Fischer in Bahrain protestieren gegen ihre Herrscher

Von Marc Thörner |
In Sitra, einer Hafenstadt im Inselkönigreich Bahrain, wird dem Meer neues Land abgerungen. Besitzer der neuen Küstenstreifen sind Mitglieder der Königsfamilie. Wenn diese das Land weitergeben, dann nur an Günstlinge. Das Nachsehen haben Fischer, die immer seltener freien Zugang zum Meer haben.
Eine Bucht am blauen Meer. Palmen rahmen die Corniche ein, dahinter spielen Wolkenkratzer mit den Gesetzen der Geometrie: Glastürme scheinen sich im Wind zu wiegen und auszuprobieren, wie lange sie sich in der Schräge halten können. Limousinen gleiten zwischen ihnen hindurch. Shopping Malls öffnen ihre Türen.

Bahrain hat auf den ersten Blick all das, was seine Nachbarn in Saudi Arabien und Dubai auch haben. Und noch mehr, betont Informationsministerin Samira Rajab:

"Eine konstitutionelle Monarchie, voller Liberalität, eine überaus offene Gesellschaft. Bahrain ist ein wunderschönes Fleckchen Erde, eine wahre Sonneninsel voller Angebote: Kultur, Entertainment, was Sie wollen."

Und die Unruhen von 2011?
Seien längst überwunden.
Die Forderungen der Bevölkerung nach politischer Mitsprache?
Seien längst erfüllt.
Schließlich, so unterstreicht die Informationsministerin, gebe es in Bahrain ja schon seit 2002 ein Parlament mit Ober- und Unterhaus.

Obwohl sich die sunnitische Herrscherfamilie alle Mühe gibt, den Staat so darzustellen, als wäre er ein ganz normales Mitglied des Clubs der reichen Golfkooperationsstaaten, ist hier nichts so wie in Saudi Arabien, Abu Dabi, Dubai oder Katar. Denn anders als in diesen sunnitisch dominierten Emiraten machen in Bahrain Schiiten etwa 70 Prozent der Bevölkerung aus. Anders als die anderen Golfanrainer, verfügt Bahrain nur über sehr begrenzte Ressourcen an Öl und Gas.

Landgewinnung soll Symbol für Neubeginn sein
Finanziell hängt das Minderheitsregime der al Khalifa am Tropf der befreundeten sunnitischen Monarchien, die eine schiitisch dominierte Regierung in dem Land um jeden Preis verhindern wollen. Als die mehrheitlich schiitische Bevölkerung im Frühjahr 2011 faire Wahlen und politische Mitsprache forderte, rollten Truppen des Golfkooperationsrates unter saudischer Führung nach Bahrain ein und halfen, die Proteste blutig niederzuschlagen.

Alles vorbei. Vergeben und vergessen, versichert Bahrains Informationsministerin. Eines der Projekte, die den Neubeginn symbolisieren sollen, ist die Landgewinnung. Nach dem Vorbild der künstlichen Palmeninsel vor Dubai soll auch Bahrain um einen attraktiven Küstenstreifen reicher werden.

Der Weg vom Zentrum Manams führt durch Hochhausschluchten, vorbei an Shopping Malls.

Alle paar Meter ein Foto von König Hamads al Khalifa, von seinem Onkel, dem Premierminister, oder von seinem Sohn, dem Kronprinzen.

Manchmal hängen die Bilder als gigantische Poster von Bürotürmen herunter. Manchmal sind sie hintereinander an Straßenlaternen angebracht, manchmal nebeneinander, manchmal in der Mitte eines begrünten Kreisverkehrs.

Doch schon nach ein paar Hundert Metern jenseits des Stadtzentrums ist plötzlich nichts mehr wie in Dubai oder Saudi Arabien.

Proteste in Sitra-Bahrain
Proteste in Sitra-Bahrain© picture alliance / dpa / EPA/MAZEN MAHDI
Der König wird verwünscht und Demokratie gefordert
Stattdessen tauchen Häuserwände voller übertünchter Graffiti auf. Wieder ein paar Hundert Meter prangen auf der Tünche neue Schriftzüge: "Down down Hamad." "Nieder mit dem König. Weg mit der korrupten Königsfamilie al Khalifa."

In den Außenbezirken der Hauptstadt ist dann nicht einmal von der Tünche etwas zu sehen. Dort wimmelt es auf den Wänden von Verwünschungen des Königs und Forderungen nach Demokratie.

Eine Gruppe Demonstranten taucht plötzlich aus einer Seitenstraße auf. Beim Anblick eines ausländischen Reporters, greift einer von ihnen rasch zum Megaphon:

"Bitte hören Sie: Die Menschen in Bahrain verlangen Freiheit und Demokratie. Nieder mit diesem Regime. Warum? Weil es aus einer kriminellen Familie besteht. Al Khalifa-Familie – verschwinde! Nieder mit König Hamad!"

