"Financial Times Deutschland": Ein Abschied mit Anstand
Ihre letzte Ausgabe habe die Redaktion der "Financial Times Deutschland" noch einmal genutzt, um sich selbst ein bisschen zu feiern, sagt Chefredakteur Sven Oliver Clausen. Im Interview spricht er über die größten journalistischen Erfolge der Zeitung - und die Gründe für ihr Scheitern.
André Hatting: Mit dem heutigen Tag ist die Zeitungslandschaft in Deutschland ärmer. Nach fast 13 Jahren erscheint die "Financial Times Deutschland" zum letzten Mal. Das Aus hatte der Vorstand des Zeitschriftenkonzerns Gruner & Jahr am 23. November offiziell bekannt gegeben. Kein Trauerrand, sondern komplett schwarz - so sieht heute die Titelseite der "Financial Times Deutschland" aus, auf der ein paar Buchstaben heruntergeplumst sind. "Final Times Deutschland" heißt es heute. Am Telefon ist der stellvertretende Chefredakteur der FTD, Sven Oliver Clausen. Guten Morgen!
Sven Oliver Clausen: Guten Morgen, Herr Hatting.
Hatting: "Endlich schwarz" heißt der Titel heute. Ein Zynismus, von Wegen schwarze Zahlen?
Clausen: Ja genau. Wir haben, als dann fest stand, dass wir eingestellt werden, natürlich ein paar Tage sehr stark getrauert. Aber dann begann so eine kleine Welle der Kreativität und da war dieser Titel schnell geboren, und wenn wir noch einmal die Chance hatten, ihn jetzt hier zu drucken, dann haben wir gesagt, dann machen wir es halt so.
Hatting: Und diese Ausgabe ist wirklich eine sehr kreative, sie ist sehr seitenstark, 40 sind es insgesamt, und darin finden wir auch die Highlights aus 13 Jahren, die besten Scoops und die größten Irrtümer zum Beispiel. Was ist denn Ihr persönlicher Lieblings-Scoop?
Clausen: Mein persönlicher Lieblings-Scoop - und ich muss ehrlich sagen, ich wusste das gar nicht mehr, ist mir fast ein bisschen unangenehm - ist, dass wir als erste gemeldet haben, dass die Rente mit 67 kommt. Das haben wir, haben wir dann jetzt in der Rückschau noch mal gesehen, eigentlich sogar unterverkauft. Ich glaube, wir haben da getitelt, ich gucke noch mal kurz: "Deutsche sollen länger arbeiten." Und die Wucht dieser Geschichte ist uns da gar nicht so richtig klar geworden. Aber tatsächlich: Wir waren die ersten, die das vermeldet haben auf der Seite eins als Aufmacher, und das ist mein Lieblings-Scoop.
Hatting: Und was ist der beste, weil peinlichste Irrtum?
Clausen: Da gibt es leider auch fast zu viele. Sehr peinlich war uns immer wieder, dass wir so simple Sachen wie Millionen und Milliarden verwechselt haben und Euro und Dollar, und das darf eigentlich einer Wirtschaftszeitung nicht passieren. Es passiert auch anderen, aber das ist einfach unangenehm und das ist uns leider viel zu häufig passiert.
Hatting: Das ist wirklich eine ehrliche Antwort. Der Leitartikel ist heute eine Seite lang. Warum?
Clausen: Wir haben uns ja zu vielen Themen immer sehr engagiert geäußert: zum Euro, zu den Sozialreformen, zum Arbeitsmarkt. Das ist so ein Format, das es in Deutschland sonst nicht gibt, das haben wir aus dem angelsächsischen Raum übernommen, dass die Redaktion wirklich zusammenkommt einmal am Tag. Nicht jeder nimmt daran teil, aber jeder darf daran teilnehmen, um dann das Thema des Tages zu diskutieren. Das haben wir jetzt noch einmal gemacht zu den wesentlichen Themen, die uns am Herzen liegen, und wir haben gesagt, wenn wir jetzt noch einmal die Chance haben, diese argumentative Kraft der Redaktion wirklich auch zu nutzen, dann sollten wir dem auch eine Seite freiräumen. Deswegen haben wir uns zu den wesentlichen Themen, die uns bewegen – das ist der Euro, das sind die Sozialreformen, das ist der Arbeitsmarkt, das ist die Energiewende –, noch mal eine Seite Platz gegönnt.
Hatting: Was mich besonders beeindruckt hat ist eine Bildergalerie, "Letzter Auftritt" überschrieben.
Clausen: Ja. Ich hoffe, die Leser sehen uns das nach. Wir haben das jetzt genutzt, um uns auch ein bisschen zu feiern, noch mal zu gucken, was die Redaktion so ausgemacht hat. Wir drei Chefredakteure haben uns im Nachhinein, als wir uns die Bilder angeschaut haben, was das für eine Truppe ist, gesagt: Erstaunlich, dass es so lange gut gegangen ist. Und dann haben wir ganz am Ende halt noch ein Foto gedruckt, wo wir uns verneigen, weil wir ganz ehrlich uns entschuldigen. Jetzt in den letzten Wochen haben wir ganz viele Briefe bekommen von Lesern, die uns Mut zugesprochen haben, und da wollen wir uns einfach entschuldigen, dass wir es nicht geschafft haben, weiter zu erscheinen, weil das wirklich eine ganz tolle Beziehung war.
