Info: Die Filmmusiken von Tariwerdijew sind bei Earth Recordings erschienen und können über deren Bandcamp-Site heruntergeladen werden.
Soundtracks voll feinsinniger Eleganz
Mikael Tariwerdijew ist auch im heutigen Russland - 20 Jahre nach seinem Tod - noch ein bekannter Name. Er komponierte die Musik zu populären sowjetischen Filmen. Im Westen kennt man ihn kaum, was eine jetzt erschienene 3-CD-Box mit seinen Soundtracks ändern könnte.
In einem Café in Moskau hörte der britische Sänger Stephen Coates vor vier Jahren eine Musik, die ihn regelrecht elektrisierte. Es war der Soundtrack von Mikael Tariwerdijew zum Film "Doswidanja Maltschiki" , "Aufwiedersehen, Jungs", entstanden im politischen Tauwetter zu Beginn der 60er-Jahre. Die Geschichte von drei Halbwüchsigen in einer russischen Küstenstadt, die ihrer behüteten Kindheit entkommen wollen und voller Naivität in das Grauen des II. Weltkriegs ziehen.
Der Regisseur des Films, Michail Kalik, lebt heute 88-jährig in Israel. Zum 50-jährigen Jubiläum seines cineastischen Meisterstücks kehrte er zurück nach Moskau und beschrieb, wie sehr sich Tariwerdijews Handschrift damals von der vorherrschenden sowjetischen Klangsprache großer sinfonischer Soundtracks unterschied:
"Hier war zum ersten Mal eine Musik zu hören, die subtil und erlesen war. Sie war nicht laut, doch sie zog dich völlig in ihren Bann, verzauberte dich. Du hast dich ihr freiwillig vollkommen ausgeliefert. Seine Musik war einfach etwas ganz anderes - praktisch eine Revolution. Er hat mich so gut verstanden. Es war, als hätte er für mich gedacht. So etwas habe ich nie wieder erlebt."
Musik für rund 130 Filme
Der jüdische Regisseur Kalik und der Komponist Tariwerdijew waren mehr als nur Kollegen. Sie verband Freundschaft, vielleicht sogar Seelenverwandtschaft, denn beide waren Sowjetbürger mit nicht-russischen Wurzeln - ein Umstand, der im Pass in der Zeile "Nationalität" explizit vermerkt war.
Mikael Tariwerdijew wurde 1931 im georgischen Tiflis als Sohn armenischer Eltern geboren. Er studierte Komposition bei seinem berühmten Landsmann Aram Khatchaturian am Moskauer Gnessin-Institut und schrieb schon als junger Mann in den frühen 50er-Jahren kammermusikalische Werke, aber auch ein Konzert für Stimme und Orchester. Er vertonte Shakespeare-Sonette und Zeilen russischsprachiger Dichter, von Majakowskij und Tsvetaewa bis hin zu Zeitgenossen wie Jewtuschenko.
Ende der 50er-Jahre schrieb Mikael Tariwerdijew seine erste Filmmusik - er war damit in der damaligen Sowjetunion in guter Gesellschaft. Viele, später auch berühmte Komponisten-Kollegen wie etwa Alfred Schnittke oder Sofia Gubaidulina, bestritten wie er ihren Lebensunterhalt mit Filmkompositionen.
Tariwerdijew allerdings blieb dem Genre nachhaltig treu: Bis zu seinem Tod im Sommer 1996 schrieb er für rund 130 Filme, darunter echte russische Klassiker wie "17 Momente des Frühlings" oder "Ironie des Schicksals" von Eldar Rjasanow aus dem Jahr 1975, der bis heute alljährlich an Silvester über russische Bildschirme flimmert.
Tariwerdijew, der russische Leonard Cohen
Vier Jahre sind vergangen, seit Stephen Coates die Musik von Tariwerdijew erstmals im Moskauer Café gehört hatte. Der Brite beließ es nicht bei der einmaligen Begegnung. Er suchte die Witwe des Komponisten, Vera Tariverdiewa auf, und versammelte mit ihrer Zustimmung aus vielen hundert gut erhaltenen Magnettonbändern eine Auswahl von Tariwerdijews Kompositionen. Sie hatten all die Jahrzehnte in seiner letzten Moskauer Wohnung gelagert.
Lyrische, so verspielte wie ausdrucksstarke Stücke, zwischen Chanson und russischer Estraden-Musik, die ein Stück weit auch den Menschen Tariwerdijew selbst beschreiben. Er war ein Mann, der wohl nicht nur optisch an die Eleganz und Feinsinnigkeit eines Leonard Cohen erinnert:
Kalik: "Er war so ein klassischer Künstler-Typ, allein schon durch seine Wortwahl, seine Musik. Ein ganz künstlerischer Mensch, groß von Wuchs, sein Gesicht schön anzusehen. Ein großer Freund der Frauen, die liebten ihn sehr - und wenn er sich dann noch ans Klavier setzte, dann war es vollends um sie geschehen."