Ein Grund für den Ärger der Protestierenden: Die Neulandgewinnung, die unweit der Stadt Sitra auf Hochtouren läuft. Ein Polizeikonvoi eskortiert Laster, Bulldozer und Bagger Richtung Meer. Wozu die ungewöhnliche Sicherheitsmaßnahme? Ein paar Männer nähern sich dem Auto des Reporters. Sie bitten auszusteigen und ihnen zu folgen

Es sind allesamt Fischer, beziehungsweise ehemalige Fischer - und wie alle hier, Schiiten. Sie gehen zu einem strohgedeckten Pavillon, der in Sichtweite der Küste und der Bulldozer liegt. Einer von ihnen ergreift das Wort:

"Wir sind gegen das Programm der Landgewinnung. Das ist unser Land. Nicht ihres. Die Küste gehörte immer allen, die hier wohnen. Sie haben nicht das Recht, das Meer zuzuschütten. Aber mit der Zeit sind alle Strände von der Regierung beschlagnahmt worden. Uns bleibt nur ein Streifen von etwa zwei Kilometern. Jetzt können wir nicht mehr fischen. Alles ist zugeschüttet, wo sollen wir unsere Boote noch ins Wasser lassen? Früher haben wir eine Menge Fische an der Küste geangelt, jetzt müssen wir weit hinaus und bringen nur wenige Kilo nach Hause. Sie können von hier aus den Grenzzaun sehen, den sie errichtet haben. Sie verbieten den Leuten hier, diese Sperrbezirke zu betreten."

Sunniten profitieren angeblich mehr als Schiiten
Das neu gewonnene Küstenland geht auch später nicht an die schiitischen Küstenbewohner zurück. Stattdessen würden die Grundstücke an sunnitische Armeeangehörige übertragen, ohne dass die auch nur einen Cent dafür zahlen müssten. Oder sie wurden Verwandten von König Hamad zum Geschenk gemacht, sagt einer der Männer, Sadeq Ahmed Rabeea, ehemals Lokalratsabgeordneter der Gemeinde Sitra.

Mit seinem Auto fährt Sadeq Ahmed eine Mole entlang, die weit ins Wasser reicht. Rechts und links fällt der Blick auf ein Szenario, das nicht an die Palmeninsel von Dubai erinnert, sondern eher an die ehemalige deutsch-deutsche Grenze:

Mauern, Stacheldraht, Polizei, Wachtürme mit Posten, die durch Feldstecher in alle Richtungen spähen: Kein gewöhnlicher Sterblicher darf das Sperrgebiet betreten. Bahrains Herrscherfamilie behält sich die Nutzung des neu gewonnenen Landes vor.

Auf diese Weise könnten sich die Besitzverhältnisse im Land zugunsten der sunnitischen Minderheit ändern. Ein schleichender Ausverkauf, eine Enteignung der bahrainischen Staatsbevölkerung, sagt auch Mansur al Jamri. Er ist Chefredakteur der populären Tageszeitung al Wassat, der einzigen, die in Bahrain als annähernd unabhängig gilt – vorausgesetzt, sie respektiert die roten Linien.

Bei allem, was er in ein Mikrophon spricht, muss der Journalist deshalb darauf achten, dass er die Königsfamilie nicht namentlich erwähnt. Statt von den regierenden al Khalifa, redet er deshalb von "Mächtigen" oder von "Leuten mit Einfluss".

"Ein Komitee des Parlaments hat kürzlich eine Untersuchung darüber veröffentlicht, dass mehr als 100 Quadratkilometer öffentlichen Landes enteignet wurden. Bahrain liegt insgesamt auf einer Fläche von 750 Quadratkilometern. Davon sind Untersuchungen der Parlamentskommission zufolge 100 Quadratkilometer enteignet und an Privatpersonen übertragen worden. Das alles in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Ausgerechnet nach 2002, nachdem die Regierung offiziell den Parlamentarismus eingeführt hat. Die Untersuchung des Parlaments wurde eilends für eingestellt erklärt, ohne dass sie irgendwelche Folgen hatte oder dass Fragen gestellt werden durften."

Ähnlich willkürlich, so Chefredakteur al Jamri, gehe das Regime auch mit den Hilfsgeldern des Golfkooperationsrats um. Bahrains reiche Nachbarn hatte nach den Unruhen von 2011 gemeinsam einen Fond bereitgestellt. Hilfsgelder, mit denen die sozialen Ursachen der Unzufriedenheit beseitigt werden sollten:

"Leider benutzt die Regierung das Geld der Golfanrainer dazu, die Krise weiter anzuheizen. Die Mittel werden ausgeschüttet, um bestimmte Landesteile entweder zu belohnen oder zu bestrafen - je nachdem, wie sich die Bewohner während der Unruhen von 2011 verhalten haben. Dorthin, wo sich Oppositionshochburgen befinden, fließt nichts. Das Geld geht an Gegenden, die die Regierung für freundlich gesonnen hält, auch wenn es dort überhaupt nicht gebraucht wird. Wo Hilfe dringend benötigt wird, kommt nichts an und die Misere nimmt zu. Und wenn Sie sich ansehen, nach welchen Kriterien die Verteilung vorgenommen wurde, stellen Sie fest: Weniger als 20 Prozent geht an schiitische Gemeinden und mehr als 80 Prozent an sunnitischen."