Hatting: Sie entschuldigen sich dafür. Was ist denn schief gelaufen? Ich meine, wir stecken mitten in der Wirtschaftskrise, jetzt wäre ja journalistische Fachkompetenz richtig gefragt, und trotzdem hat es die FTD nie aus den roten Zahlen geschafft. Sie sagen, Sie entschuldigen sich. Was hat die Redaktion falsch gemacht?
Clausen: Wir haben, glaube ich, als Redaktion zu spät darauf hingewirkt, dass wir im Internet uns ein Geschäftsmodell überlegen. Das Geschäftsmodell war, die Inhalte frei zu veröffentlichen und zu hoffen, dass die Werbeerlöse dann die Redaktion tragen. Das hat sich am Ende nie so bewahrheitet. Es war eigentlich auch immer ein Hoffnungswert, dass das noch steigen würde, da hätten wir sicherlich als Redaktion stärker in diese Richtung hinwirken müssen. Und auch, wenn wir natürlich bis zum Ende sehr überzeugt sind von unseren journalistischen Inhalten - das bin ich auch jetzt -, hätte man vielleicht doch schauen müssen, ob man die Inhalte doch noch stärker so aufbereitet, dass es eine breitere Leserschaft findet. Das ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wenn Sie schauen: Wir und unser größter Wettbewerber, wir bekommen zusammen ungefähr 250.000 Leser, also wir haben eine Leserschaft von 250.000 Abonnenten, das ist eigentlich ein bisschen wenig. Und das liegt dann am Ende vielleicht auch doch an uns, dass wir es einfach hätten etwas offener formulieren müssen.
Hatting: Herr Clausen, wie geht es weiter mit Ihnen und Ihren Kollegen?
Clausen: Die meisten haben jetzt die letzten Wochen wirklich dafür gearbeitet, dass wir würdevoll unsere Arbeit beenden, und sich noch gar keine Gedanken gemacht. So geht es auch, ehrlich gesagt, mir. Ich habe mir ein bisschen was überlegt, aber mir ging es jetzt erst mal darum und den ganzen Kollegen auch, dass wir hier mit Anstand uns verabschieden. Heute Abend ist noch eine Abschiedsfeier und dann schauen wir mal weiter.
Hatting: Sven Oliver Clausen, stellvertretender Chefredakteur der Financial Times Deutschland. Die Zeitung ist heute zum letzten Mal erschienen. Herr Clausen, ich danke für das Gespräch und wünsche Ihnen und Ihren Kollegen alles Gute.
Clausen: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sven Oliver Clausen: Guten Morgen, Herr Hatting.
Hatting: "Endlich schwarz" heißt der Titel heute. Ein Zynismus, von Wegen schwarze Zahlen?
Clausen: Ja genau. Wir haben, als dann fest stand, dass wir eingestellt werden, natürlich ein paar Tage sehr stark getrauert. Aber dann begann so eine kleine Welle der Kreativität und da war dieser Titel schnell geboren, und wenn wir noch einmal die Chance hatten, ihn jetzt hier zu drucken, dann haben wir gesagt, dann machen wir es halt so.
Hatting: Und diese Ausgabe ist wirklich eine sehr kreative, sie ist sehr seitenstark, 40 sind es insgesamt, und darin finden wir auch die Highlights aus 13 Jahren, die besten Scoops und die größten Irrtümer zum Beispiel. Was ist denn Ihr persönlicher Lieblings-Scoop?
Clausen: Mein persönlicher Lieblings-Scoop - und ich muss ehrlich sagen, ich wusste das gar nicht mehr, ist mir fast ein bisschen unangenehm - ist, dass wir als erste gemeldet haben, dass die Rente mit 67 kommt. Das haben wir, haben wir dann jetzt in der Rückschau noch mal gesehen, eigentlich sogar unterverkauft. Ich glaube, wir haben da getitelt, ich gucke noch mal kurz: "Deutsche sollen länger arbeiten." Und die Wucht dieser Geschichte ist uns da gar nicht so richtig klar geworden. Aber tatsächlich: Wir waren die ersten, die das vermeldet haben auf der Seite eins als Aufmacher, und das ist mein Lieblings-Scoop.
Hatting: Und was ist der beste, weil peinlichste Irrtum?
Clausen: Da gibt es leider auch fast zu viele. Sehr peinlich war uns immer wieder, dass wir so simple Sachen wie Millionen und Milliarden verwechselt haben und Euro und Dollar, und das darf eigentlich einer Wirtschaftszeitung nicht passieren. Es passiert auch anderen, aber das ist einfach unangenehm und das ist uns leider viel zu häufig passiert.
Hatting: Das ist wirklich eine ehrliche Antwort. Der Leitartikel ist heute eine Seite lang. Warum?
