Filmische Anklage gegen Genitalverstümmelung

Von Leonie March |
Vier Mädchen flüchten vor der traditionellen Beschneidung in einem Dorf in Burkina Faso. Sie erhalten Schutz bei Collé, die die Mädchen abschirmt. Dadurch schafft sie einen Eklat und ein Streit zwischen Frauen und Männern beginnt. Tradition und Moderne stehen sich im Film "Moolaadé" des senegalesischen Regisseurs Ousmane Sembène gegenüber.
Ein Bambara-Dorf in Burkina-Faso: Frauen gehen mit Wasserkrügen auf dem Kopf zum Brunnen, Kinder sitzen im Schatten eines Baumes, in der Mitte die Moschee, aus Lehm gebaut, wie die Stroh gedeckten Häuser der Dorfbewohner. In dieser Eröffnungs-Sequenz von "Moolaadé" stellt Regisseur Ousmane Sembène den Schauplatz der Geschichte vor: eine räumliche Orientierung für den Zuschauer, eine Andeutung der herrschenden Kultur.

Eine typische, patriarchalische, muslimisch geprägte Dorfgemeinschaft in Westafrika: Die Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder, verneigen sich respektvoll, sobald ein Mann auf der Bildfläche erscheint. Schnell konzentriert sich alles auf einen Hof - hier wohnt Bathily mit seinen drei Frauen und etlichen Kindern. Er bricht an dem Morgen zur Jagd auf, an dem vier Mädchen auf den Hof gerannt kommen, blaue Tücher um die Hüften, weiße um die Schultern.

Es ist die traditionelle Zeit der Beschneidung - die Mädchen sind vor dem blutigen Ritual geflüchtet, suchen Zuflucht bei Collé, der zweiten Frau Bathilys, denn sie hat vor einigen Jahren bereits ihre Tochter erfolgreich vor der Beschneidung bewahrt. Ein Novum im Dorf, ein umstrittener Präzedenzfall.

Collè spannt ein buntes Seil quer über den Eingang zu ihrem Hof, kurz über der Schwelle, schafft damit einen traditionellen Schutzraum für die Mädchen, den Moolaadé. Wer diesen Bann bricht, sagt Collé, ist verflucht und wird sterben.

Das Seil ist ein Symbol für eine uralte mündliche Überlieferung, ein ungeschriebenes Gesetz, dass tief im Bewusstsein vieler Dorfbewohner in Westafrika verankert ist, erklärt Regisseur Ousmane Sembène. Entsprechungen gäbe es aber auch in anderen Kulturen.

"'Moolaadé' ist ein Wort in der Sprache der Pulaar. Es ist das Asylrecht, das Schutzrecht. Wenn zum Beispiel ein Vater sein Kind schlagen will und es sich hinter ihnen versteckt, dann beschützen sie es, egal, welchen Fehler es gemacht hat. Auf diese Weise sind alle Gesetze entstanden und in Afrika existieren die ursprünglichen Traditionen immer noch."

Im Film beginnt nun ein Machtkampf - zwischen Tradition und Moderne, zwischen Frauen und Männern, zwischen der älteren und der jüngeren Generation im Dorf. Im Zentrum: der Streit um die weibliche Beschneidung. Eindringliche Bilder führen dem Zuschauer die Qual der Mädchen vor Augen, die Schmerzen, die sie ihr Leben lang erleiden, die häufig tödlichen Folgen durch Infektionen, nachdem Schamlippen und Klitoris mit einfachen Messern abgeschnitten, die Genitalien bis auf ein winziges Loch zusammen genäht wurden, das Risiko, dass die Frauen bei der Geburt ihrer Kinder sterben.

Ousmane Sembène bezieht hier eindeutig Stellung, nutzt das Medium Film, für eine politische Botschaft. Ein Appell, die Genitalverstümmelung endlich zu beenden, die in vielen Ländern noch heute praktiziert wird und an deren Folgen Schätzungen zufolge weltweit jedes Jahr zwei Millionen Mädchen sterben.

"Ich habe zwei Jahre lang für diesen Film recherchiert. Ich arbeite an mehreren Synchronfassungen, so dass möglichst viele Menschen den Film sehen und verstehen können. Außerdem veranstalte ich Open-Air-Vorführungen mit Frauengruppen, Hebammen und Ärztinnen, um die Debatte über das Problem der Beschneidung und der Freiheit grundsätzlich anzustoßen."

Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung - auch um diese Themen geht es in Sembènes Film. Der Ältestenrat macht die Radios für die Aufmüpfigkeit der Frauen verantwortlich, beschlagnahmt und verbrennt sie - unmittelbar vor der Moschee. Doch die Frauen lassen sich nicht einschüchtern, sind nun geeint in ihrem Protest, fordern lautstark und endlich selbstbewusst ihre Rechte ein.

"Das Radio spielt eine sehr große Rolle in den afrikanischen Dorfgemeinschaften. Es gibt einige freie Radiosender, in denen die Bürger zu Wort kommen und auch Kritik an den Regierungen und Religionsführern üben. Die versuchen deshalb immer wieder, diese lokalen Radiosender zu schließen. Es ist ein täglicher Kampf, bei dem Radios auch schon mal, wie im Film, verbrannt wurden."

Seit fast einem halben Jahrhundert tritt der Regisseur Ousmane Sembène bereits für die Freiheit ein, beschäftigt sich mit den Folgen des Kolonialismus und der Globalisierung, kritisiert die neue afrikanische Bourgeoisie und den Einfluss des Islam. Der Senegalese war einer der ersten unabhängigen Filmemacher des Kontinents, wird deshalb als "Vater des afrikanischen Kinos" bezeichnet und sprüht auch mit 83 Jahren noch vor Kampfgeist. "Molaadé" ist der zweite Film einer Trilogie, in der es um die modernen Helden des afrikanischen Alltags geht. Ein Blick in ein eine andere Welt - intensiv und farbenfroh und trotz der Thematik oft auch fröhlich und unterhaltsam.