Petri Heil! – Schüler werfen die Angel aus
10:59 Minuten
Angeln steht in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Stundenplan - zumindest an zwei Projektschulen. Tierschützer kritisieren, dies sei "Erziehung zur Grausamkeit". Doch die Schüler greifen nicht nur wegen des Angelscheins zur Rute.
Dienstagnachmittag kurz vor 14 Uhr am Ufer des Hagenower Mühlenteichs. In gebührendem Abstand voneinander nehmen Sechstklässler der Ganztagsschule Aufstellung und versuchen, ihre Angel zusammenzubauen.
Wofür die gut ist? Moritz und Jannik wissen Bescheid. Jannik ist immerhin schon einmal Zweiter im Jugendforellenangeln des Kreises geworden: "Für Friedfische, also nicht für Lachs oder so was."
Köder wird an den Haken gesteckt
Christoph Witteck und Kilian Neubert vom Anglerverband Mecklenburg-Vorpommern sind auch dabei. "Hier musst Du aufpassen, denn hier ist jetzt der Haken."
Beide verteilen nun Dosen mit gelblichen Maden, die sich eigentlich zu Fliegen entwickeln wollten, nun aber als Fischköder enden sollen.
"Achtung! Bei den Maden seht ihr zwei kleine Löcher hinten am Po. Ich komme auch noch mal rum und zeig es euch: Die werden an der Stelle auf den Haken gespießt. Dann hängt die Made unten und bewegt sich richtig schön. Die soll leben, denn die soll auch Fische anlocken."
Angeln als Querschnittsfach
Die beiden jungen Diplom-Biologen testen derzeit in Hagenow und an einer weiteren Ganztagsschule, ob Angeln als Schulfach aufgeht. Kilian Neubert, beim Anglerverband hauptamtlich zuständig für die Kinder- und Jugendarbeit, hat das Konzept und das Lehrmaterial entworfen.
Beim Angeln spiele vieles hinein, sagt er: Geographie, Gewässerkunde, Biologie, auch Physik und Mathematik – etwa beim Ausloten von Tiefen, beim Berechnen von Fließgeschwindigkeit und Bleigewichten am Flott.
"Normalerweise sind die richtig großen Fische gern nah am Boden. Und normalerweise, bevor man das Ganze beködert, guckt man erst mal, wie tief das Gewässer ist. Es sei denn, man kennt sich schon aus," erläutert Christoph Witteck einer aufmerksamen Schülerin.
Fisch- und Gerätekunde für Kinder
Witteck, der schon vier Jahre lang als Lehrer tätig war, ist für die praktische Umsetzung des Konzepts zuständig. Er ließ die Kinder wählen, ob sie in den noch kalten Monaten zuerst die Fisch- oder die Gerätekunde absolvieren wollten.
"Beide Klassen haben mit Gerätekunde angefangen: Vorstellen der einzelnen Angelgerätschaften, Aufbau, Montage, ein bisschen Knoten üben. Dann sind wir zur allgemeinen Fischkunde übergegangen, weil das die Grundlagen sind, die man braucht, um das Angelgerät zu bedienen, und dass die Schüler auch in der Lage sind, das entsprechend naturschutzrechtlich korrekt zu behandeln. Wenn man den Fisch abhakt und liegen lässt und nicht weiß, dass der dann qualvoll im Gras ersticken würde, wäre das dem Ganzen nicht zuträglich."
Sein Berufs- und Verbandskollege Kilian Neubert ergänzt:
"Uns ist es auf jeden Fall auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass, wenn man Fleisch essen möchte, war das mal ein Tier. So ist das Angeln auch eine gute Möglichkeit, ein bisschen Demut zu vermitteln. Dass das ein Tier ist, das mal gelebt hat. Wenn ich Fleisch essen möchte, dann muss dafür auch ein Tier sterben. Das ist nicht eine Packung aufreißen und eine Wurst rausholen, sondern das war wirklich mal ein Tier. Das kann man mit dem Angeln sehr gut vermitteln – das wollen wir auch machen."
