Filmische Entwicklungshilfe
Seit einigen Jahren organisiert der deutsche Regisseur Tom Tykwer in Kenias Hauptstadt Nairobi Workshops für junge, afrikanische Filmemacher, um ihnen das professionelle Handwerk beizubringen. Dabei ist jetzt mit "Nairobi Half Life" der zweite abendfüllende Spielfilm nach "Soul Boy" entstanden.
Susanne Burg: Tom Tykwers Lebensgefährtin Marie Steinmann arbeitet schon lange in der Entwicklungshilfe. Irgendwann wollte auch Tom Tykwer tätig werden, und er tat es in dem Bereich, von dem er am meisten versteht, nämlich dem Filmemachen. Tykwer und Steinmann gründeten die Initiative "One Fine Day Films" und begannen, in Workshops in Kenia mit jungen afrikanischen Talenten Filme zu entwickeln.
Jetzt ist der zweite Featurefilm entstanden in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle Akademie und mit 550.000 Euro unterstützt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ. "Nairobi Half Life" heißt das Werk, es ist der Debütfilm des kenianischen Regisseurs Tosh Gitonga. Tom Tykwer hat das Projekt bis zum Ende mit betreut, selbst als er schon längst mit den Dreharbeiten für seinen eigenen Mammutfilm "Cloud Atlas" beschäftigt war.
Vor einigen Wochen hatte "Nairobi Half Life" schließlich beim internationalen Filmfestival im südafrikanischen Durban Weltpremiere, und dort hat Leonie March den Film gesehen und mit dem kenianischen Regisseur gesprochen.
Und jetzt ist "Nairobi Half Life" sogar als kenianischer Kandidat für die Oscar-Nominierung ausgewählt worden. Und ab heute ist der Film in Deutschland zu sehen, heute Abend ist Premiere in Berlin. Und dabei ist auch der Produzent des Films, Tom Tykwer, ihn begrüße ich jetzt hier bei mir im Studio, guten Tag!
Tom Tykwer: Guten Tag!
Burg: Ja, Herr Tykwer, der Film entstand aus einem Workshop. Sieben Mentoren aus Deutschland und Großbritannien haben zwei Wochen lang unterrichtet, 57 Teilnehmer aus fünf afrikanischen Ländern hatten die Gelegenheit, teilzunehmen. Nun sind zwei Wochen nicht wirklich lang, um Menschen das Filmemachen beizubringen, was kann man ihnen überhaupt in so kurzer Zeit mitgeben?
Tykwer: Eine ganze Menge, das unterschätzt man doch. Wenn man die Kurse auf eine Weise gestaltet, wie es bei uns ist, 14 Tage lang nichts anderes stattfindet in dem Leben der Teilnehmer, dann wird man sich wundern, was da alles dann unterzubringen ist. Also, wir kommen ja mit sieben verschiedenen Kursen in Regie, Kamera, Schnitt, Ton, also, die ganzen Disziplinen, die so relevant sind fürs Filmemachen, und pro Segment dann ungefähr so zehn Teilnehmern auf so 70 Leute. Die werden alle im Hotel eingeschlossen quasi und ununterbrochen bearbeitet und bearbeiten sich natürlich gegenseitig.
Das ist eine Woche lang unterrichtsintensiv und in der zweiten Woche wird schon gedreht, werden drei Kurzfilme gemacht, die Departments müssen miteinander kooperieren und sich koordinieren. Und was auch immer besonders aufregend ist, ist, dass die Lehrer, die wir alle mitbringen, dass die abends dann noch nach Zwölf-Stunden, 14-Stunden-Tagen dann noch die ganzen Teilnehmer ins Kino zerren und dann einen Film zeigen, den sie selber gemacht haben. Der wird dann noch nachdiskutiert. Und meistens sind alle nach 14 Tagen fix und foxi.
Aber ich sage immer: Wenn ich den Kurs hätte machen dürfen vor 20 Jahren, dann wäre alles anders gewesen.
Burg: Wie viel filmische Vorbildung hatten die Teilnehmer?
