Sehen lernen mit Soderbergh
Ein echter Leckerbissen für Filmnerds: Regisseur Steven Soderbergh hat Steven Spielbergs ersten Indiana-Jones-Film "Jäger des verlorenen Schatzes" neu in Szene gesetzt - in schwarz-weiß. Eine Einladung den Klassiker ganz neu zu sehen.
Patrick Wellinski: Sie kennen diese Melodie – es ist die Filmmusik zu "Indiana Jones". Na ja, jedenfalls in der Version von Steven Soderbergh. Genau, Soderbergh, und nicht Steven Spielberg, denn Steven Soderbergh hat den Klassiker seines Kollegen etwas überarbeitet und auf seinen Blog gestellt. Die Idee dahinter ist ziemlich reizvoll: Soderbergh will so das genaue Hinsehen vermitteln, quasi als so eine Art Online-Proseminar. Wie das alles und ob das alles funktioniert, bespreche ich jetzt mit dem Filmhistoriker und Journalisten Andreas Kötzing. Willkommen!
Andreas Kötzing: Hallo!
Wellinski: Vergeht sich Soderbergh da an einem Klassiker?
Kötzing: Nein, das würde ich nicht sagen. Also, "vergehen" ist ein hartes Wort. Er instrumentalisiert ihn vielleicht auf eine gewisse Weise, und es ist bestimmt auch ein Stück weit dreist zu sagen, ich nehme jetzt einfach einen Film, klaue ihm die Farbe, klaue ihm den Soundtrack, lege da was ganz anderes unten drunter, und mache daraus sozusagen meine eigene Version.
Ich bin mir nicht mal ganz sicher, ob er Steven Spielberg und George Lucas überhaupt um Erlaubnis gefragt hat. Aber ich finde trotzdem nicht, dass es ein Vergehen ist, denn dafür ist er ja viel zu klug, der Steven Soderbergh, denn er gibt uns ja sozusagen eine Message mit, eine Aufgabe, uns diesen Film noch einmal anzuschauen und alles zu vergessen, was wir bisher darüber wussten. Uns von der Handlung zu lösen, uns von den Dialogen zu lösen, die wahrscheinlich jeder mitsprechen kann, der zu einer bestimmten Zeit aufgewachsen ist und für den dieser Film ja richtigen Kultstatus hatte in den 80er-Jahren, und das ist ja eigentlich das, worum es geht. Wir sollen vergessen, was wir wissen, und sollen uns komplett neu darauf einlassen, und insofern finde ich das eigentlich ein sehr, sehr spannendes Projekt.
Reizvolles Seherlebnis
Wellinski: Wie war denn die Sichtung, der erste Eindruck dieses Klassikers in der Version von Steven Soderbergh für Sie?
Kötzing: Spannend auf eine gewisse Art und Weise. Und irritierend auch, weil man ja eigentlich denkt, man kennt einen Film, wenn man ihn ein Dutzend Mal angeschaut hat, und so ist es bei mir bei "Riders of the lost ark" auf jeden Fall – mindestens ein Dutzend Mal habe ich diesen Film gesehen. Und trotzdem, wenn man ihn jetzt sieht in schwarz-weiß und ohne die phänomenale Musik natürlich von John Williams, ohne die Dialoge, findet man sich ein bisschen so in einer anderen Welt wieder, weil man den Film ja eigentlich farblich kennt, so wie er uns ursprünglich präsentiert worden ist, wie man ihn immer wieder gesehen hat.
Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dort die Farbe wegzustellen, und insofern ist das schon ein neues Seherlebnis, was ich als sehr reizvoll empfunden habe, mich dann tatsächlich auf komplette Fragen wie die Einstellung, wie komponiert er seine Bilder, wie setzt er Schnitte, wie hat er bestimmte Lichtkompositionen verwendet in dem Film – da konnte man sich dann tatsächlich darauf einlassen, weil ja alles andere ausgeblendet wird.