Sezieren kommt zurück auf den Lehrplan
Was früher fester Bestandteil des Biologie-Lehrplanes war und heute häufig am Einspruch sensibler Eltern scheitert, wurde hier wieder angeboten: das Sezieren und folglich der unverstellte Blick auf die inneren Organe eines Tieres. Jannik erzählt:
"Da hatten wir die Auswahl zwischen Barsche, Forellen und eine Schleie."
Reporterin: "Was hast du genommen?"
"Barsch, ist ja mein Lieblingsfisch. Sieht schön aus, schmeckt gut."
Reporterin: "War denn für dich schon etwas Neues dabei?"
"Eigentlich nicht. Außer das mit dem Fliegenfischen. Das habe ich noch nie gemacht; da kenne ich mich noch nicht so gut aus. Ich habe noch nie eine Fliegenrute direkt vor meinen Augen gesehen."
Der erste Fang des Tages
Eine halbe Stunde ist vergangen. Kein Biss. Vielleicht weil es zu laut ist?
"Ich suche mir gleich einen neuen Angelort", sagt Jannik.
Während Kilian Neubert gelbes Maispulver ins Wasser wirft, um Fische anzulocken, lernen die Schüler etwas über den Zusammenhang von Wetter und Angelerfolg. Bis gestern war es nämlich recht warm. Heute hingegen bläst kalter Ostwind über den Mühlenteich. Solch einen Umschwung mögen die hiesigen Fische nicht. Aber dann doch:
"Herr Witteck, ich haben den ersten Fisch!"
"Sehr schön, erster Fang des Tages. Meine Güte; so schnell geht das! So, jetzt ganz kurz: Welche Reihenfolge? Willst du den Fisch behalten oder nicht?"
"Nee."
"Dann abhaken."
Kritik von Tierschützern an Angelunterricht
Vorsichtig holt Jannik den Haken aus dem Maul der kleinen Rotfeder. Dann hockt er sich hin und lässt sie aus den Händen ins Wasser gleiten. Wäre sie groß genug gewesen, hätte der 12-Jährige ebenfalls gewusst, was zu tun ist: zunächst ein kräftiger Schlag auf den Kopf.
Reporterin: "Es gibt ein paar Leute, die kommen mit Angeln nicht so gut klar und sagen, wer angelt und Tiere tötet, das ist ja grausam. Was würdet ihr solchen Leuten sagen?"
"Also eigentlich ist das ganz normal menschlich. Die Tiere, die sie essen – also Schwein oder Rind – das wird auch auf einfachste Weise getötet, was für die nicht so gewalttätig ist. Das ist bei den Fischen ganz genauso: Die betäubt man waidgerecht und sticht dann ein Messer im besten Fall ins Herz oder in die Kiemen."
Das kann und mag nicht jeder, weiß Diplom-Biologe Christoph Witteck, den der Landesanglerverband eigens für "Angeln macht Schule" eingestellt hat. PETA, ein relativ kleiner, aber aufgrund radikaler Ansichten und Aktionen durchaus bekannter Tierschutzverein, kritisierte dieses Projekt im Vorhinein sogar als "Erziehung zur Grausamkeit".
Eltern müssen Fische ausnehmen
"Unsinn" sagen die Angler und empfehlen allen Ganztagsschulen, die Angeln künftig regulär als Wahlfach bei sich anbieten wollen, diesen Punkt offensiv anzusprechen. Gegebenenfalls mit den Eltern. In jedem Fall mit den Schülern.
"Was ich grundsätzlich von vornherein abgeklärt habe, ist, dass die Schüler nicht gezwungen werden, die Fische zu töten und auch nicht auszunehmen. Aber natürlich mit dem Verweis, dass, wenn man angeln möchte, dass man da nicht drum herum kommt. Es gibt auch einige Schüler, die das dann ihren Eltern übergeben, die dann den Fisch entsprechend ausnehmen."