Tykwer: Unsere Voraussetzung ist eigentlich, wir kriegen immer dann doch inzwischen einige Hundert Bewerbungen aus dem gesamten Kontinent. Worauf wir achten, ist, dass jeder, der sich bewirbt, mindestens irgendwie eine Art von Film gemacht hat, und sei es mit einem geklauten Handy im Hinterhof. Aber daran kann man oft eben so den wirklichen Druck, unter dem die stehen für ... die Begeisterung kann man daran sehr gut erkennen.
Burg: Aus diesem Workshop ausgewählt wurde dann in jedem Bereich eine Person, die an dem großen Projekt "Nairobi Half Life" mitgewirkt hat ...
Tykwer: Nein, mehrere Personen! Also Beim Regiebereich zum Beispiel ist es dann so, dass ... Natürlich kann nur einer die Regie machen, aber vielleicht ist ein anderer sehr Talentierter dabei, der kann dann das Making-of machen, ein Dritter assistiert. Also, wir nehmen eigentlich relativ viele Leute mit, also eigentlich alle, die irgendwie Lust haben ... natürlich auch manchmal die Zeit haben, weil, gut bezahlt wird natürlich niemand, und die irgendwie vielversprechend sind.
Burg: Als Hauptregisseur dieses Films wurde der Kenianer Tosh Gitonga ausgewählt. Warum er? Was hat er mitgebracht?
Tykwer: Er ist ziemlich jung, was immer auch erst mal Risiko ist, aber dann doch nicht zu jung, er war 27, als er den Film gemacht hat jetzt. Und er hat eine sehr interessante, beeindruckende Souveränität schon ausgestrahlt, auch schon während des Workshops. Er hat vor allen Dingen – was wahnsinnig wichtig schien – keine Angst vor Schauspielern. Weil, das Projekt, das entstand ja quasi in einem Parallelworkshop, in einem Drehbuchworkshop, schon seit Langem wurde das bearbeitet. Es war allen klar, dass es einen Regisseur braucht, der sich mit Schauspielern traut, der auch improvisieren kann, der einen starken Bezug zu einer improvisierten, aber starken Schauspielführung hat. Und hatte eine Vision, man spürte, dass das jemand ist, der Film kann.
Burg: Sie sind Produzent des Filmes, stehen im Abstand aber auch als Supervising-Regisseur. Wie viel Tykwer steckt denn in dem Film?
Tykwer: Das ist nur die Bezeichnung dafür, dass ich sozusagen für ihn da war, für Tosh und für das Department da war, wenn einfach eine Überforderung eintritt. Wir bringen die Leute schon ziemlich an ihre Grenzen einfach dadurch, dass viele von denen halt eigentlich überhaupt noch nie in einem größeren professionellen Kontext Filme gemacht haben und dann plötzlich in so einer Produktion stecken, die wirklich alles verlangt, eigentlich auf einem abwicklungstechnischen Niveau ist wie meine Filme.
Also, es gibt keinen Unterschied, das ist eine richtig große Crew, da geht es richtig zur Sache. Man muss morgens um sechs da stehen, und zwar pünktlich, und diese ganzen Details. Und ich glaube, meine Rolle besteht primär darin, immer dann, wenn Tosh manchmal einfach nach der zwölften Stunde vielleicht kurz mal einen Konzentrationskollaps hatte, zu mir kommen zu können und zu sagen, warte mal, was fehlt uns denn eigentlich noch? Und jemanden zu haben, der ihn einfach ununterbrochen daran erinnert, dass, was auch immer passiert, man muss die Szene, die auf der Dispo für den Tag steht, auch wirklich gedreht kriegen.
Burg: Tom Tykwer ist mein Gast hier im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über seine Initiative One Fine Day Films und den neuen Film "Nairobi Half Life", der heute Deutschlandpremiere hat. Vor zwei Jahren kam der erste Film der Initiative heraus, "Soul Boy", da sagten Sie, Herr Tykwer, im Interview, Sie wollten auf jeden Fall keine Filme unterstützen, die unseren europäischen Standards entsprechen, Sie wollten afrikanische Sehgewohnheiten kennenlernen. Was haben Sie in der Zwischenzeit über diese Sehgewohnheiten gelernt?
