"Finale Berlin" als Wiederauflage

Packendes Dokument des Kriegsendes

Die sogenannten "Trümmerfrauen" arbeiten im Mai 1945 in Berlin an der Beseitigung der Trümmer von im 2. Weltkrieg zerstörten Häusern.
Zerstörung und Neuanfang: Menschen arbeiten im Mai 1945 in Berlin an der Beseitigung der Trümmer. © picture-alliance / Ursula Röhnert
Von Sigrid Löffler |
Atemlos, überwach, wütend: So liest sich der Roman "Finale Berlin", den Heinz Rein unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfasst hat. Einer der ersten Bestseller der Nachkriegszeit wurde nun wieder aufgelegt.
Rechtzeitig zur 70. Wiederkehr des Weltkriegs-Endes 1945 erinnert der Schöffling-Verlag an einen der ersten literarischen Texte über den Untergang Berlins in den letzten Kriegstagen. Mit der Wiederauflage des Romans "Finale Berlin" macht der Verlag auf das rohe, ungestüme und ganz unmittelbar packende Werk eines fast vergessenen Autors aufmerksam – des Erzählers und Journalisten Heinz Rein, der 1906 in Berlin geboren, 1933 als Linker von den Nationalsozialisten mit Schreibverbot belegt und zeitweise in Gestapo-Haft genommen wurde und nach dem Krieg als freier Schriftsteller in der DDR arbeitete, ehe er nach endlosen Querelen mit der SED und dem Bruch mit der Partei in den 1950er Jahren nach Baden-Baden zog, wo er 1991 starb.
Unmittelbar nach Kriegsende entstanden
"Finale Berlin" wurde unmittelbar nach Kriegsende geschrieben, offenbar in größtem Tempo, als Heinz Reins Erinnerungen noch akut und lebendig und die Eindrücke noch frisch waren. Das würde auch manch dramaturgische Unbeholfenheit und sprachlich-stilistische Nachlässigkeit im Text erklären. Aus den fast 800 Seiten dieser dokumentarischen Roman-Chronik schlagen dem Leser Sirenengeheul, Bombengetöse und Geschützdonner entgegen, das Dröhnen der Artillerie-Einschläge der herannahenden Roten Armee, der Lärm der zusammenkrachenden Häuser, das Prasseln der vielen ungelöschten Brände, die gebellten Befehle fanatischer SS-Kämpfer, die bis zum letzten Moment noch Jugendliche und alte Männer als "Verteidiger von Berlin" in den Straßenkampf gegen die Sowjet-Soldaten hetzen, Werwölfe losschicken und Jagd auf Deserteure machen, um sie an den Laternenpfählen aufzuknüpfen.
Aus den Volksempfängern kreischen die sich hysterisch überschlagenden Stimmen von Goebbels und anderen Nazi-Führern; "Der Panzerbär", die letzte Nazi-Zeitung überhaupt, das "Kampfblatt für die Verteidiger von Groß-Berlin", überzieht den eingekesselten Stadtkern mit seinen Durchhalte-Parolen, die im originalen Wortlaut in den Roman eingestreut werden. Trümmerstaub, Bunker-Mief, modrige Kellerluft und der Gestank verwesender Leichen in den Straßen und auf den Ruinenbergen legen sich erstickend über die Roman-Seiten.
Hautnah bedrängend erlebt der Leser mit, was es für die ausgehungerte und verängstigte Zivilbevölkerung der Stadt hieß, zwischen Mitte April und dem 2. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation Berlins, im umkämpften und völlig zerstörten Zentrum der Reichshauptstadt, der Hauptkampfzone der letzten Tage, ausharren zu müssen, in Todesangst, dumpfer Zermürbung, Erschöpfung und Entkräftung, mit der einzigen Hoffnung auf ein herbeigesehntes baldiges Ende der Kämpfe. Wann kommen endlich die Russen? (Dass sie nicht nur als Befreier, sondern auch als Plünderer, Uhrenräuber und Vergewaltiger kamen, verschweigt der Autor nicht).
Einer der ersten Bestseller der Nachkriegszeit
Heinz Reins Roman erschien erstmals zwei Jahre nach Kriegsende. Bereits 1947 druckte der Ostberliner SED-Parteiverlag Dietz trotz Papierknappheit das umfangreiche Werk in 80.000 Exemplaren – einer der ersten Bestseller der Nachkriegszeit. 1980 brachte die Büchergilde Gutenberg eine Neuausgabe heraus, doch danach geriet der Roman in Vergessenheit.
Zu Unrecht, wie sich nun zeigt. "Finale Berlin" liest sich atemlos, überwach, aufsässig, wütend, empört über die sinnlosen Grausamkeiten der Nazi-Kämpfer, die in einer Art Untergangs-Raserei ihrer ganz offenkundig verlorenen Sache noch zahllose Menschen opferten. In seiner journalhaften Tag-für-Tag-Chronik erzählt Heinz Rein von einer kleinen Widerstandsgruppe, die sich konspirativ in einer Kneipe in der zerstörten Mitte Berlins zusammenfindet, Sabotage-Akte durchführt, Illegalen hilft und heimlich Flugblätter verteilt. Die Gruppe, der neben dem Kneipenwirt auch ein untergetauchter kommunistischer Gewerkschaftler und ein sozialdemokratischer Arzt angehören, bietet der Hauptfigur, dem jungen Deserteur Lassehn, ein halbwegs sicheres Versteck.
Mit äußerster Vorsicht, Umsicht und List sucht sich das Grüppchen der Nazi-Gegner über die Tage des Endkampfes zu retten, während SS-Männer auf der gnadenlosen Suche nach Illegalen, Defätisten und Deserteuren die Straßen und die Schutzkeller durchpflügen und während Denunzianten der letzten Stunde bereit sind, buchstäblich jeden als verdächtig bei der Gestapo anzuzeigen. Der Streit zwischen Gegnern und fanatischen Anhängern Hitlers entzweit sogar Eheleute und zerreißt Familien. So spitzt sich etwa der Konflikt zwischen dem linken Gewerkschaftler und seinem Sohn, einem blindwütigen SS-Mann, noch in den letzten Kriegsstunden mörderisch zu.
Bemerkenswertes Zeitdokument
Heinz Rein arbeitet sich in seinem Roman vor allem an der dumpf duldenden Willfährigkeit der Deutschen ab, die zwölf Jahre Nazi-Terror bis zum Untergang gefügig mitmachten. Gelegentlich geht der linke Volkspädagoge mit ihm durch. Das schlägt sich im Roman in Form leitartikelhafter Aufklärungs-Passagen, politisch-moralischer Exkurse und didaktisch belehrender Dialoge nieder, auf die der heutige Leser lieber verzichten würde. Das tut aber der zeithistorischen Bedeutung dieses bemerkenswerten Romans keinen Abbruch.

Heinz Rein: "Finale Berlin"
Roman, mit einem Nachwort von Fritz J. Raddatz
Verlag Schöffling, Frankfurt/Main 2015
760 Seiten, 24,95 Euro

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