Finanzmarktexperte über Cameron

Große Show im EU-Brexit-Drama

Der britische Premierminister David Cameron verlässt mit einem Lächeln den EU-Gipfel in Brüssel.
Erschöpft, aber zufrieden: Der britische Premierminister David Cameron verlässt den EU-Gipfel in Brüssel. © afp / Thierry Charlier
Bert Van Roosebeke im Gespräch mit Ute Welty |
Die EU hat sich auf Sonderregeln für Großbritannien geeinigt. Bert Van Roosebeke hält den Deal für relativ unbedeutend. Der Show-Anteil in Brüssel sei hoch gewesen, so der Finanzmarktexperte: Vor allem habe der britische Premier David Cameron seine Kampfbereitschaft beweisen wollen.
Der Finanzmarktexperte Bert Van Roosebeke vom "Centrum für Europäische Politik" (cep) sieht in der europäischen Einigung über einen Sonderstatus für Großbritannien keine grundlegenden Zugeständnisse der EU. "Man kann nicht von einer Reform sprechen. In der politischen Realität sind das keine nennenswerten Änderungen", sagte der Ökonom im Deutschlandradio Kultur zu den Ergebnissen des EU-Gipfels. Die Einigung innerhalb der EU sei letztlich doch relativ schnell gelungen, da es sich bei dem Reformpaket nicht um grundlegende EU-Vertragsänderungen handle.

Erfolg für Cameron beim Thema Einschränkung von Sozialleistungen

Cameron habe sich insbesondere bei den Themen durchgesetzt, die den Wählern in Großbritannien wichtig seien. Dazu zählten die Einschränkungen von Sozialleistungen und Kindergeld für nach Großbritannien zugewanderte EU-Arbeitnehmer. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ermögliche hier die verlangten Änderungen. Weitere Forderungen etwa nach Mitentscheidungen im Ministerrat bei neuen Gesetzen hätten aber Vertragsänderungen erfordert. Hier habe aber von vornherein ein Konsens darüber geherrscht, dass die europäischen Verträge nicht geändert werden, so der Fachbereichsleiter Finanzmärkte am Centrum für Europäische Politik (cep) der Stiftung Ordnungspolitik in Freiburg.

Möglicherweise kaum Auswirkungen auf das geplante Referendum

Der Show-Anteil in Brüssel sei hoch gewesen, erklärte Van Roosebeke weiter. Um innenpolitisch bestehen zu können, habe der britische Premier zeigen müssen, dass er gekämpft habe wie ein Löwe. Unsicher bleibe aber, ob Cameron seine Landsleute letztlich überzeugen könne, im geplanten Referendum für den Verbleib in Europa zu stimmen. Er befürchte, "dass die kleinen politischen Änderungen, die jetzt in die Wege geleitet wurden, dafür keine Rolle spielen." Van Roosebeke mahnte eine tatsächliche Reform der EU angesichts "sehr viel größerer Baustellen" wie der Flüchtlings- und Eurokrise an. Dies werde aber von den Mitgliedstaaten nicht angepackt: "Das verlangt Vertragsänderungen, das macht man nicht über ein Wochenende, das dauert zwei bis drei Jahre und da müsste man dringend rangehen."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Ich bin sicher, irgendwo hat der britische Premier Cameron eine Handtasche versteckt, zumindest liegt der Verdacht nahe, denn es war schließlich die Handtasche, mit der Camerons Vorvorgängerin Margaret Thatcher bei der EU auf den Tisch schlug und ihr Geld zurückwollte. Wie Thatcher hat sich jetzt auch Cameron durchgesetzt und Sonderrechte ausgehandelt für Großbritannien: Mehr Mitspracherecht bei Entscheidungen in der Eurozone und weniger Sozialleistungen für EU-Ausländer. Was dieser Deal für Großbritannien und für die EU bedeutet, das erfahren wir jetzt von Bert van Roosebeke. Der Ökonom forscht beim Zentrum für europäische Politik in Freiburg. Guten Morgen!
Bert van Roosebeke: Guten Morgen!
Welty: Vor ein paar Tagen haben Sie sich mit der Gemengelage auseinandergesetzt und gesagt, die Briten setzen sich durch. Warum war das von Anfang an so klar?

"Es war von vornherein klar, dass die europäischen Verträge nicht geändert werden"

Roosebeke: Der Bewegungsspielraum, den man hat, ist eigentlich sehr eng. Es war ja eigentlich von vornherein klar, dass die europäischen Verträge nicht geändert werden. Dafür ist einfach keine Zeit letztlich da und auch keine politische Bereitschaft bei den anderen Ländern. Sprich man musste sich in einem sehr engen Korsett bewegen, um innerhalb der europäischen Verträge zu bleiben, und dann gibt es hier und da ein paar Variablen, ein paar Änderungen, die man machen kann bei den Sozialleistungen vor allem, weil wir da ein bisschen Rechtsprechung des EuGHs haben, die uns erlauben ...
Welty: Des europäischen Gerichtshofes.
Roosebeke: Genau. Die uns erlaubt, hier und da etwas zu ändern, aber bei den anderen Fragen, sprich bei der Entscheidungsfindung im Ministerrat bei neuen Gesetzen, ist eigentlich sehr wenig machbar.
Welty: Wenn das alles so klar war, warum hat das dann so ewig gedauert, bis der Deal festgezurrt wurde? Oder anders gefragt: Wie groß war der Showanteil bei diesem Gipfel?