Tykwer: Sehr viel. Das ist natürlich auch das, was wir – also ich und Marie Steinmann, meine Frau, die eigentlich diese Initiative eingeleitet hat –, was wir davon haben – weil, man muss ja auch was davon haben, wenn man sich da so verausgabt – ... ist tatsächlich, dass ... es gibt eben eine spezifische – natürlich, ist ja auch selbstverständlich eigentlich –, eine spezifische kulturelle Perspektive, es gibt eine eigene Ästhetik, die aus einer Region erwächst. Und wir sind wahnsinnig neugierig an dieser Regionalität.
Und wenn man das jetzt im Detail natürlich beschreiben muss, ist das relativ umfangreich, aber so ganz grundsätzlich die Fähigkeit, sozusagen Situationen etwas abzugewinnen, das eine Plausibilität bewahrt, also sozusagen eine Offenheit gegenüber dem Augenblick wirklich zu haben und trotzdem Mythologien einfließen zu lassen, die aus der Kultur gewachsen sind. Das ist etwas, was bei uns eigentlich normalerweise immer ein Entweder-Oder hat. Entweder man macht irgendwie einen spontanen, authentischen, improvisierten Film oder man macht irgendein Märchen oder eine Genre-Inszenierung. In Ostafrika und speziell in Kenia, das ist in der Kultur eine ganz andere ... läuft das viel näher zusammen, viel mehr ineinander – was ganz faszinierende Resultate erzeugt!
Burg: Sie wollen mit dem Projekt auch den neuen afrikanischen Film, die kenianische Filmindustrie unterstützen. Es gibt eine kleine kenianische Filmindustrie im sogenannten Riverwood in Nairobi. Hier entstehen, wenn ich richtig informiert bin, sehr billige Filme, das heißt, sie werden an einem Tag gedreht, am nächsten geschnitten und am übernächsten verkauft.
Tykwer: So ungefähr!
Burg: Etwas übertrieben. – Wie steht es denn um die kenianische Filmindustrie, wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Tykwer: Ja, wir sind deswegen ja auch da gelandet oder haben da so stark Fuß fassen können, weil die Bedingungen eigentlich erst mal ziemlich gut sind, weil, es gibt überhaupt eine Grundinfrastruktur. Das ist zwar alles vielleicht so ein bisschen schrottig und überhaupt nicht so Hightech, aber es gibt sogar ein paar kleine Studios, es wird durchaus eine stattliche Zahl von Fernsehproduktionen hergestellt, die sind meistens natürlich so Serien, die auch sehr einfach konstruiert sind. Aber das Niveau ist in den letzten Jahren etwas gewachsen, insofern gibt es eine ... Es gibt eine Basis, auf der aufzubauen ist.
Und was natürlich fehlt und worauf wir halt so setzen, wo wir so einen Druck drauf machen, ist, dass eine stärkere Energie in Richtung der genuin selbst entwickelten Stoffe, die sich nicht so sehr um so eine bestimmte internationale Vermarktung kümmern, dass sich das verstärkt. Weil das Verrückte im Nachhinein ja immer ist, je lokaler und je spezifischer die Geschichten erzählt werden mit einem größeren Selbstbewusstsein zur eigenen Ästhetik, desto erfolgreicher können sie eigentlich um die Welt reisen. Weil das ja in Wahrheit das ist, was alle sehen wollen.
Das ist nicht der Versuch eines schlechten Hollywood oder der Versuch, irgendwelchen Festival-Kategorien angeblich sich anpassen zu müssen, sondern in der Sprache, in der Haltung und auch in der ästhetischen Perspektive einer eigenen Kultur etwas zum Ausdruck zu bringen, was vielleicht dann auch die Leute vor Ort am allerbesten verstehen.
Der Film ist jetzt gerade gestartet in Nairobi, ist ein Riesenhit, ist also doppelt so erfolgreich wie "The Dark Knight" oder solche Filme, und es gibt eh nur noch so wenige Kinos da, und dass die jetzt gerade proppenvoll seit sechs Wochen mit diesem Film sind, ist natürlich für uns eine unglaubliche Bestätigung mit dieser ganzen Idee!
