Artur Brauner wird 100 Jahre alt
Als 30-Jähriger zeigte Artur Brauner 1948 seinen ersten Film. Seitdem hat der Sohn eines jüdischen Holzhändlers aus Lodz viele Unterhaltungsfilme produziert, aber auch ernste Werke über den Holocaust. Hartwig Tegeler gratuliert zum 100. Geburtstag.
Was ein Grundimpuls eines Lebens sein kann? Das eines Filmproduzenten? Na ja: die Liebe zum Film:
"Also richtig lieben, um Filme zu produzieren. Das muss von innen kommen. Aber dann sind diese Filme richtig. Dann stimmen die, weil sie unverfälscht sind."
Was aber, wenn die Unverfälschtheit, von der Artur Brauner 2015 in einem Interview mit dem WDR sprach, auf den Widerwillen des Publikums stößt?
Hamburg, September 1948, deutsche Uraufführung eines Films, der in einem Konzentrationslager spielt. 1948! Ein polnischer Arzt selektiert die Häftlinge:
"Arbeitsfähig. Arbeitsfähig."
Die anderen, die Arbeitsunfähigen, müssen die sofortige Vergasung fürchten. Sie sind die "Todgeweihten", die "morituri", die dann aus dem KZ fliehen können, was aber nicht ihre Rettung bedeutet. "Morituri", das war auch der Titel des ersten Films nach 1945, der den Holocaust thematisierte. Produziert vom damals 30-jährigen Artur Brauner.
Acht Mal in der Woche ins Kino
Artur Brauner, Sohn eines jüdischen Holzgroßhändlers aus dem polnischen Lodz. Schon als Junge war er ein Filmbegeisterter:
"Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr ging ich acht Mal in der Woche ins Kino. Sonntags zwei Mal und wochentags ein Mal nach der Schule. Jeden Tag."
1940 flüchtete Artur Brauner in die UdSSR, überlebte dort im Untergrund den Überfall der Nazis und, im Gegensatz zu vielen seiner Verwandten, auch den Holocaust. Kurz nach Kriegsende gelangte Brauner nach West-Berlin, wo er die "Central Cinema Compagnie", die "CCC"-Produktionsfirma, gründete. Hollywood an der Spree. Finanzierung mit einem großen Koffer Bargeld, wie kolportiert wurde:
"Nein, das stimmt nicht. Wir haben einige kostbare Schmuckstücke, die wir gerettet haben, hier verwertet, um Filme zu machen."
Die Gründung von "CCC" war nötig, um die Lizenz für den Dreh von "Morituri" zu bekommen. Doch einen Film über KZs wollten die Zuschauer 1948 nicht sehen:
"Einige Tage später wurden die Kinos, die den Film gespielt haben, demoliert. Von Nazis. Der Film wurde sowohl in Hamburg als auch überall abgesetzt."
Fast 500 Filme - zwischen Unterhaltung und ernsten Themen
Nun hat Artur Brauner nie so getan, als gehörten all die Filme, die er produzierte – an die 500 seit 1946 – zur Kategorie "unverfälscht". Nach dem finanziellen Misserfolg von "Morituri" 1948 stellte Brauner die Weichen für den Mix aus Unterhaltungs- und ernsten Filmen, der von da ab seine Arbeit als Produzent prägen sollte.
Und in diesen Unterhaltungsfilmen waren sie alle da, die Stars der 1950er Jahre aus "Opas Kino":
"Von Maria Shell bis O.W. Fischer, von Curd Jürgens bis Hardy Krüger, von Ruth Leuwerik bis Sonja Ziemann."
Es tummelten sich Peter Alexander oder Caterina Valente tanzend, gute Laune versprühend und schlechte Vergangenheit verdrängend durch die 1950er-Jahre, später in den 60ern ritten Old Shatterhand und Winnetou durch die ex-jugoslawischen Weiten, Dr. Mabuse fuhr seine unsichtbaren Krallen aus, und Hagen von Tronje massakrierte Etzels Hunnen mit sprichwörtlicher Nibelungentreue. Mit anderen Worten, der Trailer zum anderen monumentalen Zweiteiler "Kampf um Rom" traf es:
"Eine filmische Sensation. Das teuerste und aufwändigste Filmwerk, das je von einem deutschen Produzenten geschaffen wurde. Ein historischer Monumentalfilm: 'Kampf um Rom'."
Der Berliner Filmproduzent, der der Stadt auch die Treue hielt, als Konkurrenten schon nach München oder Hamburg auswanderten, der sich kulturell engagierte für die Verständigung zwischen Juden und Christen, Hotels eröffnete, eine Immobilienfirma gründete, zeitweise zu den 100 reichsten Deutschen gehörte, Ärger mit der Steuer bekam und so die Schlagzeilen der Boulevardpresse füllte, wurde aber seinem Gelübde, das er einst gab, nie untreu.
Die Erinnerung an die Holocaust-Opfer erhalten
"Wenn ich am Leben bleibe, dann würde ich diejenigen Opfer, die es nicht erlebt haben, den Opfern, die verscharrt sind, die verhungert oder erschossen worden sind, bzw. stranguliert, gehängt oder vergast, die will ich wieder zum Leben rufen, zurückrufen."
An sie erinnern! Trotz des Misserfolges von "Morituri" 1948 setzte sich Artur Brauner immer wieder mit dem Holocaust auseinander.
"Babij Jar – Das vergessene Verbrechen" beispielsweise, "Von Hölle zu Hölle", "Der letzte Zug" oder "Hitlerjunge Salomon", den Agnieszkja Holland 1990 für Brauners "CCC" produzierte. Ein Film, der für einen Skandal sorgte, weil er trotz einer Golden-Globe-Auszeichung von der deutschen Kommission nicht für den Auslands-Oscar nominiert wurde. Die Erfahrung von "Morituri" und die Mentalität des Publikums hat sich für Artur Brauner, wie er einmal sagte, in all den Jahren, in denen er Filme über den Holocaust produzierte, nicht verändert:
"Das deutsche Publikum meidet die Filme um die Holocaust-Opfer. Boykottiert und ignoriert. Nur Filme wie 'Schindler', wo ein guter Deutscher ist, die Filme gehen von gut bis ausgezeichnet wie bei Spielberg, aber sonst hat kein Film die mindeste Chance, wo ein Deutscher nicht in hervorragender Weise positiv dargestellt wird."
In heutigen Zeiten, in der der Holocaust als Zivilisationsbruch wieder – wie nach 1945 – relativiert wird, erscheint dieser Einwand des großen Filmproduzenten Artur Brauner, der ein Jahrhundert erlebt hat, fast wie eine Analyse der Kinorezeption und der Gesellschaft.