Fisch, Erdöl und Hoffnung auf neue Jobs
Vor den Küsten der Inselgruppen der Lofoten werden gewaltige Ölvorkommen vermutet. Dabei ist das artenreiche Gebiet als hochsensibler Lebensraum besonders geschützt. Der Konflikt zwischen Fischern und Industrie ist entbrannt.
Jan Martin Johansen steht am Ruder seines Fischkutters "Moivik". Der Mittfünfziger späht hinaus in die Finsternis. In der Ferne blitzen Positionslichter auf. An diesem Morgen im Vestfjord vor den Lofoten hoffen auch die Kollegen auf fette Beute. Johansen zieht lässig am Gashebel. Er navigiert auch im Halbschlaf ohne Mühen durch schmale Passagen und an trügerischen Untiefen vorbei.
"Nun leitet uns der Autopilot. Satellitenpeilung. Und in die Tiefe dringt das Echolot. 55 Faden sind es bis zum Meeresgrund."
Das betagte Schiff hat einen Holzrumpf und stählerne Aufbauten. Aus dem kleinen Ruderhaus geht der Blick auf schwarze Felsformationen, die senkrecht aus der See ragen. Seit eintausend Jahren ist die Region für ihre reichen Fanggründe bekannt. Und tatsächlich macht das Echolot des Kutters bereits nach kurzer Fahrt geballte Fischleiber in der Tiefe aus.
"Da sind sie, die Fische! Sie werden als Punkte auf dem Bildschirm dargestellt. Die rote Farbe steht für den Kabeljau. Schellfisch und Seelachs leuchten grün und gelb. Im Moment ist da unten wenig zu holen."
Gleichwohl löst sich Johansen nun vom Ruder, um seinen drei Kollegen an Bord zu helfen, Achtern das Netz auszubringen.
Mit einer starken Motorwinde wird das Netz an Bord gehievt und über eine Metallwanne geführt. Fette Beute hängt in den Maschen. Mit einem spitzen Haken zieht Einar Johansen die silbern-grünlich schimmernden Schuppentiere zu sich heran und befreit sie aus dem Netz. Wie sein Chef fährt auch Einar schon seit einem halben Menschenleben zur See:
"Ich muss hier draußen und in Freiheit sein. Wenn es zu still wird, dann werde ich rastlos und wunderlich. Die Erwartung, die Hoffnung auf einen großen Fang – das hält mich in Bewegung."
Kaffeepause unter Deck. Eine stählerne Leiter führt hinab in den kleinen beheizten Raum im Bug des Schiffes. Einar angelt sich Käse und Brot aus dem Kühlschrank. Eine liebliche Weise kommt dem Seebären in den Sinn.
Der geschlechtsreife Kabeljau, den die Norweger "Skrei" nennen, bringt bis zu 50 Kilo auf die Waage, doziert Kapitän Jan Martin Johanson mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor der Nase. Nördlich des 62. Breitengrades gedeiht der weltgrößte Bestand. Er wird von russischen und norwegischen Behörden gemeinsam verwaltet. Im Vorjahr brachten die versammelten Kutterflotten allein auf den Lofoten 60.000 Tonnen Skrei an Land. Jan Martin Johansen stellt den Tieren mit dem Netz nach.
Er stammt aus einer Fischerfamilie mit stolzer Tradition. Schiff und Beruf hat er vom Vater geerbt:
"Ausfahrt bei Sturm und Wellen, Heimkehr im Mondschein bei stiller See ‒ wir hier auf den Lofoten sind Extreme gewöhnt. Man schuftet und schwitzt. Am Abend bist Du völlig fertig. Aber wenn die Kasse stimmt, dann bist Du glücklich."