Burg: Heute Abend ist Premiere des Films "Nairobi Half Life" in Berlin. Danach geht er auf große Kinotour durch Deutschland, auch der Regisseur Tosh Gitonga und der Hauptdarsteller Joseph Wairimu werden dabei sein. Produziert hat den Film unter anderem Tom Tykwer, vielen Dank, dass Sie bei uns im Studio waren, Herr Tykwer!
Tykwer: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Mehr zum Thema:"
"Etwas einfangen, was unerwartet ist" - "Soul Boy"-Regisseur über die Dreharbeiten
Jetzt ist der zweite Featurefilm entstanden in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle Akademie und mit 550.000 Euro unterstützt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ. "Nairobi Half Life" heißt das Werk, es ist der Debütfilm des kenianischen Regisseurs Tosh Gitonga. Tom Tykwer hat das Projekt bis zum Ende mit betreut, selbst als er schon längst mit den Dreharbeiten für seinen eigenen Mammutfilm "Cloud Atlas" beschäftigt war.
Vor einigen Wochen hatte "Nairobi Half Life" schließlich beim internationalen Filmfestival im südafrikanischen Durban Weltpremiere, und dort hat Leonie March den Film gesehen und mit dem kenianischen Regisseur gesprochen.
Und jetzt ist "Nairobi Half Life" sogar als kenianischer Kandidat für die Oscar-Nominierung ausgewählt worden. Und ab heute ist der Film in Deutschland zu sehen, heute Abend ist Premiere in Berlin. Und dabei ist auch der Produzent des Films, Tom Tykwer, ihn begrüße ich jetzt hier bei mir im Studio, guten Tag!
Tom Tykwer: Guten Tag!
Burg: Ja, Herr Tykwer, der Film entstand aus einem Workshop. Sieben Mentoren aus Deutschland und Großbritannien haben zwei Wochen lang unterrichtet, 57 Teilnehmer aus fünf afrikanischen Ländern hatten die Gelegenheit, teilzunehmen. Nun sind zwei Wochen nicht wirklich lang, um Menschen das Filmemachen beizubringen, was kann man ihnen überhaupt in so kurzer Zeit mitgeben?
Tykwer: Eine ganze Menge, das unterschätzt man doch. Wenn man die Kurse auf eine Weise gestaltet, wie es bei uns ist, 14 Tage lang nichts anderes stattfindet in dem Leben der Teilnehmer, dann wird man sich wundern, was da alles dann unterzubringen ist. Also, wir kommen ja mit sieben verschiedenen Kursen in Regie, Kamera, Schnitt, Ton, also, die ganzen Disziplinen, die so relevant sind fürs Filmemachen, und pro Segment dann ungefähr so zehn Teilnehmern auf so 70 Leute. Die werden alle im Hotel eingeschlossen quasi und ununterbrochen bearbeitet und bearbeiten sich natürlich gegenseitig.
Das ist eine Woche lang unterrichtsintensiv und in der zweiten Woche wird schon gedreht, werden drei Kurzfilme gemacht, die Departments müssen miteinander kooperieren und sich koordinieren. Und was auch immer besonders aufregend ist, ist, dass die Lehrer, die wir alle mitbringen, dass die abends dann noch nach Zwölf-Stunden, 14-Stunden-Tagen dann noch die ganzen Teilnehmer ins Kino zerren und dann einen Film zeigen, den sie selber gemacht haben. Der wird dann noch nachdiskutiert. Und meistens sind alle nach 14 Tagen fix und foxi.
Aber ich sage immer: Wenn ich den Kurs hätte machen dürfen vor 20 Jahren, dann wäre alles anders gewesen.
Burg: Wie viel filmische Vorbildung hatten die Teilnehmer?
Tykwer: Unsere Voraussetzung ist eigentlich, wir kriegen immer dann doch inzwischen einige Hundert Bewerbungen aus dem gesamten Kontinent. Worauf wir achten, ist, dass jeder, der sich bewirbt, mindestens irgendwie eine Art von Film gemacht hat, und sei es mit einem geklauten Handy im Hinterhof. Aber daran kann man oft eben so den wirklichen Druck, unter dem die stehen für ... die Begeisterung kann man daran sehr gut erkennen.
