Protest, Melancholie und ein blutiger Esel
05:19 Minuten
„Keine Kultur, keine Zukunft“ – mit diesen Worten auf dem nackten Körper setzte die Schauspielerin Corinne Masiero bei der Verleihung des Filmpreises César ein Zeichen: ein Abend voller politischer Appelle und etwas Traurigkeit.
"Adieu les cons" ist der große Gewinner des Abends, zu Deutsch: "Auf Wiedersehen, ihr Idioten!" Kurz nach Mitternacht gab der Schauspieler Roschdy Zem die Tragikomödie als besten Film bekannt. Insgesamt sieben Césars bekam die Geschichte einer todkranken Frau, die mithilfe eines gescheiterten Beamten und eines blinden Archivars ihr Kind finden will, das sie als Teenagerin bekam.
Ein Abend voller Appelle ...
Regisseur Albert Dupontel war bei der Preisverleihung nicht dabei. Seine Lebensgefährtin und Produzentin des Films, Catherine Bozorgan, nahm die Trophäen entgegen. Und sie hatte eine politische Botschaft:
"Frankreich ist das schönste Land der Welt, um ins Kino zu gehen. Und es ist eines der Länder, das uns die geringsten Perspektiven für eine Wiedereröffnung der Säle bietet. Wir verstehen die Politik der Regierung nicht. Die Kultur ist die Identität Frankreichs und der ganzen Welt!"
Der Abend war voll von solchen Appellen. Der drastischste kam von der Schauspielerin Corinne Masiero, die den Preis für das beste Kostüm verlieh. Sie kam selbst in einer blutigen Eselsverkleidung auf die Bühne und zog sich schließlich nackt aus. Über Brust und Bauch stand in schwarzen großen Lettern: "No culture, no future" – "Keine Kultur, keine Zukunft" – und auf ihrem Rücken prangte: "Gib uns die Kunst zurück, Jean!" Gemeint war Premierminister Jean Castex. "Jetzt sind wir so, sagt Masiero, ganz nackt!"
... und voller Melancholie
Neben viel Freude, Glamour und Zuversicht war an dem Abend auch immer wieder die Traurigkeit und Melancholie spürbar. Seit einem Jahr, in dem Frankreichs Kinos nur vier Monate geöffnet waren, warten die Filmschaffenden im Land verzweifelt auf ein Signal der Öffnung.
Auch Laure Calamy, die den César als beste Schauspielerin bekam, für die Rolle einer verliebten Wanderin in dem Film "Antoinette in den Cevennen", nahm darauf Bezug. Aber erst nachdem sie sich gefangen hatte.
"Entschuldigung! Vielen Dank. Lassen Sie uns doch unseren Durst nach Sinn oder Unsinn stillen. Lassen Sie uns in unsere Fantasiewelt auswandern, lassen sie uns das hören, was aus uns Menschen macht."
Träume von Kinosälen
Der Komikerin Marina Foïs, die heiter-ironisch durch den Abend führte, war ebenfalls anzumerken, wie ihr die Krise der Pandemie zusetzt:
"Ich träume von Sälen, von den großen Leinwänden mit vielen Leuten davor. Ich will mit Unbekannten lachen und weinen. Das fehlt mir mordsmäßig! Ja, sogar Euer Popcorn fehlt mir."
"Ich träume von Sälen, von den großen Leinwänden mit vielen Leuten davor. Ich will mit Unbekannten lachen und weinen. Das fehlt mir mordsmäßig! Ja, sogar Euer Popcorn fehlt mir."
Im legendären Pariser Veranstaltungssaal Olympia waren für die César-Verleihung nur etwa 150 Gäste zugelassen. Auf den roten Sesselreihen mussten die Abstände gewahrt und Masken getragen werden. Der feierlichen Stimmung konnte das aber nichts antun. Nach dem Eklat im letzten Jahr, nach den Vorwürfen, die Jury handele intransparent, sie sei weder paritätisch noch divers, setzte man dieses Mal Contra-Akzente.
Nachwuchspreise für Fathia Youssouf und Jean-Pascal Zadi
Als beste Nachwuchstalente wurden die Schwarze Schauspielerin Fathia Youssouf und der Schwarze Schauspieler Jean-Pascal Zadi ausgezeichnet. Die erst 14-jährige Youssouf spielt in dem Film "Les Mignonnes" – "Die Süßen" – ein Mädchen aus dem Senegal, das in Konflikt mit den familiären Traditionen gerät.
Sie wandte sich an die jungen Menschen: "Ich möchte allen Leuten in meinem Alter sagen, die Kino machen wollen oder eine Leidenschaft haben, sie sollen ihren Träumen folgen, denn das ist das Wichtigste."
Jean-Pascal Zadi bekam den Preis für seinen Film "Tout simplement noir" – "Einfach nur schwarz" –, eine Komödie um die Frage der schwarzen Identität. Auch er nutzte die Bühne für eine politische Botschaft und zitierte den französischen Schriftsteller Frantz Fanon: "Jede Generation muss ihre Mission finden – sie erfüllen oder verraten. Danke an die Jury, dass sie mir bewiesen hat, dass meine Mission nicht vergeblich war."
Sein Film erzähle über die Humanität, so Zadi. Man müsse sich fragen, ob die für alle gelte, "wenn die Sklaverei 2001 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit festgehalten wurde, und heute auf den öffentlichen Plätzen manche Leute, die aktiv bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitgemacht haben, mit Statuen geehrt werden".
Ozon und Mouret gingen leer aus
Enttäuschend war der Abend für den Regisseur François Ozon und das Team um das Filmdrama "Sommer 85". Das ging trotz zwölf Nominierungen leer aus. Auch die Hoffnungen von Regisseur Emmanuel Mouret mit "Les choses qu´on dit, les choses qu´on fait" – "Was man denkt und was man tut" – wurden nicht erfüllt. In 13 Kategorien war der Streifen nominiert. Auszeichnung gab es schließlich nur eine: Émilie Dequenne bekam den César für die beste weibliche Nebenrolle. Als bester ausländischer Film wurde die Sozialsatire "Der Rausch" des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg geehrt.