Zu allen Zeiten sind die Johansons hinausgefahren. "Doch das scheint sich jetzt zu ändern", knurrt der Norweger. Wie so viele seiner Kollegen zweifelt er inzwischen am wirtschaftlichen Sinn seiner Arbeit. Ausgerechnet die größten Trawler, die mit subventioniertem Diesel und mit kilometerlangen Schleppnetzen alles Leben aus dem Wasser ziehen, hätten die geringsten Auflagen, schimpfen die Küstenfischer auf den Lofoten. Immer höhere Fangquoten verderben ihnen die Preise. Momentan sei das Kilo Kabeljau bei der Anlandung weniger als 12 Norwegische Kronen, umgerechnet kaum mehr als anderthalb Euro wert:
"Ich sage es ganz ehrlich: die Trawler weiter draußen auf offener See sind die Pest! Ich halte die Barentssee für überfischt. Die Fangquoten sind viel zu hoch. So kommen wir nicht auf die Preise, die wir zum Überleben bräuchten."
Zwar werden in den Küstengewässern der Lofoten neben dem Kabeljau auch andere Fische gefangen: im Winter Seeteufel und Rotbarsch, im Frühling Schellfisch und Seehase, im Sommer Heilbutt und Makrele. Doch viele dieser Arten hätten sich rar gemacht, behauptet Johanson. Der erfahrene Berufsfischer führt die Verhaltensänderung der Tiere auf seismische Erkundungen in deren Lebensraum zurück:
"Ich bin strikt gegen die Ölförderung auf unseren Fischbänken! Der Konflikt zwischen uns Fischern und den Konzernen ist vorprogrammiert."
Jan Martin Johansen erinnert sich an die öffentliche Anhörung über den so genannten "Verwaltungsplan" für die Nordgebiete. Dazu war im Juni 2010 die geballte Politprominenz aus Oslo in die Inselhauptstadt Svolvær gereist. Es ging um die Grundsatzentscheidung, ob die Regierung die Förderung von Erdöl vor den Küsten der Lofoten und den nördlich davon liegenden Västerålen zulässt oder nicht. Auf umgerechnet 24 bis 200 Milliarden Euro schätzt das norwegische Energiedirektorat den Marktwert der Ressourcen, die in den bereits erkundeten und markierten Meeresbereichen vermutet werden.
Wie umfassend ein Reservoir ist, lässt sich anhand der geologischen Strukturen schwer voraussagen. Kaum kalkulierbar seien auch die Risiken, betont Harald Gjøsæter. Der Meeresbiologe und seine streitbaren Kollegen am Meeresforschungsinstitut in Bergen sind emsig bemüht, der Gier Grenzen zu setzen. Auf ihre Empfehlung geht die Einrichtung eines Schutzgebietes zurück. Durch ein Moratorium sind beide Inselgruppen bislang noch als besonders "sensible Ökosysteme" vor der Erdölförderung geschützt. Gjøsæter sorgt sich auch um die zwischen Nordskandinavien und Russland gelegene Barentssee:
"Die Barentssee ist ein einzigartiges Ökosystem. Hier finden wir die weltweit größten Bestände von Kabeljau und Stint sowie vom Hering, in der frühen Phase seines Lebenszyklus. Die klimatischen Verhältnisse sind überaus günstig. Der warme Golfstrom kommt vom Westen und führt reichlich Nährstoffe und Plankton mit sich. Die großen Schwärme laichen vor den Küsten und die Jungfische wandern mit der Strömung."
Als Larve und Jungtier ist ein Fisch besonders empfindlich, weil er dann passiv mit der Strömung treibt. Ausgerechnet vor den Lofoten nach Erdöl zu suchen, sei daher bodenloser Leichtsinn, meint Gjøsæter – und viele seiner Fachkollegen stimmen ihm zu.
"Wir wissen noch wenig über die Langzeiteffekte, die durch austretende Schadstoffe entstehen. Fast alle Fischarten in der Nordsee haben bereits Probleme mit der Fortpflanzung. Nicht auszuschließen, dass die Öl- und Gasförderung eine Ursache dafür ist."
