Boykott russischer Filme
Gerade Filme wären der ideale Raum für abweichende Meinungen, doch momentan herrscht ein großes Bedürfnis, alles Russische zu boykottieren, selbst oppositionelle Filmemacher. © imago images/NurPhoto/Ying Tang
Eine verpasste Chance
06:45 Minuten
Oft ist davon die Rede, dass Kultur als Brücke zwischen Feinden dienen kann. Doch spricht man im Moment mit ukrainischen Filmschaffenden, kann davon keine Rede mehr sein. Viele ukrainische Künstler unterstützen die Boykottaufrufe für russische Filme.
Über Twitter hat der ukrainische Filmregisseur Oleh Senzow seinen Eintritt in die ukrainische Armee verkündet – in Uniform. Auch die Kiewer Filmemacherin Alina Gorlova wird kämpfen, wenn ihre Stadt gestürmt wird. Angst hat die Dokumentarfilmerin, die auf zahlreichen internationalen Festivals wie dem DOK.fest München vertreten war, nicht, wenn sie sieht, wie die Menschen auf den Straßen Barrikaden bauen.
Gorlova wird auf jeden Fall in Kiew bleiben, auch wenn sie glaubt, dass die Russen hart zuschlagen werden. Das hat auch ihr Verhältnis zu ihren russischen Freunden verändert, obwohl sie alle Putin-Gegner sind. Im Angesicht des Krieges ist für sie Russland gleich Putin. Sie hat deshalb den Kontakt zu ihren russischen Freunden abgebrochen und unterstützt die Boykottaufrufe für russische Filme, obwohl sie russisches Kino liebt.
"Putin wird den Krieg nicht gewinnen"
Gorlova ist optimistisch, denn sie glaubt, dass die Russen bald erkennen werden, welche Opfer der Krieg kostet. Auch der bedeutendste Filmregisseur der Ukraine, Sergei Loznitsa, glaubt, dass der Krieg das Ende von Putins Herrschaft bringen wird. Loznitsas international preisgekrönte Filme sezieren eigenwillig, aber präzise gesellschaftliche und historische Verhältnisse überall in Europa. Russlands Einmarsch in die Ukraine hat ihn nicht überrascht.
Loznitsa hat lange gewarnt, dass Putin die Ukraine angreifen würde. Schon unter Jelzin habe die Propagandaerzählung von der untrennbaren Verbundenheit Russlands mit der Ukraine begonnen. Aber den Krieg werde Putin nicht gewinnen, denn selbst viele russlandfreundliche Ukrainer würden nicht akzeptieren, dass russische Soldaten im Land stehen.
Es gibt auch russische Stimmen gegen den Krieg
Die Ukrainer, so Loznitsa, würden sich wehren, jedes Haus werde kämpfen. Dass nun an europäischen Bühnen russische Künstler entlassen werden, weil sie sich nicht vom Krieg distanzieren – so wie der Münchener Chefdirigent Valery Gergiev – findet Loznitsa richtig. Denn Gergiev sei strikter Putin-Unterstützer.
Aber den generellen Boykott russischer Filme findet er falsch, denn damit würde man auch Künstler treffen wie den Dokumentarfilmer Viktor Kossakowski. Dieser habe ihn um Vergebung für den Krieg gebeten. Es gibt viele Stimmen aus der russischen Kulturszene, die gegen den Krieg protestieren, so wie das Filmmagazin „Séance“ aus St. Petersburg.
Chefredakteur Vasily Stepanov ist entsetzt, er meint, niemand habe den Krieg erwartet, alle seien deprimiert. Viele Russen hätten ukrainische Freunde und Verwandte, die jetzt von der russischen Armee getötet würden.
In Form von öffentlichen Erklärungen zu protestieren, sei im Gegensatz zu Demonstrationen noch möglich, meint Stepanov. Aber auch das könnte bald vorbei sein. Trotzdem glaubt er, dass Putin verlieren wird. Wenn russische Eltern die Wahrheit über ihre gefallenen Söhne erfahren, werde sich alles ändern.
Noch frei: das russische Autorenkino
Wo es trotz aller Repression noch gewisse Freiräume für kritische Äußerungen in Russland gibt, ist das Theater und das Autorenkino. Der Grund dafür, so Stepanov, liegt in der geringen Reichweite – für die Regierung zu unwichtig, um einzuschreiten. So kommt es, dass Filme staatlich gefördert werden wie „Brother in Every Inch“.
Der Film lief auf der diesjährigen Berlinale und handelt von zwei Brüdern in der Pilotenausbildung. Der Film zeigt ein ziemlich desolates Militär. Der junge Regisseur Alexander Solotuchin nennt seinen Film pazifistisch. Wenn einer der Brüder es ablehnt, Bomber zu fliegen, weil er Bilder davon gesehen hat, was die anrichten, muss man unwillkürlich an die Ukraine denken.
Solotuchin spricht sich, sagt er, auf allen Veranstaltungen zu seinem Film gegen den Krieg aus, mit diesem Interview erstmals in einem Massenmedium. Dass russische Filme nun boykottiert werden, kann er nachvollziehen, bedauert es aber, denn gerade Filme wären der ideale Raum für abweichende Meinungen.
Kiewer Filmfestival seit 2014 ohne russische Filme
Wenig verwunderlich sieht das der Programmdirektor des Internationalen Filmfestivals Kiew, Igor Shestopalov, anders. Er unterstützt den Boykott russischer Filme. Für Shestopalov ist es wie mit den Olympischen Spielen. Man könne nicht unter der Flagge des eigenen Landes teilnehmen, wenn es solche Verbrechen begehe.
Das Kiewer Filmfestival hat schon seit der Krim-Annexion 2014 keine russischen Filme mehr gezeigt. Davor aber hatte man in einem Jahr sogar einen thematischen Schwerpunkt zum russischen Film. Kontakt zu russischen Oppositionellen zu halten, hält Shestopalov momentan für sinnlos. In einem Moment, wo Bomben auf ukrainische Städte fallen, bringen diese Kontakte nichts. Kulturell rückt Russland schon seit Jahren in immer weitere Ferne, jetzt scheint – zumindest im Film – jede Bindung gekappt.
Vasily Stepanov vom russischen Filmmagazin „Séance“ hofft, dass die Ukraine frei sein wird und – wenn Zeit vergangen ist – die Ukrainer seinem Land vergeben. Für die meisten Ukrainer scheint diese Hoffnung – im Moment – undenkbar.