"Mit billigem Geld wird gezockt wie noch nie"
Einen Ausverkauf der europäischen Wirtschaft befürchtet der Wirtschaftsprofessor Max Otte angesichts der aktuellen Geldpolitik. Sie löse keine Strukturprobleme, sagte er angesichts der heutigen Entscheidung der US-Notenbank über den zukünftigen Leitzins.
"Diese Welt ist extrem falsch", sagte der deutsch-US-Amerikanische Ökonom Max Otte im Deutschlandradio Kultur angesichts der erwarteten Erhöhung des Leitzinses durch die US-Zentralbank.
"Billiges Geld hat man gemacht, damit die Banken sich billig verschulden können und andere das in den Wirtschaftskreislauf bringen."
Das funktioniere aber nur teilweise, sagte Otte: "Mit dem billigen Geld wird gezockt wie noch nie."
Das Derivatevolumen sei ebenfalls so hoch wie noch nie. Die Staaten finanzierten sich billig und dennoch springe die Wirtschaft nicht so recht an. "Die Nebenwirkungen sind massiv", sagte der Professor für Betriebswirtschaftslehre in Worms.
"Die Schulden der Welt sind seit Beginn der Finanzkrise um ein Weltsozialprodukt gewachsen."
Die Geldpolitik sei derzeit das einzige, was die Regierungen derzeit zu haben schienen, kritisierte Otte.
EZB bleibt bei bisheriger Geldpolitik
Der Ökonom sagte, es sei auch nach einer Leitzinserhöhung in den USA nicht mit einer ähnlichen Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zu rechnen. "Draghi hat sich festgelegt, einen Kurs des billigen Geldes weiterzufahren", sagte Otte über den EZB-Präsidenten. Aus seiner Sicht werfe das weitere Probleme auf.
"In Deutschland lassen wir weiter die Gelddruckmaschine laufen."
In den USA werde das dagegen kontrolliert und ein wenig zurückgefahren. Das führe dazu, dass das Zinsniveau in Europa niedrig sei und weiteres Kapital in die USA abfließe, um die Wirtschaft dort anzuheizen.
Kaufkraftverlust in Europa erwartet
Für deutsche Verbraucher bedeute diese Entwicklung, dass US-Aktien weiter stiegen und der Euro weiter falle, sagte Otte.
"Ein fallender Euro ist für unsere Exporte natürlich gut, aber für die Importe schlecht."
Das könne zu einem leichten Kaufkraftverlust in Europa führen und weiter dafür sorgen, dass US-Firmen noch mehr europäische Firmen aufkaufen könnten.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es werden in letzter Zeit Scherze gemacht in Wirtschafts- und Finanzkreisen über junge Börsenmakler. Die werden nämlich bald ganz schockiert sein, heißt es da, weil die gar nicht wissen, dass das überhaupt geht, das Leitzinsen auch steigen können, denn dass das passiert sei, das sei so lange her, dass manche Nachwuchskräfte sich einfach nicht erinnern können und es noch nie erlebt haben.
Tatsächlich erwarten aber fast alle Experten, dass die FED, die amerikanische Zentralbank, heute den Leitzins wieder erhöhen wird. Solide Wirtschaftsdaten aus den USA lassen nämlich kaum etwas anderes erwarten. Über die erwartete Leitzinserhöhung wollen wir jetzt mit Max Otte reden, Volkswirt, Autor zahlreicher Bücher zu Wirtschafts- und Finanzfragen und Professor für Unternehmensführung an der Universität Graz. Morgen, Herr Otte!
Max Otte: Guten Morgen!
Kassel: Vorweg, um das mal zu klären: Erwarten Sie denn auch heute diese Leitzinserhöhung, oder sind Sie misstrauisch?
Otte: Sie könnte kommen. Die FED spielt ja schon seit zwei Jahren mit dem Gedanken, irgendwann muss sie jetzt mal liefern, es ist eigentlich schon unglaubwürdig, was die bisher gemacht hat. Also, irgendwas wird kommen, aber es wird ein winziger Schritt sein.
