Wird Alexis Tsipras gewählt, soll Griechenland aus der Eurozone
Schuldentilgung? Damit könnte für Griechenland bald Schluss sein, wenn es nach dem möglichen neuen Regierungschef Alexis Tsipras geht. In diesem Fall wäre es sinnvoll, das Land verließe Eurozone, sagt der Finanzexperte Wolfgang Gerke.
Für Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums, bedeutete ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Eurozone keine Gefahr für die EU, wohl aber für das Land selbst.
Wenn jetzt der Schritt aus der Eurozone und hin zu einer eigenen Währung notwendig werde, "ist das natürlich besonders bedauerlich – dann haben die Griechen gelitten und die anderen Europäer brav gezahlt. Dann ist vieles sinnlos verpufft." Der griechische Mittelstand sei bereits "kaputt gespart", sagte Gerke im Deutschlandradio Kultur.
Er könne sich jedoch nicht vorstellen, dass die EU sich von Griechenland erpressen lasse, wenn der mögliche neue Regierungschef Alexis Tsipras ankündige, vom bisherigen Kurs der Schuldentilgung abzurücken. Gerke sagte weiter, die EU könne Griechenland, falls das Land sich weigere, durchaus aus der Eurozone werfen: "Wenn sich einer an die Konditionen der Verträge absolut nicht hält und diese Verträge quasi für nichtig erklärt – ich denke da an den Maastricht-Vertrag – dann kann man ihn natürlich rausschmeißen."
Der Finanzexperte sagte, eine Gefahr für die anderen Länder bestehe dann, wenn die EU keinen entschiedenen, gemeinsamen Kurs gegenüber Griechenland einschlage. Was ein Übergreifen der schwierigen Situation auf andere Krisenländer wie Italien oder Frankreich anbelange, zeigte Gerke sich dennoch optimistisch, denn "gerade auch Länder wie Italien haben es immer gelernt, im Chaos zu leben." Griechenland sei ein "besonderes Problem".
Eine Gefahr sieht Gerke in der politischen Radikalisierung, wie sie sich gerade in Griechenland als Linksruck vollziehe – auch als Ruck nach Rechts, wie etwa in Frankreich.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Neuwahlen in Griechenland? Davon zeigte sich der DAX relativ unbeeindruckt. Nach einem turbulenten Verlauf hatte der Aktienindex noch annähernd eineinhalb Prozent eingebüßt, bevor er kurz vor Handelsschluss dann ein leichtes Plus erreichte. Dass die Griechen auch im dritten Anlauf keinen Staatspräsidenten gewählt haben, macht den Euro-Rettern in Brüssel allerdings Sorge – ohne diese Sorge allzu laut zu formulieren. Und auch Wolfgang Gerke beobachtet die Geschehnisse aufmerksam als Präsident des Bayrischen Finanzzentrums. Guten Morgen, Herr Gerke!
Wolfgang Gerke: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Sie haben die Stimmen aus Brüssel gehört, auch die des Internationalen Währungsfonds aus Washington. Wie beurteilen Sie die Lage?
Gerke: Ja, was sich da zusammenbaut, ist gefährlich. Man kann die Griechen zum Teil verstehen, sie haben in den letzten Jahren gelitten unter einer seit Jahren verfehlten Politik. Und jetzt wird ihnen das Heil versprochen. Es wird versprochen höhere Löhne, höhere Rente, wieder Beamten einstellen, die man entlassen hat, ein Schuldenschnitt für das Land. Und wie soll man das Ganze bezahlen mit neuen Schulden? Das, was die Opposition Tsipras im Moment dem Volk da verordnen möchte, kommt natürlich gut an. Und das ist die große Gefahr. Es ist keine so große Gefahr für den Euro, es ist keine so große Gefahr für die EU, ich sehe mehr die Gefahr für die Griechen selber. Es sei denn, die EU einigt sich nicht auf Schritte, wenn sie so weitermacht mit Griechenland und sagt, Griechenland bleibt im Euroland, dann wäre das natürlich die falsche Politik.
Eine eigene Währung für Griechenland
Welty: Das heißt, Sie sind auch für einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, wenn die Linken in Griechenland die Wahlen gewinnen?
Gerke: Ja, ich mache das nicht nur von den Linken abhängig, sondern ich war von Anfang an eigentlich für einen Ausstieg aus dem Euro, aber mit einer entsprechend Unterstützung Griechenlands. Also, das, was für Griechenland bezahlt wurde in der Vergangenheit, eingesetzt in ein Griechenland mit einer eigenen Währung, wäre meines Erachtens nach attraktiver gewesen als das, was man gemacht hat. Wenn jetzt dieser Schritt notwendig wird, ist es natürlich besonders bedauerlich, dann haben die Griechen gelitten und die anderen Europäer brav gezahlt, das ist vieles dann sinnlos verpufft. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die Euro-Länder hier von einem kleinen Land erpressen lassen, indem diese sagen, wir zahlen unsere Schulden an euch nicht und machen aber neue Schulden und bleiben im Euro. Das passt eben nicht zusammen.
Welty: Für wie wahrscheinlich halten Sie denn dieses Szenario, das ja wohl den Worst Case darstellen würde?
Gerke: Ich gebe dem im Moment noch eine verhältnismäßig hohe Wahrscheinlichkeit, weil eben die linke Opposition in Griechenland sehr gut punktet. Es ist leider so, dass derjenige, der viel verspricht, oftmals auch viele Stimmen sammelt, und dass der Bürger nicht die Konsequenzen bis ins Ende hinein sich vorstellen kann. Von daher ist dieses Worst-Case-Szenario leider nicht unwahrscheinlich. Es sei denn, der Druck aus dem Internationalen Währungsfonds, aus der Troika, also EU-Kommission und EZB beeindruckt die Bevölkerung und sie sagen, nein, wir wollen nicht mit dem Feuer spielen.
Welty: Ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ist ja nur dann möglich, wenn Griechenland sozusagen mitspielt. Also, die EU ist ja nicht in der Lage, Griechenland von sich aus herauszuwerfen. Für wie wahrscheinlich, um noch mal an die Frage von gerade anzuknüpfen, für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Szenario, dass man sich da in irgendeiner Form einigt?
Gerke: Das sehe ich, Frau Welty, von Anfang an auch anders. Wenn sich einer an die Konditionen der Verträge absolut nicht hält und diese Verträge quasi für nichtig erklärt – ich denke da an den Maastricht-Vertrag, ich denke eben auch an die Schuldengrenzen, die dort formuliert sind –, dann kann man ihn natürlich rausschmeißen. Und hier jetzt zu sagen, aber auf Biegen und Brechen muss jeder im Euro bleiben, das kann's nicht sein. Also, von daher ist meine Einschätzung da eine andere.
Den griechischen Mittelstand zerstört
Welty: Letzten Endes bedeutet das im Umkehrschluss, dass man um Jahre zurückgeworfen wird?
Gerke: Ja, sicherlich war nicht alles umsonst, was gemacht wurde, auch ...
Welty: Was war denn nicht umsonst? Bei dem, was Sie bislang aufgezählt haben, fällt mir da relativ wenig ein!
Gerke: Ja, mir fällt auch wenig ein, vor allen Dingen bedauere ich, dass man den Mittelstand in Griechenland ziemlich kaputtgespart hat. Aber dennoch, die Bürokratie in Griechenland war so ineffizient, und dass man da angefangen hat, wenigstens ein bisschen aufzuräumen, da kommt das Land nicht umhin. Ein Land, das so viele Beamte beschäftigt und so viele Steuern einzieht, da stimmt dann irgendwas nicht. Das ist ja auch in Reihen der Linken-Opposition das gute Argument, dass man sagt, die Reichen haben keine Steuern gezahlt. Und da ist leider auch vieles dran wahr.
Welty: Es gibt auch Stimmen, die sagen, ein Austritt Griechenlands aus dem Euro ist vor allem ein Problem für Griechenland. Sehen Sie das auch so?
Gerke: Ja, das sehe ich auch so. Natürlich ist es ein Gesamtproblem, aber bei dem Anteil, den Griechenland am europäischen Bruttosozialprodukt hat, ist es insbesondere ein Problem für Griechenland. Natürlich wird der eine oder andere dann nachdenken, welches Land könnte in einer ähnlich gefährlichen Situation sein. Ganz schlimm ist, wenn man dann an Italien denkt.
Welty: Frankreich ist ja auch ein Problemkandidat.
Gerke: Frankreich ist auch, das wäre der allerschlimmste Problemkandidat, denn dann bricht alles zusammen. Aber da bricht dann auch in mir der Optimismus wieder durch und ich sage, gerade auch Länder wie Italien haben es immer gelernt, im Chaos zu leben, und werden auch diesmal wieder aus dem Chaos herauskommen. Griechenland ist schon ein besonderes Problem. Und Länder wie Portugal oder auch Irland, die haben sich eigentlich schon recht gut erholt.
Der Gefahr ins Auge sehen
Welty: Trotzdem muss man ja damit rechnen, dass bei einem solchen Szenario, bei einem möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone sich das Land weiter politisch radikalisiert. Das ist doch nicht wünschenswert! Denn geografisch ist Griechenland ja immer noch ein Teil Europas!
Gerke: Ja, das ist absolut nicht wünschenswert. Aber möglicherweise nicht verhinderbar. Griechenland hat sehr, sehr schlechte Erfahrungen mit radikalen Regierungen, radikalen Strömungen gehabt, und man hat ja auch auf der Straße gesehen, mit welcher Auseinandersetzung, mit welcher Brutalität auch diese geführt wurden, es gegeben hat. Und von daher ist dies nicht auszuschließen. Und vor allen Dingen darf eins nicht passieren: Das, was wir in Griechenland jetzt mit einem Linksruck vielleicht sehen, dass das in anderen Ländern dann mit einem Rechtsruck passiert. Und wenn man dann nach Frankreich schaut oder auch in andere Länder hinein, dann gibt es auch da Tendenzen, denen man den Riegel vorschieben muss.
Welty: Jetzt haben wir diverse Teufel an die Wand gemalt. Und welchen Umständen lässt sich die Situation auch als Chance nutzen?
Gerke: Überall gibt es gleichzeitig die Chance. Das ist sicherlich klar. Aber man muss erst einmal dem Drachen ins Auge schauen, um ihn besiegen zu können. Und insofern wäre das Beste natürlich, die Griechen würden selber aufwachen und sagen, jetzt sind wir so weit durchs Tal der Tränen geschritten, jetzt packen wir's. Das wäre das optimistische Szenario und das würde auch für die ganze EU einen Ruck geben. Und das wage ich immer noch zu hoffen. Aber da alleine drauf zu setzen, wäre natürlich verfehlt. Ich glaube aber auch, das ist auch der nächste Hoffnungsschimmer, selbst, dass, wenn Griechenland jetzt aus dem Euro herausgehen würde, das weder den Euro noch die EU gefährden würde.
Welty: Griechenland vor Neuwahlen und die Folgen. Einschätzungen dazu von Wolfgang Gerke, Präsident des Bayrischen Finanzzentrums. "Studio 9" sagt danke schön dafür, auch wenn wir nicht das letzte Mal drüber gesprochen haben!
Gerke: Schönen Tag, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.