichte.
Wellinski: Anke Leweke berichtete vom 21. Internationalen Filmfestival in Shanghai. Vielen Dank!
Leweke: Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.