Clausen: Wir haben uns ja zu vielen Themen immer sehr engagiert geäußert: zum Euro, zu den Sozialreformen, zum Arbeitsmarkt. Das ist so ein Format, das es in Deutschland sonst nicht gibt, das haben wir aus dem angelsächsischen Raum übernommen, dass die Redaktion wirklich zusammenkommt einmal am Tag. Nicht jeder nimmt daran teil, aber jeder darf daran teilnehmen, um dann das Thema des Tages zu diskutieren. Das haben wir jetzt noch einmal gemacht zu den wesentlichen Themen, die uns am Herzen liegen, und wir haben gesagt, wenn wir jetzt noch einmal die Chance haben, diese argumentative Kraft der Redaktion wirklich auch zu nutzen, dann sollten wir dem auch eine Seite freiräumen. Deswegen haben wir uns zu den wesentlichen Themen, die uns bewegen – das ist der Euro, das sind die Sozialreformen, das ist der Arbeitsmarkt, das ist die Energiewende –, noch mal eine Seite Platz gegönnt.
Hatting: Was mich besonders beeindruckt hat ist eine Bildergalerie, "Letzter Auftritt" überschrieben.
Clausen: Ja. Ich hoffe, die Leser sehen uns das nach. Wir haben das jetzt genutzt, um uns auch ein bisschen zu feiern, noch mal zu gucken, was die Redaktion so ausgemacht hat. Wir drei Chefredakteure haben uns im Nachhinein, als wir uns die Bilder angeschaut haben, was das für eine Truppe ist, gesagt: Erstaunlich, dass es so lange gut gegangen ist. Und dann haben wir ganz am Ende halt noch ein Foto gedruckt, wo wir uns verneigen, weil wir ganz ehrlich uns entschuldigen. Jetzt in den letzten Wochen haben wir ganz viele Briefe bekommen von Lesern, die uns Mut zugesprochen haben, und da wollen wir uns einfach entschuldigen, dass wir es nicht geschafft haben, weiter zu erscheinen, weil das wirklich eine ganz tolle Beziehung war.
Hatting: Sie entschuldigen sich dafür. Was ist denn schief gelaufen? Ich meine, wir stecken mitten in der Wirtschaftskrise, jetzt wäre ja journalistische Fachkompetenz richtig gefragt, und trotzdem hat es die FTD nie aus den roten Zahlen geschafft. Sie sagen, Sie entschuldigen sich. Was hat die Redaktion falsch gemacht?
Clausen: Wir haben, glaube ich, als Redaktion zu spät darauf hingewirkt, dass wir im Internet uns ein Geschäftsmodell überlegen. Das Geschäftsmodell war, die Inhalte frei zu veröffentlichen und zu hoffen, dass die Werbeerlöse dann die Redaktion tragen. Das hat sich am Ende nie so bewahrheitet. Es war eigentlich auch immer ein Hoffnungswert, dass das noch steigen würde, da hätten wir sicherlich als Redaktion stärker in diese Richtung hinwirken müssen. Und auch, wenn wir natürlich bis zum Ende sehr überzeugt sind von unseren journalistischen Inhalten - das bin ich auch jetzt -, hätte man vielleicht doch schauen müssen, ob man die Inhalte doch noch stärker so aufbereitet, dass es eine breitere Leserschaft findet. Das ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wenn Sie schauen: Wir und unser größter Wettbewerber, wir bekommen zusammen ungefähr 250.000 Leser, also wir haben eine Leserschaft von 250.000 Abonnenten, das ist eigentlich ein bisschen wenig. Und das liegt dann am Ende vielleicht auch doch an uns, dass wir es einfach hätten etwas offener formulieren müssen.
Hatting: Herr Clausen, wie geht es weiter mit Ihnen und Ihren Kollegen?
Clausen: Die meisten haben jetzt die letzten Wochen wirklich dafür gearbeitet, dass wir würdevoll unsere Arbeit beenden, und sich noch gar keine Gedanken gemacht. So geht es auch, ehrlich gesagt, mir. Ich habe mir ein bisschen was überlegt, aber mir ging es jetzt erst mal darum und den ganzen Kollegen auch, dass wir hier mit Anstand uns verabschieden. Heute Abend ist noch eine Abschiedsfeier und dann schauen wir mal weiter.
Hatting: Sven Oliver Clausen, stellvertretender Chefredakteur der Financial Times Deutschland. Die Zeitung ist heute zum letzten Mal erschienen. Herr Clausen, ich danke für das Gespräch und wünsche Ihnen und Ihren Kollegen alles Gute.
Clausen: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
"Handelsblatt"-Chef bedauert Verlust journalistischer Vielfalt - Gabor Steingart zum Ende der "Financial Times Deutschland"
Hintergrund: Der Wert der Inhalte - Zeitungen im digitalen Zeitalter
"Financial Times Deutschland" wird eingestellt - Letzte Ausgabe der Zeitung erscheint am 7. Dezember
Hintergrund: Der Wert der Inhalte - Zeitungen im digitalen Zeitalter
"Financial Times Deutschland" wird eingestellt - Letzte Ausgabe der Zeitung erscheint am 7. Dezember