"Der Showanteil war enorm"

Roosebeke: Ich glaube, der Showanteil war enorm. Eigentlich waren alle am Tisch, alle Mitgliedsstaaten waren sich einig, dass Großbritannien möglichst in der EU bleiben soll, und da glaube ich schon, dass man einfach eine Show abgezogen hat, sodass Herr Cameron nach Hause gehen kann und sagen kann, ich habe gekämpft wie ein Löwe, es hat sehr lange gedauert, ich habe das Beste rausgeholt, was ich machen konnte, und jetzt sollten wir doch bitte dafür stimmen, in der EU zu bleiben.
Welty: Worum ist es Cameron im Kern gegangen? Um den Finanzplatz London?
Roosebeke: Das ist eine gute Frage, worum es ihm im Kern gegangen ist. Er macht keinen Hehl daraus, dass er unbedingt will, dass Großbritannien in der EU bleibt. Ich glaube nicht, dass er inhaltlich wirklich unbedingt viel ändern wollte. Das Thema, wovon er denkt, dass er seine Wähler damit überzeugen kann, scheint wahrscheinlich Sozialleistungen und das Kindergeld zu sein. Da hat er durchaus Änderungen erreicht, aber das sind jetzt keine Themen, wo man sprechen kann, wir haben jetzt mal eine Reform der EU hier in die Wege geleitet. Es ging um relativ banale Themen.
Welty: Wo hat denn die EU punkten können?
Roosebeke: Das werden wir sehen. Wenn Großbritannien dafür stimmt, die Wähler dafür stimmen, in der EU zu bleiben, dann kann man sagen, dass man sich jetzt eine Weile lang mit einem Staat beschäftigt hat und vielleicht eine Weile lang jetzt Ruhe haben wird, wenn die dann wirklich dafür stimmen, drin zu bleiben. Ruhe haben wird, ohne wirklich grundlegende Zugeständnisse gemacht zu haben.
Welty: Aber reicht das denn, was Cameron ausgehandelt hat, um die Briten bei der Stange zu halten?

Einigung könnte für die Frage des Referendums nicht entscheidend sein

Roosebeke: Das ist die entscheidende Frage. Ich persönlich habe die Befürchtung, dass das, was man jetzt auf dem Gipfel beschlossen hat, dass das für die eigentliche Frage des Referendums nicht so wichtig sein wird. Ich denke mal, dass das in Großbritannien wieder eine sehr emotionale Debatte werden wird, ob man drin bleibt in der EU oder nicht und dass die politischen Änderungen, die kleinen politischen Änderungen, die jetzt in die Wege geleitet wurden, dass die dafür keine Rolle spielen werden.
Welty: Bringt dieser Gipfel die Europäische Union weiter, bringt er sie nach vorne oder fehlt dann tatsächlich immer noch die große Reform, die längst angedacht werden müsste?
Roosebeke: Nach vorne bringen tut es uns das, wenn überhaupt, dann nur, weil Großbritannien dann in der EU bleibt. Man kann jetzt nicht, wie gesagt, von einer Reform sprechen. In der politischen Realität sind das keine nennenswerten Änderungen. Da haben wir ganz andere Baustellen in der EU, sei es die Flüchtlingskrise, sei es die Eurokrise. Da ist noch sehr viel mehr zu leisten, aber das verlangt eben Vertragsänderungen, und das macht man nicht über ein Wochenende. Das dauert ein, zwei, drei Jahre, und da müsste man dringend drangehen.

Notwendige Reformen der EU bleiben aus

Welty: Wer könnte das denn machen? Ist das eine deutsche Aufgabe, diese Vertragsänderung voranzutreiben?
Roosebeke: Wissen Sie, jeder Mitgliedsstaat hat seine Pläne in der Schublade, auch Deutschland, was man wo ändern möchte. Die Befürchtung bei vielen ist natürlich, wenn man da anfängt, dann kommen andere auch mit Forderungen, dann haben wir ein Riesenpaket. Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, jetzt mal langsam anzufangen, weil, wie gesagt, das ist ein Prozess von zwei, drei Jahren, und es ist einfach ... Jemand wird den Mut brauchen, zu sagen, so, jetzt legen wir los, und dann treffen wir uns in vier, fünf Jahren mit dem Risiko, dass die Vertragsänderung in einem Mitgliedsstaat, sei es Irland, sei es Holland, in dem nationalen Referendum scheitert. Davor haben alle Angst, aber Angst ist eben kein guter Ratgeber.
Welty: Der Ökonom Bert van Roosebeke vom Zentrum für europäische Politik. Ich danke sehr für diese Einschätzung nach dem Gipfel in Brüssel!
Roosebeke: Gerngeschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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