Wellinski: Es ist ja, wie gesagt, so eine Art Proseminar in Filmästhetik und, Sie haben es ja schon erwähnt, Bildaufbau. Auf den sollen wir jetzt ganz genau achten. Was haben Sie gesehen?
Parallelen zu Humphrey Bogart in "Casablanca"
Kötzing: Vielleicht eine gewisse Form von Sprache, die er in den Film hineinbringt durch die Art und Weise, wie er seine Bilder komponiert. Da sind auf einmal Parallelen zu erkennen zu Filmen, bei denen ich von alleine nicht darauf gekommen wäre, dass er sich dort offenbar angelehnt hat. Ein Film, der natürlich schwarz-weiß ist, erinnert automatisch an frühere Zeiten im Film. Hier ist es besonders der Film Noir, finde ich, der durchschimmert. Wer denkt bei Indiana Jones an Humphrey Bogart? Aber da sind Parallelen da. Wenn er dort sitzt und in seinem Whiskyglas rührt, als er vermeintlich denkt, dass Marion, seine Freundin gestorben ist – das sieht aus wie Humphrey Bogart in "Casablanca", der in seinem Whiskyglas rührt.
Oder die großen Schatten, die auf einmal an den Wänden auftauchen, wenn man dran denkt – als Indiana Jones zum ersten Mal in der Kneipe von Marion steht dort in – Nepal ist es, glaube ich, und der Schatten kommt von hinten ins Bild hinein. Ich habe da Orson Welles in "Der dritte Mann" von Carol Reed gesehen und nicht mehr "Indiana Jones". Das sind doch schon sehr, sehr spannende Wahrnehmungen, finde ich.
Wellinski: Und das sind sicherlich keine Zufälle, denn Steven Spielberg gehört ja zu der ersten Generation von amerikanischen Filmregisseuren, die an einer Filmhochschule ausgebildet worden sind. Das gab es davor nicht. Und die hatten ja auch so was wie ein Fach Filmgeschichte, und die haben das natürlich gesehen, die ganzen Meisterwerke, die ganzen Western von John Ford natürlich, auch "Casablanca", und konnten sich dann sehr schön in ihren neuen Filmen darauf beziehen.
Die zweite Lektion, die Steven Soderbergh in seinem Blog uns stellt, ist, dass wir auch auf die Schnittreihenfolge achten sollen beziehungsweise in einem Actionfilm, wie es "Indiana Jones" – beziehungsweise Abenteuerfilm – ist, geht es ja auch um Verwirrung, Übersichtlichkeit, gerade bei diesen Kampfszenen. Ist das jetzt durch die Verfremdung deutlicher geworden, wie Spielberg als Regisseur uns durch den Film leitet?
Der meisterhafte Spielberg-Blick
Kötzing: Es wird auf jeden Fall augenfällig, wie wenig willkürlich dieser Film ist. Alles scheint durchdacht und ganz genau geplant zu sein, schon im Vorfeld, jede kleine Einstellung bekommt einen Sinn, wenn man mal versucht, das Ganze zu hinterfragen, und sagt, warum hat er das jetzt eigentlich so gedreht, und warum hat er das nicht anders gedreht? Er verwendet ja selber, Soderbergh, in seinem Blog, wo er diese Version online gestellt hat, ein sehr schönes Zitat von David Fincher, wie ich finde. Und er sagt dort, Fincher sagt an der Stelle, es gibt ja hundert Ideen, wie man eine Einstellung drehen kann. Am Ende bleiben nur zwei davon übrig, und eine davon ist falsch.