Kassel: Also wenn, dann wahrscheinlich 0,25 Prozent oder?
Otte: Genau. Das erwarten die Beobachter so einstimmig. Ich kann mir das ganz gut vorstellen, dass es in der Größenordnung ist. Aber es ist ja letztlich ein symbolischer Schritt, der materiell jetzt relativ wenig zu sagen hat, von null auf 0,25. Da tut sich nicht so viel.
Kassel: Aber wäre es trotzdem im Prinzip die richtige Entscheidung?
Otte: Diese Niedrigzinsen, die wir jetzt haben, eigentlich schon seit über 20 Jahren, ganz verstärkt nach der Finanzkrise, waren vielleicht nötig, um Zeit zu erkaufen, aber wir haben natürlich ganz viele Nebenwirkungen, und irgendwann muss man aussteigen. Es ist nur das Problem, wenn man jetzt wirklich aussteigen wird, ob das System das verkraftet mit den vielen Schulden, die wir vor uns her schieben.
Tricksen an allen Ecken und Enden
Kassel: Es heißt ja, die positiven Wirtschaftsdaten aus den USA sind der Anlass, der Grund. Aber die muss man ja auch hinterfragen. Nehmen wir die Arbeitslosigkeit. Die ist rekordverdächtig niedrig bei rund fünf Prozent. Aber die Erwerbstätigenquote ist auch rekordverdächtig niedrig, was ja heißt, das liegt auch daran, dass im Moment wenig Menschen Arbeit suchen. Also, sind die USA wirtschaftlich so stark, dass das gerechtfertigt wäre?
Otte: Richtig. Bei den Statistiken wird gelogen und geschummelt, wo man nur kann. Das ist aber nicht nur in den USA so, das haben mittlerweile auch andere Länder drauf. Sie sagen selbst, die Erwerbsquote ist relativ niedrig, aber das hängt auch damit zusammen, dass Menschen, die jetzt fünf Jahre langzeitarbeitslos sind, selbst wenn sie gern Arbeit hätten, nicht mehr als arbeitslos gezählt werden, weil man sagt, die sind nicht mehr integrierbar. So trickst man an allen Ecken und Enden, um die Daten hinzubekommen.
Amerika ist mitnichten in Ordnung. Da gibt es die Rassenunruhen in den Städten, die Ermordung von Schwarzen. Da gibt es jetzt das Ende des Fracking-Booms durch das billige Geld. Da gibt es viele, viele Dinge, die dagegensprechen, aber irgendwann, jetzt muss eben die FED, vielleicht schon mal aus reinen Glaubwürdigkeitsgründen diesen kleinen Schritt machen. Und selbst wenn dann zwei oder sogar drei kleinere Schritte hinterherkommen, dann haben wir Leitzinsen bei einem Prozent. Das ist ja lächerlich im Vergleich zu dem, was ein normales Zinsniveau wäre. Also selbst dann kann man noch nicht wirklich von einem ernsthaften Ausstieg sprechen.
Kassel: Aber wenn die Federal Reserve heute diesen Schritt gehen würde, ist dann damit zu rechnen, dass die Europäische Zentralbank das bald auch tut?
Otte: Nein. Wie Sie es in der Anmoderation gesagt haben: Draghi hat sich festgelegt, einen Kurs des billigen Geldes weiterzufahren, was dann auch wieder Probleme aufwirft. In Deutschland lassen wir weiter die Gelddruckmaschine laufen. In den USA wird das kontrolliert, ein kleines Stück zurückgefahren, was heißt, dass das Zinsniveau in Europa dann niedrig ist und weiteres Kapital von Europa nach Amerika fließt, wie es in den letzten Jahren schon gewesen ist. Das fehlt uns hier, das heizt dort die Wirtschaft an. Also, das bringt dann weitere Probleme mit sich, aber dennoch wird Draghi wahrscheinlich an der Politik des billigen Geldes festhalten.