Über Fluch und Segen des schwarzen Goldes streitet die rot-grüne Regierung des reichen Förderlandes mit Leidenschaft. Die Sozialdemokraten hinter Ministerpräsident Jens Stoltenberg dringen auf die rasche Erschließung bislang noch unentdeckter Vorkommen an Erdöl und Erdgas, die eines Tages die erschöpften Reservoire in der Nordsee ersetzen sollen. Ihr kleinerer Partner, die umweltbewegte Linkspartei, lehnt den Vorstoß des staatlichen Konzerns Statoil in die sensiblen Lebensräume der Lofoten rigoros ab. Die besonders auf dem Lande verwurzelte Zentrumspartei – sie stellt im Kabinett den Öl- und Energieminister – ist in der Frage tief gespalten.
Milliarden an Forschungsmitteln gingen für die zweifelhafte Jagd nach Rohstoffen drauf, empört sich Nina Jensen, Arktis-Expertin des WWF, nur eine der Umweltorganisationen, die auf den Lofoten den Widerstand organisieren. Dabei habe sich das Fünfmillionenvolk der Norweger verpflichtet, seine Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid bis zum Jahr 2030 auf null zu reduzieren.
"Nur wenige Arbeitsplätze werden hier auf den Inseln entstehen. Das große Geschäft wird woanders gemacht – und die Profite fließen in die Staatskasse. Auf Kosten der Menschen an der Küste, die das ganze Risiko tragen, falls eines Tages etwas schief laufen sollte. Regierung und Industrie in unserem Land lassen sich die Fahndung nach fossilen Energieträgern rund 120 mal mehr kosten, als den Erneuerbaren zugutekommt. Dabei haben wir hier in Norwegen ein großartiges Potenzial für den Ausbau der Wasserkraft und auch der Windenergie."
Sigbjørn Aanes kann solche Bedenken nicht verstehen. Die Geologie im begehrten Zielgebiet sei bekannt, behauptet der Sprecher des Branchenverbands OLF, die ingenieurstechnischen Probleme seien zu bewältigen.
"Wir vermuten, dass die potenziellen Fördergebiete um die Lofoten und Västerålen große Mengen an Öl und Gas enthalten. Wir reden vielleicht von einer Menge, die sechs Milliarden Tonnen Rohöl entspricht. Die Lofoten sind das ganze Jahr über eisfrei, das Meer ist mit 200 bis 300 Metern nicht besonders tief. Wir würden uns auch an strenge Vorschriften halten, zum Beispiel nicht während der Laichsaison produzieren."
Noch leben die allermeisten der rund 25.000 Bewohner der Inseln vom Fischfang und von den zahlreichen Besuchern aus aller Welt. In den Sommermonaten stehen die deutschen Wohnmobile an der Hafenmole von Svolvær in Reihe geparkt. An diesem Morgen läuft dort ein Kutter aus dem Trollfjord ein. Ein Trupp Touristen strömt von Bord und hinein in die kleine Hauptstadt mit ihren bunten Holzhäusern, die sich malerisch an senkrecht aufragende Granitfelsen schmiegen. Unterdessen streiten die Norweger. Die Fragen des Besuchers haben einen Disput über die Chancen und Risiken der Ölförderung in Schwung gebracht.
"Viele von uns würden gern auf die künftigen Bohrinseln gehen, das ist gute Arbeit und gutes Geld. Aber leider gibt es eine strenge Auswahl. Du brauchst erstklassige Noten. Aus ganz Norwegen bewerben sie sich, doch nur die wenigsten werden genommen."
"Die Förderunternehmen schicken ihre Leute aus Oslo hoch. Von uns hier auf den Lofoten wird niemand Arbeit finden. Wir haben vielleicht mehr Geld für die Sicherheit, aber das Unglück kann auch uns treffen. Wir sind nicht so abhängig, dass wir hier um jeden Preis bohren müssen."