Und die richtige Einstellung zu finden und sie dann so in dem Film zu platzieren und durch die Schnitte so aneinander zu reihen, dass eine Wirkung beim Zuschauer entsteht, das ist ja, finde ich, das eigentlich Spannende dabei. Ein gutes Beispiel, finde ich, ist das sogenannte "Spielberg-Face" – eine Kamerafahrt leicht von unten auf den Protagonisten, bis hin zum Close-up, und dann sehen wir den Protagonisten, der irgendwo hinschaut, mit offenen Augen guckt er in den Raum hinein – wir sehen aber nicht, was er sieht. Wir sehen nur, wie er guckt.
Bei "Indiana Jones" gibt es das gleich an zwei oder drei Stellen im Film, unter anderem, als er die Stange von Re mit dem Medaillon oben drauf in den Nachbau der Stadt unten hineinsteckt und dann der Lichtstrahl hindurch fällt, der ihm zeigt, wo die Bundeslade versteckt ist – das sehen wir alles gar nicht in dem Moment, sondern wir sehen nur die Kamerafahrt von unten auf das Gesicht von Indiana Jones, wie er dann hineinblickt in die Stadt hinein.
Und ein bisschen ist das natürlich auch so das Reproduzieren unseres eigenen Blickes. Wir schauen genauso mit den großen geöffneten Augen auf Indiana Jones, wie er hineinblickt in die Szenerie. Und erst der Gegenschnitt zeigt uns ja dann, was er tatsächlich sieht. Also dieser Spielberg-Blick, das kann man wirklich schulmeisterlich sich in diesem Film noch einmal genau anschauen, weil man ja tatsächlich alles andere weglassen kann. Und dann nimmt man sich so eine einzelne Szene, guckt sie sich zwei-, dreimal hintereinander an und bekommt wirklich einen vortrefflichen Eindruck davon, wie meisterhaft er das umgesetzt hat.
Der melodramatische Spielberg
Wellinski: Ist das ganze Projekt vielleicht auch ein Versuch von Soderbergh, einen Kollegen wie Spielberg, der immer wieder auch als guter Blockbuster-Künstler, als Oscar-Gewinner gefeiert wird, dass wir ihn, Steven Spielberg, auch mal unter einem anderen Licht betrachten, nämlich eben als sehr talentierten Bilderkünstler?
Kötzing: Das ist ja aber eigentlich nicht wirklich neu, wenn man ehrlich ist. Also, wir wissen ja, was er für ein Meister ist im Komponieren seiner Bilder und im Erzeugen von Emotionen. Ich habe das neulich erst selbst mal wieder am eigenen Leib erlebt, indem ich zusammen mit meiner siebenjährigen Tochter zum ersten Mal "E.T." geschaut habe. Und das ist unglaublich spannend, jemanden dabei zu beobachten, der diesen Film zum ersten Mal sieht, und dann gibt es da am Schluss diese eine Szene, wo man denkt, dass E.T. eigentlich tot ist, und meine Tochter sitzt neben mir auf dem Sofa, ist sichtlich gerührt, und sagt diesen unsterblichen Satz: "Papa, ich kann nicht anders, ich muss jetzt einfach heulen!"
Und in dem Moment ist einem natürlich wieder bewusst geworden, wie genau er das inszenieren kann, wie genau er diese Emotionen hervorruft beim Zuschauer, dem man sich manchmal eben nur sehr schwer entziehen kann, was bei Spielberg unter Umständen ja manchmal auch ein bisschen problematisch ist, wenn er uns seine Familienzusammenführungsgeschichten erzählt – das ist ja so der Überbau, der sich durch viele seiner Filme hindurch zieht, die mir persönlich dann manchmal etwas zu melodramatisch werden, insbesondere in den letzten Filmen, die er gedreht hat. Aber das ist bei "Indiana Jones" ja nicht der Fall.
Wellinski: Andreas Kötzing besuchte für uns Steven Soderberghs Onlineseminar zur Filmästhetik am Beispiel von "Indiana Jones". Sie können sich die Soderbergh-Variante ohne Problem im Internet ansehen. Sie finden Sie auf extension756.com, dem Blog des Regisseurs.
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