Diese Welt ist extrem falsch
Kassel: Das klingt jetzt so, als würden Sie das denn doch auch für falsch halten.
Otte: Ja. Wir sind schon viel zu lange in dieser falschen Welt. Diese Welt ist extrem falsch. Billiges Geld hat man gemacht, damit die Banken sich billig verschulden können und andere das ist in den Wirtschaftskreislauf bringen. Das funktioniert nur zum Teil. Mit dem billigen Geld wird gezockt wie noch nie. Das Derivatevolumen ist so hoch wie noch nie. Die Staaten refinanzieren sich billig, die Wirtschaft springt trotzdem nicht so recht an. Die Nebenwirkungen sind massiv. Die Schulden der Welt sind insgesamt seit Beginn der Finanzkrise um ein Weltsozialprodukt gewachsen.
Die Geldpolitik ist das einzige, was die Regierungen im Moment zu haben scheinen, und wenn jemand ein Problem hat, und er hat nur einen Hammer, dann hat das Problem eine Tendenz, auszusehen wie ein Nagel. Wenn man gern was machen möchte und nur einen Hammer hat, dann fängt man an zu hämmern. Und ein bisschen ist das mit der Geldpolitik auch so, denn die Geldpolitik löst natürlich keinerlei Strukturprobleme.
Kassel: Sie haben schon gesagt, Herr Otte, wenn es eine Leitzinserhöhung in den USA um, sagen wir mal, die erwarteten 0,25 Prozent heute gibt, dann ist das nicht viel, dann ist das eigentlich Symbolpolitik der Federal Reserve. Aber wir wissen beide, dass an Börsen auch Psychologie eine große Rolle spielt. Ich habe es erwähnt, es ist ein Witz, aber nicht nur ein Witz. Es gibt Börsenmakler, die haben die Zeiten gar nicht mehr erlebt, als die Zinsen höher waren. Welche Auswirkungen könnte eine solche Erhöhung heute auf die internationalen Börsen haben?
Otte: Wenn die Stimmung sehr nervös ist, kann das schon sehr negativ aufgefasst werden, denn natürlich leben die Börsen auch im Moment mit von dem billigen Geld. Wir haben keine echten Börsenblasen, da sind wir weit von weg, aber niedrige Zinsen heißt, dass Aktien und andere Anlagen attraktiver werden als Festgeld, als Anleihen, als dieses. Also, eine Zinserhöhung ist tendenziell schlecht für die Börse, und wenn die Stimmung im Moment wackelig genug ist, dann kann das schon ordentlich erst mal zu einer Korrektur führen.
Kassel: Sie rechnen, das haben Sie vorhin gesagt, mit Zinsen im nächsten Jahr von maximal einem Prozent. Ich habe auch andere gehört, die gehen sogar noch weiter und sagen, vielleicht sogar 1,5 Prozent in den USA. Was würde das denn für europäische, für deutsche Verbraucher bedeuten?
Otte: Es würde zunächst einmal bedeuten, dass Kapital weiter in die USA fließt, dass amerikanische Aktien unter Umständen weiter steigen, dass der Euro fällt. Ein fallender Euro ist für unsere Exporte natürlich gut, aber für die Importe schlecht, also unterm Strich wird es wahrscheinlich einen leichten Kaufkraftverlust in Europa mit sich bringen, was jetzt für die Verbraucher noch nicht das Problem ist. Aber wenn der Euro immer billiger wird, dann haben wir ein Problem insofern, dass dann amerikanische und andere Firmen noch mehr europäische Firmen kaufen werden, wie das in den letzten Jahren schon so passiert ist, dass also Europas Wirtschaft so langsam im Ausverkauf ist.
Kassel: Der Wirtschafts- und Finanzexperte Max Otte über die Folgen einer Leitzinserhöhung, wie sie heute von der amerikanischen Zentralbank allgemein erwartet wird. Herr Otte, vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.