An einträchtiges Wirtschaften und friedliche Koexistenz mag Bjørn Roar Jensen nicht glauben. Der bärtige Norweger spricht für die Gewerkschaft der Küstenfischer, die sich vehement gegen die Umgarnung der Öl-Lobby wehrt. Im Sommer 2008 kreuzten Prospektoren auf Spezialschiffen vor den Inselgruppen der Lofoten und Västerålen auf. Die Regierung im fernen Oslo hatte unter Auflagen grünes Licht dafür gegeben, die geologische Struktur des Meeresbodens auch in der norwegischen See und in der Barentssee zu erkunden. Diese Erkundungen hatten verheerende Folgen für Flora und Fauna, sagt Jensen:
"Die seismischen Untersuchungen haben starken Einfluss auf die Fische. Die Impulse aus den Luftkanonen töten Plankton und Jungfische. Die großen Schwärme tauchen ab oder ziehen sich zurück. Von der Küste bis zum Abbruch des Kontinentalsockels in die Tiefsee sind es nur 12 nautische Meilen. Auf diesen schmalen Fischgründen sollen die Förderanlagen operieren. Die Industrie bleibt uns die Antwort schuldig, wie das funktionieren soll."
Ein gequältes Seufzen entfährt dem Fischer auf die Frage, was er von den amtlichen Notfallplänen für Schiffbruch und Leckagen hält:
"Keine Chance! Wir wären einfach hilflos! Hier vor den Lofoten gibt es aufgrund der Witterung vielleicht 20 Tage im Jahr, an denen man ausgelaufenes Öl auffangen könnte. Wir haben ganzjährig starke Strömungen. Und mindestens ein bis zwei Meter hohe Wellen. Barrieren und Bindemittel würden nicht funktionieren."
Schon heute passieren gewaltige Tankschiffe die Naturidylle der Lofoten. Jan Martin Johansen hält respektvoll Abstand zu diesen Kolossen, randvoll mit Flüssiggas aus dem 300 Kilometer weiter nördlich vor Hammerfest gelegenen Snøhvit-Reservoir. Nicht weit davon will das italienische Unternehmen Eni in Kürze Erdöl fördern.
Nach Stunden auf See steuert der dreifache Familienvater seinen Heimathafen Ramberg an der Westküste der Inselgruppe an.
Die Crew liefert den unter Unmengen Eis begrabenen Fang im Fischbetrieb ihres Vertrauens ab. Johansen schaut zu, wie der Schiffskran die Bottiche aus dem Laderaum hievt. Männer in blutigen Schürzen eilen mit scharfen Messern herbei.
Auf einer Brache am Kai ragt ein hölzernes Gestell empor. Dort hängt der Kabeljau zum Trocknen im Wind. Stockfisch ist seit Jahrhunderten das wichtigste Handelsgut der Inseln. Eingesalzen wird er zum Klippfisch, ein Hauptbestandteil des Bacalao und Fastenspeise für die katholische Welt. Die Lofotfischerei ist die Heldensage der Norweger. Noch im 20. Jahrhundert fanden sich in guten Jahren bis zu 30.000 Fischer auf den Inseln ein.
Doch diese Zeiten seien lange vorbei, bemerkt Jan Martin Johanson wie beiläufig. Im Ruderhaus der "Moivik" gibt er sich zum Ausklang eines langen Tages per Sprechfunk dem Klatsch und Tratsch mit den Kollegen hin. Seine Kinder seien erwachsen – und sie machten was anderes, sagt der dreifache Familienvater. Die meisten Jugendlichen seien gedanklich schon weg. Wer studieren wolle, ziehe nach Tromsø oder gleich in den Süden. Mit dem Wohlstand könnte das Leben in die weit abgelegenen Dörfer und Städte zurückkehren, hofft Johansen:
"Im Süden, im Norden: Die Fördercrews sind überall auf dem Vormarsch. Und bislang ist alles gut gegangen. Womöglich brauchen wir das Öl, damit der Nachwuchs hier eine Zukunft hat. Vielleicht müssen wir das damit verbundene Risiko eingehen. Und vielleicht ist es ja gar keines. Wenn wir nur die Garantie hätten, dass alle Beteiligten mit größter Sorgfalt zu Werke gehen und unsere Sorge um die Umwelt ernst nehmen."