Demut gegenüber den Tieren
"Aber das ist ein großer Unterschied. Denn wenn ich den Bezug zum Tier habe, wenn ich sehe, wo es lebt, dass ich es aus dem Lebensraum entnehmen muss, muss ich ein bisschen Demut aufweisen, um das Tier zu töten. Und: Bei der gesichtslosen Wurst, dem Schnitzel oder den Fischstäbchen fehlt der Bezug zum Tier und zu dem eigentlichen Ereignis des Todes."
Auch Melina und Dörte haben sich freiwillig für das Angebot "Angeln macht Schule" eingeschrieben. Ist das Fangen von Fischen grausam?
"Es ist ein bisschen grausam, aber es ist auch für uns Menschen gut."
Wissen über die heimischen Gewässer
Wer Angeln als ergänzendes Unterrichtsfach belegt, lernt auch vieles über die heimischen Gewässer als komplexe Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Und die Schüler erfahren sinnlich, was es bedeuten kann, wenn menschliche Eingriffe stattfinden oder ausbleiben, sagt Christoph Witteck:
"Wenn Vereinsgewässer zum Beispiel entkrautet werden. Da könnte man sagen, das ist schlecht, wenn Pflanzenmasse entfernt wird. Warum? Das ist Unterstand und Laichsubstrat für die Fische. Wenn man aber weiß, dass da Sukzession stattfindet, dass das Gewässer also irgendwann zuwächst und verlandet, dann ist das kein Gewässer mehr. Dann haben wir bestenfalls Moor oder Torfmoor und im anderen Fall haben wir dort einen Bruchwald."
Christoph Witteck unterbricht sich kurz und ruft über den Mühlenteich Richtung Weiden: "Matti, runter vom Baum und ordentlich ans Ufer!" Dann erklärt er, er fände es schwierig in Naturschutzfragen zu vermitteln, wenn immer gesagt wird, der Eingriff von Menschen solle möglichst gering gehalten werden. Man dürfe nicht vergessen, dass Gewässer eben auch Nutzflächen seien, so Christoph Witteck.
"Wir Angler können pauschal sagen: Wir wollen die Gewässer als Gewässer erhalten. Natürlich auch mit dem Hintergedanken, dass wir nachher auch gern den Fisch nutzen, der darin ist. Man muss ganz klar sagen: Wenn ich den Biber das Ganze anstauen lasse, verschwinden Fische, die ein durchgängiges Fließgewässer brauchen. Dann sind da keine Forellen mehr. Dann ist das Gewässer vielleicht nicht mehr sauber, weil sich Sediment absetzt. Da muss ich mich als Mensch fragen: Was möchte ich? Um verschiedene Blickwinkel zu haben, werde ich also nicht sagen, das müssen wir so und so machen, sondern es würde sich so und so entwickeln. Die Schüler haben hoffentlich die Freiheit, mit ihrem Wissen zu entscheiden, in welche Richtung sie wollen."
Am Ende gibt es auch den Angelschein
Auch deshalb hofft der Landesanglerverband, dass die Pilotphase gut bei den beiden Testschulen und im Bildungsministerium ankommt, damit daraus ein allgemein zugängliches Angebot werden kann. Am Ende gibt es übrigens den Angelschein, der sonst mit Kosten verbunden ist und auch als möglichst lange wirkendes Appetithäppchen gedacht ist.
"Das finde ich gut, weil das ja sonst auch ein bisschen teuer ist, der Angelschein. Und den kann man ja immer benötigen, wenn man einer fragt."
Doch nicht nur deshalb mache ihr vor allem der praktische Teil Spaß, bei dem man still aufs Wasser schaut, sagt Melina aus der 6c, sondern: "Weil man ´ne Auszeit hat und einfach mal entspannen kann."
Auf die Frage, ob es sie störe, dass es ruhig sei, weil es kein Handy gebe, sagt sie: "Nee, ich bin nicht so handysüchtig."