Tiefgreifender Wandel im kubanischen Kino
Jahrzehntelang war er das Aushängeschild der kubanischen Revolution: Doch der vom Staat dirigierte und subventionierte Film blieb nicht vom Wandel in Kuba verschont. Eine unabhängige Szene ist entstanden - mit dem Regisseur Fernando Pérez als einem ihrer wichtigsten Vertreter.
In "La Pared de las Palabras" geht es um Luis, einen geistig und körperlich behinderten jungen Mann, der sich seiner Umwelt nicht mehr mitteilen kann, und um Elena, seine Mutter, die ihn aufopfernd pflegt und darüber zu leben vergisst. Das Havanna, das Fernando Pérez dabei entwirft, ist düster und verfallen, selbst der Strand ist schmutzig und das Meer beinahe schwarz. Die Geschichte ist eine Metapher für die vielfältigen Behinderungen, die die Revolution den Kubanern bis heute auferlegt und für die Opferbereitschaft, die sie von ihnen seit Jahrzehnten verlangt.
Fernando Pérez: "Ich wollte vor allem die Grenzen dieser Opferbereitschaft zeigen, über die viele Kubaner heute nachdenken, denn die Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat die Bevölkerung immer wieder vor prekäre Situationen gestellt. Sie ist die Ursache für die einstürzenden Mauern, die im Film zu sehen sind, und für die tiefen psychischen Spuren, die sie in den verschiedenen Generationen hinterlassen hat."
Unabhängige Filmemacher nutzen das Vakuum
Fernando Pérez hat mit "Die Wand der Worte"zum ersten Mal einen Film unabhängig produziert, denn das staatliche Filminstitut ICAIC musste inzwischen sein Monopol aufgeben. Die wirtschaftliche Notsituation, in der Kuba seit Langem lebt, zwang die Regierung, die Kulturförderung drastisch zu reduzieren. In diesem Vakuum ist eine neue unabhängige Filmszene entstanden:
"Junge Cineasten schießen wie Pilze aus dem Boden, eine Folge der digitalen Technik, die das Filmemachen wesentlich erleichtert, und der Ausbildung an den beiden Filmschulen. Außerdem gibt es heute viele neue Möglichkeiten der Finanzierung, es gibt sogar zwei private Produktionsfirmen. Es ist auch nicht sehr teuer, in Kuba Filme zu drehen. Und die jungen Leute tauschen gegenseitig die Filmausrüstung aus. Dadurch ist unser Filmschaffen inzwischen thematisch und ästhetisch sehr viel breiter geworden."
Heute werden zum Beispiel Zombie-Filme hergestellt, die einst undenkbar waren, und experimentelle Spielfilme, die als esoterisch abgelehnt wurden. Die Schwulen-Thematik, ein Tabu in früheren Jahren, wird in aller Ausführlichkeit abgehandelt. Und gesellschaftliche Probleme wie die Perspektivlosigkeit und der Auswanderungswille unter Jugendlichen werden nicht mehr verdrängt:
"Die meisten der jungen Cineasten machen Autorenfilme, was ich fabelhaft finde. Sie streben kein Kommerzkino an, sondern künstlerische Filme und bleiben damit unserer Tradition verpflichtet. Andererseits gibt es niemanden mehr, der ihnen etwas vorschreibt. Drehgenehmigungen stellen heute ganz unterschiedliche Institutionen aus, und notfalls wird auch ohne offizielle Erlaubnis gefilmt. Das ICAIC hat sein Monopol verloren."
Öffentlicher Protest gegen das Kulturministerium
Das Filminstitut bestimmt zwar noch immer, welche Produktionen in welchen Kinos gezeigt werden. Doch die Filmtheater sind in einem miserablen Zustand, viele mussten deshalb schließen. Und für die Umrüstung der Kinotechnik auf das inzwischen international übliche digitale Format fehlen der Regierung die Devisen. Der staatliche Filmsektor ist schon längst nicht mehr konkurrenzfähig. Außerdem fordern die unabhängigen Filmemacher neue gesetzliche Regelungen, die Flexibilität für private Initiativen schaffen und ihre Autorenrechte sichern. Als dies kürzlich vom Kulturministerium verweigert wurde, protestierten sie öffentlich. Fernando Pérez war ihr Wortführer:
"Spontan kamen wir im Café 'Erdbeer und Schokolade' gegenüber dem ICAIC zusammen und gründeten die G-20, eine uns alle repräsentierende Kommission. Sie vertritt seither unsere Interessen gegenüber der Regierung. Es war der erste öffentliche Protest von Filmregisseuren in Kuba, und die G-20 ist das einzige alternative Gremium im Kulturbereich."
Im Film hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, eine so tiefgreifende Veränderung wie in keinem anderen Sektor der kubanischen Kultur.