Im September stünden für die Norweger Parlamentswahlen an, verkündet Johansen zum Abschied. Die neue Regierung wird darüber entscheiden, ob das Moratorium zum Schutz der Lofoten Bestand haben wird. Im ganzen Land haben Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Gewerkschaften zu Protestaktionen aufgerufen. Ein hitziger Herbst stünde bevor, prophezeit der Lokalpatriot ‒ und rühmt doch die souveräne Streitkultur seiner Landsleute.
"Nun leitet uns der Autopilot. Satellitenpeilung. Und in die Tiefe dringt das Echolot. 55 Faden sind es bis zum Meeresgrund."
Das betagte Schiff hat einen Holzrumpf und stählerne Aufbauten. Aus dem kleinen Ruderhaus geht der Blick auf schwarze Felsformationen, die senkrecht aus der See ragen. Seit eintausend Jahren ist die Region für ihre reichen Fanggründe bekannt. Und tatsächlich macht das Echolot des Kutters bereits nach kurzer Fahrt geballte Fischleiber in der Tiefe aus.
"Da sind sie, die Fische! Sie werden als Punkte auf dem Bildschirm dargestellt. Die rote Farbe steht für den Kabeljau. Schellfisch und Seelachs leuchten grün und gelb. Im Moment ist da unten wenig zu holen."
Gleichwohl löst sich Johansen nun vom Ruder, um seinen drei Kollegen an Bord zu helfen, Achtern das Netz auszubringen.
Mit einer starken Motorwinde wird das Netz an Bord gehievt und über eine Metallwanne geführt. Fette Beute hängt in den Maschen. Mit einem spitzen Haken zieht Einar Johansen die silbern-grünlich schimmernden Schuppentiere zu sich heran und befreit sie aus dem Netz. Wie sein Chef fährt auch Einar schon seit einem halben Menschenleben zur See:
"Ich muss hier draußen und in Freiheit sein. Wenn es zu still wird, dann werde ich rastlos und wunderlich. Die Erwartung, die Hoffnung auf einen großen Fang – das hält mich in Bewegung."
Kaffeepause unter Deck. Eine stählerne Leiter führt hinab in den kleinen beheizten Raum im Bug des Schiffes. Einar angelt sich Käse und Brot aus dem Kühlschrank. Eine liebliche Weise kommt dem Seebären in den Sinn.
Der geschlechtsreife Kabeljau, den die Norweger "Skrei" nennen, bringt bis zu 50 Kilo auf die Waage, doziert Kapitän Jan Martin Johanson mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor der Nase. Nördlich des 62. Breitengrades gedeiht der weltgrößte Bestand. Er wird von russischen und norwegischen Behörden gemeinsam verwaltet. Im Vorjahr brachten die versammelten Kutterflotten allein auf den Lofoten 60.000 Tonnen Skrei an Land. Jan Martin Johansen stellt den Tieren mit dem Netz nach.
Er stammt aus einer Fischerfamilie mit stolzer Tradition. Schiff und Beruf hat er vom Vater geerbt:
"Ausfahrt bei Sturm und Wellen, Heimkehr im Mondschein bei stiller See ‒ wir hier auf den Lofoten sind Extreme gewöhnt. Man schuftet und schwitzt. Am Abend bist Du völlig fertig. Aber wenn die Kasse stimmt, dann bist Du glücklich."
Zu allen Zeiten sind die Johansons hinausgefahren. "Doch das scheint sich jetzt zu ändern", knurrt der Norweger. Wie so viele seiner Kollegen zweifelt er inzwischen am wirtschaftlichen Sinn seiner Arbeit. Ausgerechnet die größten Trawler, die mit subventioniertem Diesel und mit kilometerlangen Schleppnetzen alles Leben aus dem Wasser ziehen, hätten die geringsten Auflagen, schimpfen die Küstenfischer auf den Lofoten. Immer höhere Fangquoten verderben ihnen die Preise. Momentan sei das Kilo Kabeljau bei der Anlandung weniger als 12 Norwegische Kronen, umgerechnet kaum mehr als anderthalb Euro wert:
"Ich sage es ganz ehrlich: die Trawler weiter draußen auf offener See sind die Pest! Ich halte die Barentssee für überfischt. Die Fangquoten sind viel zu hoch. So kommen wir nicht auf die Preise, die wir zum Überleben bräuchten."
