Filmstart von "Selma"

Mittelpunkt der afroamerikanischen Bewegung

Der britische Schauspieler David Oyelowo (l.), die US-Regisseurin Ava DuVernay und der Schauspieler Colman Domingo bei der Berlinale.
Der britische Schauspieler David Oyelowo (l.), die US-Regisseurin Ava DuVernay und der Schauspieler Colman Domingo bei der Berlinale. © AFP / Tobias Schwarz
Von Jörg Taszman |
"Selma" ist ein engagierter Film über den Kampf der Afroamerikaner gegen Rassismus und alltägliche Diskriminierungen, er spielt in den 60er-Jahren. Es geht um Martin Luther King, der die kleine Stadt Selma in Alabama zum Zentrum seines Engagements machte.
Sie hat sich in ihren dicken Wintermantel gehüllt und friert, obwohl im Hotelzimmer in Berlin Mitte bestimmt über 20 Grad sind. Regisseurin Ava Du Vernay hat Charakter und viel Humor. Sie redet laut, leidenschaftlich und gerne über dieses Projekt, für das sie bei weitem nicht die erste Wahl war.
"Ich war nicht die erste, zweite, dritte, vierte, fünfte oder sechste Wahl. Ich war die siebte Wahl! Aber ich habe es geschafft. Es gab vor allem Probleme mit dem Budget. Die anderen, Regisseure - übrigens alles anerkannte Filmemacher- waren nicht bereit, den Film für so wenig Geld zu drehen. Da ich als Regisseurin eher aus dem Independent Cinema komme, war ich an kleine Budgets gewöhnt und auch flexibler. Ich habe dann das Drehbuch auch im Hinblick auf das Budget umgeschrieben. Letztendlich fiel die Entscheidung für mich auch wegen des Geldes. Stephen Frears, Michael Mann, Spike Lee und Lee Daniels drehen einfach Filme, die viel mehr Geld kosten. Meinen letzten Spielfilm konnte ich für 200.000 Dollar drehen. Wenn mir dann jemand sagt: Du bekommst 20 Millionen Dollar. Kannst du es dafür machen, sage ich nur: Und ob ich das kann!"
Regisseurin hat noch nicht Mal einen Wikipedia-Eintrag
Ava DuVernays bisherigen Filme kennt man nicht in Deutschland. Die 42-Jährige hat noch nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia Eintrag. Mit ihrem zweiten Film "Middle of Nowhere" gewann sie 2012 beim renommierten Sundance Film Festival den Preis für die Beste Regie. In "Selma" konzentriert sich die Regisseurin auf die Ereignisse in Selma, einer Kleinstadt im rassistischen Alabama, in der Martin Luther King 1965 mit seinen Mitstreitern versuchte, das freie Wahrecht für Schwarze ohne Diskriminierungen durchzusetzen. Legendär wurde dabei der lange Marsch auf die Hauptstadt Montgomery in Alabama, der zunächst brutal von der Polizei niedergeknüppelt wurde, das ganze Land jedoch in den Nachrichtensendungen des Fernsehens schockierte. So kam es zu ersten Verbrüderung von Weißen und Schwarzen und Präsident Johnsson sah sich gezwungen, den „Voting Rights Act" zu unterzeichnen.
"Selma", der für nur zwei Oscars nominiert wurde - für den Besten Song und als Bester Film - ist ein kraftvolles, engagiertes Werk. Dabei ist es aus heutiger Sicht immer wieder schockierend, wie tief verwurzelt der Rassenhass bei Politikern, Polizisten und auch bei ganz einfachen, weißen Bürgern im Süden der USA noch in den 60er-Jahren war. Und man mag es kaum glauben, dass es bisher keinen Kinospielfilm über Martin Luther King gab. Die Regisseurin ärgert sich über viele Scheinargumente im Bezug auf die weltweite Akzeptanz des Stoffes.
"Man erzählt uns Filmemachern immer wieder, dass man weltweit keine Filme mit schwarzen Schauspielern sehen will und dass sich Filme mit Afroamerikanern nicht gut verkaufen. Daher bekommt man auch nicht mehr als 20 Millionen Dollar, weil die Filme sonst angeblich die Kosten nicht mehr einspielen. Dann fühlst Du dich wie in einem Hamsterrad auf Grund dieser Lüge, dass das Publikum außerhalb der USA angeblich keine Filme über Schwarze sehen will. Hier in Berlin habe ich den Film vor 1500 Zuschauer gezeigt, die mir zugejubelt haben. Es gab „Standing Ovations". Und ich spüre, wie die Menschen auch hier in Deutschland mitgehen und diese Lüge ad absurdum geführt wird. Aber dieser Mythos des Desinteresses an Schwarzen erklärt, warum es 50 Jahre lang keinen Kinofilm über Dr. King gegeben hat. Daher ist es so wichtig, wie SELMA hier in den Kinos ankommen wird. Es wird einen Einfluss auf zukünftige Filme haben."
Kein klassisches Biopic
Ava DuVernay hat als Regisseurin alles richtig gemacht. Mit dem Briten David Oyelowo in der Hauptrolle fand sie eine Idealbesetzung. Er portraitiert King nicht nur als Helden und Pazifisten. Man sieht ihn auch zweifeln und als einen Vater und Ehemann, der viel zu wenig zu Hause ist. Für den Hauptdarsteller war es übrigens ganz amüsant neben Tim Roth und Tom Wilkinson noch andere britische Darsteller am Set zu treffen.
"Das war unbewusst Ava hatte das ja nicht absichtlich gemacht. Sie wollte einfach die besten Darsteller für ihren Film. Dass wir nun vier Briten in den Hauptrollen waren, hat natürlich den Druck etwas erhöht, aber ich finde, es kann bei historischen Figuren auch ein Vorteil sein. Wäre ich in den USA aufgewachsen, hätte es mich sicherlich eingeschüchtert, Dr. King zu spielen. Ich habe ihn natürlich immer bewundert, aber fühlte mich nicht gleich gelähmt, wenn ich nur seinen Namen höre. Als ich ihn spielte, ging es mir mehr darum, den Menschen zu verkörpern und nicht nur seine Rolle als wichtigen Führer heraus zu kehren."
Man kann nur hoffen, dass Ava DuVernay nicht noch von Deutschland enttäuscht sein wird. Denn leider leben wir in einem Land, indem es das afroamerikanische Kino schwer hat. Nicht einmal alle Filme von Spike Lee kamen in Deutschland ins Kino. Und als im Vorjahr der von der Kritik gefeierte "Fruitvale Station" den gewaltsamen Tod eines Afroamerikaners thematisierte, interessierten sich dafür deutschlandweit weniger als 30.000 Zuschauer. "Selma" hat es da hoffentlich etwas einfacher. Es ist wirklich kein klassisches, heroisierendes Biopic, sondern ein packender, ein mitreißender Film, der im Licht der jüngsten Polizeimorde an Afroamerikanern wenig an Aktualität eingebüßt hat.
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