Burg: Aus diesem Workshop ausgewählt wurde dann in jedem Bereich eine Person, die an dem großen Projekt "Nairobi Half Life" mitgewirkt hat ...
Tykwer: Nein, mehrere Personen! Also Beim Regiebereich zum Beispiel ist es dann so, dass ... Natürlich kann nur einer die Regie machen, aber vielleicht ist ein anderer sehr Talentierter dabei, der kann dann das Making-of machen, ein Dritter assistiert. Also, wir nehmen eigentlich relativ viele Leute mit, also eigentlich alle, die irgendwie Lust haben ... natürlich auch manchmal die Zeit haben, weil, gut bezahlt wird natürlich niemand, und die irgendwie vielversprechend sind.
Burg: Als Hauptregisseur dieses Films wurde der Kenianer Tosh Gitonga ausgewählt. Warum er? Was hat er mitgebracht?
Tykwer: Er ist ziemlich jung, was immer auch erst mal Risiko ist, aber dann doch nicht zu jung, er war 27, als er den Film gemacht hat jetzt. Und er hat eine sehr interessante, beeindruckende Souveränität schon ausgestrahlt, auch schon während des Workshops. Er hat vor allen Dingen – was wahnsinnig wichtig schien – keine Angst vor Schauspielern. Weil, das Projekt, das entstand ja quasi in einem Parallelworkshop, in einem Drehbuchworkshop, schon seit Langem wurde das bearbeitet. Es war allen klar, dass es einen Regisseur braucht, der sich mit Schauspielern traut, der auch improvisieren kann, der einen starken Bezug zu einer improvisierten, aber starken Schauspielführung hat. Und hatte eine Vision, man spürte, dass das jemand ist, der Film kann.
Burg: Sie sind Produzent des Filmes, stehen im Abstand aber auch als Supervising-Regisseur. Wie viel Tykwer steckt denn in dem Film?
Tykwer: Das ist nur die Bezeichnung dafür, dass ich sozusagen für ihn da war, für Tosh und für das Department da war, wenn einfach eine Überforderung eintritt. Wir bringen die Leute schon ziemlich an ihre Grenzen einfach dadurch, dass viele von denen halt eigentlich überhaupt noch nie in einem größeren professionellen Kontext Filme gemacht haben und dann plötzlich in so einer Produktion stecken, die wirklich alles verlangt, eigentlich auf einem abwicklungstechnischen Niveau ist wie meine Filme.
Also, es gibt keinen Unterschied, das ist eine richtig große Crew, da geht es richtig zur Sache. Man muss morgens um sechs da stehen, und zwar pünktlich, und diese ganzen Details. Und ich glaube, meine Rolle besteht primär darin, immer dann, wenn Tosh manchmal einfach nach der zwölften Stunde vielleicht kurz mal einen Konzentrationskollaps hatte, zu mir kommen zu können und zu sagen, warte mal, was fehlt uns denn eigentlich noch? Und jemanden zu haben, der ihn einfach ununterbrochen daran erinnert, dass, was auch immer passiert, man muss die Szene, die auf der Dispo für den Tag steht, auch wirklich gedreht kriegen.
Burg: Tom Tykwer ist mein Gast hier im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über seine Initiative One Fine Day Films und den neuen Film "Nairobi Half Life", der heute Deutschlandpremiere hat. Vor zwei Jahren kam der erste Film der Initiative heraus, "Soul Boy", da sagten Sie, Herr Tykwer, im Interview, Sie wollten auf jeden Fall keine Filme unterstützen, die unseren europäischen Standards entsprechen, Sie wollten afrikanische Sehgewohnheiten kennenlernen. Was haben Sie in der Zwischenzeit über diese Sehgewohnheiten gelernt?
Tykwer: Sehr viel. Das ist natürlich auch das, was wir – also ich und Marie Steinmann, meine Frau, die eigentlich diese Initiative eingeleitet hat –, was wir davon haben – weil, man muss ja auch was davon haben, wenn man sich da so verausgabt – ... ist tatsächlich, dass ... es gibt eben eine spezifische – natürlich, ist ja auch selbstverständlich eigentlich –, eine spezifische kulturelle Perspektive, es gibt eine eigene Ästhetik, die aus einer Region erwächst. Und wir sind wahnsinnig neugierig an dieser Regionalität.