Zwar werden in den Küstengewässern der Lofoten neben dem Kabeljau auch andere Fische gefangen: im Winter Seeteufel und Rotbarsch, im Frühling Schellfisch und Seehase, im Sommer Heilbutt und Makrele. Doch viele dieser Arten hätten sich rar gemacht, behauptet Johanson. Der erfahrene Berufsfischer führt die Verhaltensänderung der Tiere auf seismische Erkundungen in deren Lebensraum zurück:
"Ich bin strikt gegen die Ölförderung auf unseren Fischbänken! Der Konflikt zwischen uns Fischern und den Konzernen ist vorprogrammiert."
Jan Martin Johansen erinnert sich an die öffentliche Anhörung über den so genannten "Verwaltungsplan" für die Nordgebiete. Dazu war im Juni 2010 die geballte Politprominenz aus Oslo in die Inselhauptstadt Svolvær gereist. Es ging um die Grundsatzentscheidung, ob die Regierung die Förderung von Erdöl vor den Küsten der Lofoten und den nördlich davon liegenden Västerålen zulässt oder nicht. Auf umgerechnet 24 bis 200 Milliarden Euro schätzt das norwegische Energiedirektorat den Marktwert der Ressourcen, die in den bereits erkundeten und markierten Meeresbereichen vermutet werden.
Wie umfassend ein Reservoir ist, lässt sich anhand der geologischen Strukturen schwer voraussagen. Kaum kalkulierbar seien auch die Risiken, betont Harald Gjøsæter. Der Meeresbiologe und seine streitbaren Kollegen am Meeresforschungsinstitut in Bergen sind emsig bemüht, der Gier Grenzen zu setzen. Auf ihre Empfehlung geht die Einrichtung eines Schutzgebietes zurück. Durch ein Moratorium sind beide Inselgruppen bislang noch als besonders "sensible Ökosysteme" vor der Erdölförderung geschützt. Gjøsæter sorgt sich auch um die zwischen Nordskandinavien und Russland gelegene Barentssee:
"Die Barentssee ist ein einzigartiges Ökosystem. Hier finden wir die weltweit größten Bestände von Kabeljau und Stint sowie vom Hering, in der frühen Phase seines Lebenszyklus. Die klimatischen Verhältnisse sind überaus günstig. Der warme Golfstrom kommt vom Westen und führt reichlich Nährstoffe und Plankton mit sich. Die großen Schwärme laichen vor den Küsten und die Jungfische wandern mit der Strömung."
Als Larve und Jungtier ist ein Fisch besonders empfindlich, weil er dann passiv mit der Strömung treibt. Ausgerechnet vor den Lofoten nach Erdöl zu suchen, sei daher bodenloser Leichtsinn, meint Gjøsæter – und viele seiner Fachkollegen stimmen ihm zu.
"Wir wissen noch wenig über die Langzeiteffekte, die durch austretende Schadstoffe entstehen. Fast alle Fischarten in der Nordsee haben bereits Probleme mit der Fortpflanzung. Nicht auszuschließen, dass die Öl- und Gasförderung eine Ursache dafür ist."
Über Fluch und Segen des schwarzen Goldes streitet die rot-grüne Regierung des reichen Förderlandes mit Leidenschaft. Die Sozialdemokraten hinter Ministerpräsident Jens Stoltenberg dringen auf die rasche Erschließung bislang noch unentdeckter Vorkommen an Erdöl und Erdgas, die eines Tages die erschöpften Reservoire in der Nordsee ersetzen sollen. Ihr kleinerer Partner, die umweltbewegte Linkspartei, lehnt den Vorstoß des staatlichen Konzerns Statoil in die sensiblen Lebensräume der Lofoten rigoros ab. Die besonders auf dem Lande verwurzelte Zentrumspartei – sie stellt im Kabinett den Öl- und Energieminister – ist in der Frage tief gespalten.
