Ein Klangbeispiel aus "Good Time":
Wenn Iggy Pop sich gurgelnd nach Berührung sehnt
Beim Filmfest in Cannes wurde der New Yorker Produzent Oneohtrix Point Never für seinen Soundtrack zum Gangsterfilm "Good Time" gefeiert. Zu Recht, sagt Popexperte Jens Balzer: Dem künstlerisch anspruchsvollen Elektrokünstler gelinge ein Stück wunderbar ambivalenter Auratik.
Bis man Ben Safdies und Josh Safdies neuen Gangsterfilm "Good Time" in den deutschen Kinos sehen kann, müssen sich zwar insbesondere die Fans von Robert Pattinson, der hier die Hauptrolle spielt, noch bis November 2017 gedulden. Freunde avancierter elektronischer Musik können sich aber jetzt schon freuen, denn der bei den Filmfestspielen in Cannes als "beste Filmmusik" ausgezeichnete Soundtrack ist seit Neuestem im Handel erhältlich. Dafür verantwortlich zeichnet der in New York lebende Produzent Daniel Lopatin, besser bekannt unter seinem Projektnamen Oneohtrix Point Never.
Einem breiteren Publikum wurde Lopatin im vergangenen Jahr bekannt, als er das Protest-Pop-Album "Hopelessness" von Anohni produzierte, erklärt Popkritiker Jens Balzer im Deutschlandfunk Kultur. Auf dem Soundtrack zu "Good Time" schwelgt Lopatin nun in der eisig-melancholischen Kälte des epischen Synth-Pop-Sounds der Achtzigerjahre. Um 2010, als man auf Oneohtrix Point Never erstmals aufmerksam wurde, war diese Entwicklung wohl noch nicht unbedingt abzusehen.
Vom Noise zum Synth-Pop
Denn damals war Lopatins Musik noch "stark noise-betont, melodieloser Krach" und sehr dem Industrial verpflichtet, führt Balzer aus.
"Aber anders als der klassische Industrial war sie nie abstrakt, kalt, mechanisch, sondern auf ganz interessante Weise organisch, naturhaft, zwitschernd, sprießend. Das waren so ganz feuchte Sounds, ganz interessant. Umso interessanter, weil er am Anfang nie mit Samples gearbeitet hat, sondern immer vor allem mit analogen Synthesizern. Er hat immer so einen leicht nostalgischen Sound. Aus diesem nostalgischen Sound ist dann über die Jahre ein zweiter Motivstrang erwachsen. Er hat dann Platten aufgenommen, die sich so angehört haben wie Musik, die er sich als Kind angehört hat und das dann mit Noise verflochten. Er sagt immer, seine Vorbilder sind einerseits Throbbing Gristle und Coil, also diese ganz krasse Krach-Avantgarde aus den späten Siebzigern, frühen Achtzigerjahren. Und auf der anderen Seite so Ten CC oder der Miami-Vice-Komponist Jan Hammer, also dieser ganz große, aufgeblasene Mainstream."
Video aus Oneohtrix Point Nevers Album "Garden of Delete" mit Val Kilmer:
Insbesondere auf dem im letzten Jahr veröffentlichten Album "Garden of Delete" könne man dies heraushören, so Balzer. Auf "Good Time" habe Lopatin diese Facette nun noch stärker herausgearbeitet. Als "selbstreflexive Nostalgie" bezeichnet Balzer diese Vorgehensweise, weil sie sich "in der eigenen Aus-Der-Zeit-Gefallenheit" spiegele.
Auratische Ambivalenz
Auch von reizvollen Irritationen beim Anhören des "Good Time"-Soundtracks weiß Balzer zu berichten: So bleibe in den überlappenden Tonspuren oft unklar, ob da nun eine Gitarre wie ein Synthesizer oder ein Synthesizer wie eine Gitarre klinge. Ein wesentlicher Aspekt der Kunst von Daniel Lopatin, so Balzer weiter:
"Das trifft so einen Kern des Schaffens von Oneohtrix Point Never, dass er sowohl diese Nostalgie, als auch dieses Changieren zwischen Authentizität und Künstlichkeit dazu nutzt, gewisse Unheimlichkeitseffekte zu erzeugen. ... Man hat da immer so eine leichte Auratik, man weiß nie genau, was da jetzt passiert, ist das alt, ist das neu, welches Instrument wird da gespielt – eine ganz große Ambivalenzproduktion."
Gastauftritt Iggy Pop
Als Gaststar hat Lopatin im übrigen den Punk-Star Iggy Pop gewinnen können. Bei dem gemeinsam eingespielten Stück "Pure and Damned" handele es sich um "eine Klavierballade über den Wunsch nach einem Leben in Unschuld und Reinheit. Iggy bittet dann in einem gurgelnden Bariton auf ganz fantastische Weise darum, berührt und getötet zu werden."
Und das klingt dann so: