Wolfgang Hetzer: Die Euro-Party ist vorbei. Wer bezahlt die Rechnung?
Westend Verlag, Frankfurt am Main, März 2014
416 Seiten, 22,99 Euro, auch als ebook
Nicht mehr Herr im eigenen Haus
Hetzer diagnostiziert ein Totalversagen von Politik und Institutionen in der Eurokrise, die im Kern eine Schuldenkrise sei. Er liefert eine unterhaltsame und zynische Fleißarbeit ohne Lösungsvorschläge.
Am Ende sind es 30 Thesen zur Zukunft Europas. Zehn zum Thema Frieden, zehn zum Thema Geld, zehn zum Thema Souveränität. Nicht nur der abschließende Forderungskatalog macht klar: Wolfgang Hetzer bangt um Europa. Und das nicht zu knapp:
"Die EU steht aus mehreren Gründen in einer existentiellen Bewährungsprobe. In manchen ihrer Mitgliedsstaaten geben der Stand von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Anlass zur Sorge. Für immer mehr Menschen klingt das Wohlfahrtsversprechen der EU hohl."
Wenige Wochen vor der Europawahl gibt er, der viele Jahre in Brüssel gearbeitet hat, den Mahner vom Dienst:
"Mehr Europa oder kein Europa?"
Unter dieser Leitfrage entwickelt er eine niederschmetternde Diagnose:
"Wir stehen nicht nur in Europa vor dem auf den ersten Blick verblüffenden Befund, dass die Demokratie als solche in einen postdemokratischen Zustand eingetreten ist."
Wie konnte es soweit kommen? Als Sündenbock hat Hetzer die Finanzkrise ausgemacht. Denn die Euro-Krise sei im Kern eine Schuldenkrise, resümiert er – und listet gefühlt sämtliche Details der Genese der Finanz-Banken-Staatsschulden-Euro-Krise auf, verliert sich darin und in schlauen Sprüchen, die ihn dann doch ein wenig lehrerhaft daherkommen lassen:
"Noch eine solche Bankenrettung wird sich die Welt wohl kaum noch einmal leisten können."
Oder formuliert knackig:
"Die Politik hat ihre Unabhängigkeit gegen die Pseudowahrheiten der Bankenoligarchie eingetauscht."
Er erinnert noch einmal an die fast schon vergessene Monster-Schelte des fast schon vergessenen Bundespräsidenten Horst Köhler sowie an die komplette griechische Tragödie. An geschummelte Daten. An die "Angstprämie" für zehnjährige griechische Staatsanleihen in Höhe von 20 Prozent. An das Rettungspaket für den Euro in Höhe von 750 Milliarden Euro.
An die Europäische Zentralbank, die auf ihre Unabhängigkeit pfiff und schlechte griechische Anleihen akzeptierte. An unzählige Politikerparolen aus Athen. Immer und immer wieder blickt Hetzer in seinem Buch Richtung Griechenland – und damit zurück auf Athens Misere.
Dreiste Lügen und griechische Statistiken
Aber ganz ehrlich: Will man das wirklich alles noch einmal im Detail lesen? Rasch wird klar: Hetzer ist kein Freund der Griechen, und er hält auch nichts von "Mystifizierungen", wie er es nennt:
"Verantwortlich für die griechische Schuldenkrise sind die dortigen Regierungen. Sie haben ihrem Volk unbezahlbare Versprechungen gemacht, weswegen Goldman Geschäfte abwickelte, die das wahre Ausmaß der Staatsschulden vor den Haushaltsprüfern der EU verbargen. Folglich behält der Spruch 'Es gibt Lügen, dreiste Lügen und griechische Statistiken' seine Gültigkeit."
Und sonst? Der Autor will möglichst viele Krisenherde behandeln. Irland, Zypern, Italien, Spanien – sie alle kommen dran, wenn auch nicht so ausführlich wie Athen. War die Krise absehbar? Nein, sagt der promovierte Rechts- und Staatswissenschaftler. Er diagnostiziert ein Totalversagen von Politik und Institutionen:
"Kein staatliches Kontrollorgan hat die Krise vorhergesehen oder gar verhindert. Stattdessen haben Staaten Steuergelder eingesetzt, um den Größenwahnsinn und das Unvermögen von Managern zu finanzieren, die ihre Geschäfte zum Teil mit krimineller Energie zum Schaden der Allgemeinheit verfolgt haben. Letztlich hat die Politik dafür gesorgt, dass der Staat nicht mehr Herr im eigenen Haus ist."
Seine Quintessenz: Eigentlich sind alle Politiker unfähig. Ein politikverdrossener Autor also? Und das bei seiner Vita? Nur zur Information: Er war Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung in Brüssel und davor Referatsleiter im Bundeskanzleramt; er kennt den deutschen Politzirkus, aber auch den der Europäischen Union. Und so einer redet dermaßen schlecht über die eigene Zunft?
"Die politische Klasse in Brüssel scheint nicht in der Lage zu sein, die bestehenden schwerwiegenden Probleme zu lösen, sondern verschlingt vor allem das hart erarbeitete Geld der Steuerzahler."
Wolfgang Hetzer bietet Populismus. Und sein Zynismus macht die Sache nicht besser:
"Mit Blick auf die europäische Schuldenkrise nahmen Angehörige der vermeintlichen Elite unterdessen die Verhaltensmuster von Kleinkindern an."
Und er bemüht schließlich den Historiker Herfried Münkler, demzufolge "die politischen Eliten (...) ein Bild des Jammerns" böten.
Er kritisiert viel, erwähnt alles und jeden. In seinem Buch steckt jede Menge Fleißarbeit. Nur weiß er nicht zu sagen, wie all die Krisen besser hätten gelöst werden können. Dadurch erhält er selbst als Autor keinerlei Kontur. Weil er sich zu sehr hinter Kommentaren und Analysen aus anderen Federn versteckt, liest sich das Buch überwiegend wie eine Diplomarbeit.
Das ist schade, weil er ja schreiben kann – flott, unterhaltsam, hübsch zynisch. Aber ohne Zweifel: Ernst ist ihm das Thema ganz bestimmt, schließlich handelt es von der Zukunft Europas.