Milliarden an Forschungsmitteln gingen für die zweifelhafte Jagd nach Rohstoffen drauf, empört sich Nina Jensen, Arktis-Expertin des WWF, nur eine der Umweltorganisationen, die auf den Lofoten den Widerstand organisieren. Dabei habe sich das Fünfmillionenvolk der Norweger verpflichtet, seine Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid bis zum Jahr 2030 auf null zu reduzieren.
"Nur wenige Arbeitsplätze werden hier auf den Inseln entstehen. Das große Geschäft wird woanders gemacht – und die Profite fließen in die Staatskasse. Auf Kosten der Menschen an der Küste, die das ganze Risiko tragen, falls eines Tages etwas schief laufen sollte. Regierung und Industrie in unserem Land lassen sich die Fahndung nach fossilen Energieträgern rund 120 mal mehr kosten, als den Erneuerbaren zugutekommt. Dabei haben wir hier in Norwegen ein großartiges Potenzial für den Ausbau der Wasserkraft und auch der Windenergie."
Sigbjørn Aanes kann solche Bedenken nicht verstehen. Die Geologie im begehrten Zielgebiet sei bekannt, behauptet der Sprecher des Branchenverbands OLF, die ingenieurstechnischen Probleme seien zu bewältigen.
"Wir vermuten, dass die potenziellen Fördergebiete um die Lofoten und Västerålen große Mengen an Öl und Gas enthalten. Wir reden vielleicht von einer Menge, die sechs Milliarden Tonnen Rohöl entspricht. Die Lofoten sind das ganze Jahr über eisfrei, das Meer ist mit 200 bis 300 Metern nicht besonders tief. Wir würden uns auch an strenge Vorschriften halten, zum Beispiel nicht während der Laichsaison produzieren."
Noch leben die allermeisten der rund 25.000 Bewohner der Inseln vom Fischfang und von den zahlreichen Besuchern aus aller Welt. In den Sommermonaten stehen die deutschen Wohnmobile an der Hafenmole von Svolvær in Reihe geparkt. An diesem Morgen läuft dort ein Kutter aus dem Trollfjord ein. Ein Trupp Touristen strömt von Bord und hinein in die kleine Hauptstadt mit ihren bunten Holzhäusern, die sich malerisch an senkrecht aufragende Granitfelsen schmiegen. Unterdessen streiten die Norweger. Die Fragen des Besuchers haben einen Disput über die Chancen und Risiken der Ölförderung in Schwung gebracht.
"Viele von uns würden gern auf die künftigen Bohrinseln gehen, das ist gute Arbeit und gutes Geld. Aber leider gibt es eine strenge Auswahl. Du brauchst erstklassige Noten. Aus ganz Norwegen bewerben sie sich, doch nur die wenigsten werden genommen."
"Die Förderunternehmen schicken ihre Leute aus Oslo hoch. Von uns hier auf den Lofoten wird niemand Arbeit finden. Wir haben vielleicht mehr Geld für die Sicherheit, aber das Unglück kann auch uns treffen. Wir sind nicht so abhängig, dass wir hier um jeden Preis bohren müssen."
An einträchtiges Wirtschaften und friedliche Koexistenz mag Bjørn Roar Jensen nicht glauben. Der bärtige Norweger spricht für die Gewerkschaft der Küstenfischer, die sich vehement gegen die Umgarnung der Öl-Lobby wehrt. Im Sommer 2008 kreuzten Prospektoren auf Spezialschiffen vor den Inselgruppen der Lofoten und Västerålen auf. Die Regierung im fernen Oslo hatte unter Auflagen grünes Licht dafür gegeben, die geologische Struktur des Meeresbodens auch in der norwegischen See und in der Barentssee zu erkunden. Diese Erkundungen hatten verheerende Folgen für Flora und Fauna, sagt Jensen:
"Die seismischen Untersuchungen haben starken Einfluss auf die Fische. Die Impulse aus den Luftkanonen töten Plankton und Jungfische. Die großen Schwärme tauchen ab oder ziehen sich zurück. Von der Küste bis zum Abbruch des Kontinentalsockels in die Tiefsee sind es nur 12 nautische Meilen. Auf diesen schmalen Fischgründen sollen die Förderanlagen operieren. Die Industrie bleibt uns die Antwort schuldig, wie das funktionieren soll."