Und wenn man das jetzt im Detail natürlich beschreiben muss, ist das relativ umfangreich, aber so ganz grundsätzlich die Fähigkeit, sozusagen Situationen etwas abzugewinnen, das eine Plausibilität bewahrt, also sozusagen eine Offenheit gegenüber dem Augenblick wirklich zu haben und trotzdem Mythologien einfließen zu lassen, die aus der Kultur gewachsen sind. Das ist etwas, was bei uns eigentlich normalerweise immer ein Entweder-Oder hat. Entweder man macht irgendwie einen spontanen, authentischen, improvisierten Film oder man macht irgendein Märchen oder eine Genre-Inszenierung. In Ostafrika und speziell in Kenia, das ist in der Kultur eine ganz andere ... läuft das viel näher zusammen, viel mehr ineinander – was ganz faszinierende Resultate erzeugt!
Burg: Sie wollen mit dem Projekt auch den neuen afrikanischen Film, die kenianische Filmindustrie unterstützen. Es gibt eine kleine kenianische Filmindustrie im sogenannten Riverwood in Nairobi. Hier entstehen, wenn ich richtig informiert bin, sehr billige Filme, das heißt, sie werden an einem Tag gedreht, am nächsten geschnitten und am übernächsten verkauft.
Tykwer: So ungefähr!
Burg: Etwas übertrieben. – Wie steht es denn um die kenianische Filmindustrie, wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Tykwer: Ja, wir sind deswegen ja auch da gelandet oder haben da so stark Fuß fassen können, weil die Bedingungen eigentlich erst mal ziemlich gut sind, weil, es gibt überhaupt eine Grundinfrastruktur. Das ist zwar alles vielleicht so ein bisschen schrottig und überhaupt nicht so Hightech, aber es gibt sogar ein paar kleine Studios, es wird durchaus eine stattliche Zahl von Fernsehproduktionen hergestellt, die sind meistens natürlich so Serien, die auch sehr einfach konstruiert sind. Aber das Niveau ist in den letzten Jahren etwas gewachsen, insofern gibt es eine ... Es gibt eine Basis, auf der aufzubauen ist.
Und was natürlich fehlt und worauf wir halt so setzen, wo wir so einen Druck drauf machen, ist, dass eine stärkere Energie in Richtung der genuin selbst entwickelten Stoffe, die sich nicht so sehr um so eine bestimmte internationale Vermarktung kümmern, dass sich das verstärkt. Weil das Verrückte im Nachhinein ja immer ist, je lokaler und je spezifischer die Geschichten erzählt werden mit einem größeren Selbstbewusstsein zur eigenen Ästhetik, desto erfolgreicher können sie eigentlich um die Welt reisen. Weil das ja in Wahrheit das ist, was alle sehen wollen.
Das ist nicht der Versuch eines schlechten Hollywood oder der Versuch, irgendwelchen Festival-Kategorien angeblich sich anpassen zu müssen, sondern in der Sprache, in der Haltung und auch in der ästhetischen Perspektive einer eigenen Kultur etwas zum Ausdruck zu bringen, was vielleicht dann auch die Leute vor Ort am allerbesten verstehen.
Der Film ist jetzt gerade gestartet in Nairobi, ist ein Riesenhit, ist also doppelt so erfolgreich wie "The Dark Knight" oder solche Filme, und es gibt eh nur noch so wenige Kinos da, und dass die jetzt gerade proppenvoll seit sechs Wochen mit diesem Film sind, ist natürlich für uns eine unglaubliche Bestätigung mit dieser ganzen Idee!
Burg: Heute Abend ist Premiere des Films "Nairobi Half Life" in Berlin. Danach geht er auf große Kinotour durch Deutschland, auch der Regisseur Tosh Gitonga und der Hauptdarsteller Joseph Wairimu werden dabei sein. Produziert hat den Film unter anderem Tom Tykwer, vielen Dank, dass Sie bei uns im Studio waren, Herr Tykwer!
Tykwer: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Mehr zum Thema:"
"Etwas einfangen, was unerwartet ist" - "Soul Boy"-Regisseur über die Dreharbeiten