Ein gequältes Seufzen entfährt dem Fischer auf die Frage, was er von den amtlichen Notfallplänen für Schiffbruch und Leckagen hält:
"Keine Chance! Wir wären einfach hilflos! Hier vor den Lofoten gibt es aufgrund der Witterung vielleicht 20 Tage im Jahr, an denen man ausgelaufenes Öl auffangen könnte. Wir haben ganzjährig starke Strömungen. Und mindestens ein bis zwei Meter hohe Wellen. Barrieren und Bindemittel würden nicht funktionieren."
Schon heute passieren gewaltige Tankschiffe die Naturidylle der Lofoten. Jan Martin Johansen hält respektvoll Abstand zu diesen Kolossen, randvoll mit Flüssiggas aus dem 300 Kilometer weiter nördlich vor Hammerfest gelegenen Snøhvit-Reservoir. Nicht weit davon will das italienische Unternehmen Eni in Kürze Erdöl fördern.
Nach Stunden auf See steuert der dreifache Familienvater seinen Heimathafen Ramberg an der Westküste der Inselgruppe an.
Die Crew liefert den unter Unmengen Eis begrabenen Fang im Fischbetrieb ihres Vertrauens ab. Johansen schaut zu, wie der Schiffskran die Bottiche aus dem Laderaum hievt. Männer in blutigen Schürzen eilen mit scharfen Messern herbei.
Auf einer Brache am Kai ragt ein hölzernes Gestell empor. Dort hängt der Kabeljau zum Trocknen im Wind. Stockfisch ist seit Jahrhunderten das wichtigste Handelsgut der Inseln. Eingesalzen wird er zum Klippfisch, ein Hauptbestandteil des Bacalao und Fastenspeise für die katholische Welt. Die Lofotfischerei ist die Heldensage der Norweger. Noch im 20. Jahrhundert fanden sich in guten Jahren bis zu 30.000 Fischer auf den Inseln ein.
Doch diese Zeiten seien lange vorbei, bemerkt Jan Martin Johanson wie beiläufig. Im Ruderhaus der "Moivik" gibt er sich zum Ausklang eines langen Tages per Sprechfunk dem Klatsch und Tratsch mit den Kollegen hin. Seine Kinder seien erwachsen – und sie machten was anderes, sagt der dreifache Familienvater. Die meisten Jugendlichen seien gedanklich schon weg. Wer studieren wolle, ziehe nach Tromsø oder gleich in den Süden. Mit dem Wohlstand könnte das Leben in die weit abgelegenen Dörfer und Städte zurückkehren, hofft Johansen:
"Im Süden, im Norden: Die Fördercrews sind überall auf dem Vormarsch. Und bislang ist alles gut gegangen. Womöglich brauchen wir das Öl, damit der Nachwuchs hier eine Zukunft hat. Vielleicht müssen wir das damit verbundene Risiko eingehen. Und vielleicht ist es ja gar keines. Wenn wir nur die Garantie hätten, dass alle Beteiligten mit größter Sorgfalt zu Werke gehen und unsere Sorge um die Umwelt ernst nehmen."
Im September stünden für die Norweger Parlamentswahlen an, verkündet Johansen zum Abschied. Die neue Regierung wird darüber entscheiden, ob das Moratorium zum Schutz der Lofoten Bestand haben wird. Im ganzen Land haben Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Gewerkschaften zu Protestaktionen aufgerufen. Ein hitziger Herbst stünde bevor, prophezeit der Lokalpatriot ‒ und rühmt doch die souveräne Streitkultur seiner Landsleute.