König von Bahrain
König von Bahrain© picture alliance / dpa /Arthur Edwards / The Sun
Ministerin will über Gegensätze in der Bevölkerung nicht sprechen
Diskriminierung der schiitischen Mehrheit durch die sunnitische Staatselite – sobald sie auf das Thema angesprochen wird, scheint Informationsministerin Samira Rajab wie ausgewechselt. Schon bei der Frage nach Statistiken über die Größe der Religionsgemeinschaften, die alle gängigen Nachschlagewerke verzeichnen, hört bei der Ministerin die Gesprächsbereitschaft auf:

"Wir hatten niemals in unserer Geschichte derartige Statistiken. Die schiitische Opposition versucht, solche Zahlen zu instrumentalisieren. Sie kommt immer wieder mit unterschiedlichen Angaben, je nachdem, was sie gerade braucht. Manchmal spricht die von 60, manchmal von 80, manchmal von 70 Prozent Bevölkerungsanteil. In Wirklichkeit verfügen wir über solche Erhebungen in Hinblick auf religiöse Glaubensrichtungen nicht. Wir sind eine Nation, Sunniten und Schiiten, Christen und Juden und Hindus."

Den Vorwurf, Schiiten würden politisch ausgegrenzt und benachteiligt, weist die Ministerin als Propaganda ab:

"Die Schiiten profitieren doch bei uns schon von den Sozialleistungen. Die Ausbildung ist für sie gratis, hundertprozentig gratis! Von A bis Z! Sie profitieren davon! Die Gesundheitsversorgung ist frei. Die meisten Ärzte in Bahrain sind Schiiten, mehr als 90 Prozent. Sie stellen die Mehrheit bei den Ingenieuren und den Rechtsanwälten. Der private Sektor unserer Wirtschaft… die reichsten Familien bei uns sind Schiiten, sie sind viel reicher als die Sunniten. Wir kennen sie, jeden Namen, jeden einzelnen Namen!"

Aber entgegen den Beteuerungen des Regimes, dass es keine Unruhen mehr gibt, kommt es tagtäglich zu Protesten gegen die Regierung, insbesondere in Sitra, wo die Bewohner mit den Folgen der Landgewinnung konfrontiert sind.

Sobald die Sonne untergegangen ist, stehen, wie aus dem Boden gewachsen Demonstranten auf den Straßen.

Im Schatten einer schiitischen Moschee formiert sich ein Protestmarsch: Männer halten Bilder von Jugendlichen hoch, die Opfer der Polizeigewalt geworden sind.
Andere schlagen sich in der rituellen Trauergeste der Schiiten immer wieder wie in einer einzigen Bewegung auf die Brust.

Demonstranten in Bahrain wollen neue Regierung
Aus der Prozession schert ein etwa 40-jähriger Mann aus dem Zug aus, holt sein Handy hervor und zeigt darauf ein Porträtfoto eines schmächtigen, aufgeweckt wirkenden Jungen. Das war mein Sohn, sagt er. Ali Bedda, er war 16 Jahre alt. Er zeigt das nächste Foto, auf dem von einem Körper kaum mehr etwas zu erkennen ist:

"Die Polizisten haben ihn mit ihrem Jeep immer und immer wieder gegen die Wand gefahren. Sie haben ihn mit den Rädern überrollt, sind im über seine Brust gefahren. Über sein Bein, über seine Hand. Was von ihm übrig war haben wir in einem Plastiksack ins Krankenhaus gebracht. Sein Name ist Ali Jussuf Ali Bedda."

Ein paar junge Demonstranten haben sich in eine Seitenstraße zurückgezogen. Einer raucht Wasserpfeife. Andere braten Kebab über einem Feuerchen. Wären sie bereit, die Königsfamilie anzuerkennen – vorausgesetzt, sie leitet Reformen ein? Alle schütteln die Köpfe. Auch Chefredakteur Mansur al Jamri steht hier, beobachtet die Auseinandersetzungen, fragt die Jugendlichen nach den Motiven ihres Widerstandes:

"Wir und unsere Väter haben genug unter der Unterdrückung gelitten."

"Nieder mit König Hamad. Wir wollen den Regimewechsel. Nur Freiheit, sonst nichts."

Dabei fürchten sie alle die Polizei. Denn Kontakt mit Polizisten, sagen sie, ist so ziemlich das Unangenehmste, was einem in Bahrain passieren kann. Vor allem, weil die meisten Beamten nicht viele Worte machen. Beziehungsweise: auch nicht machen können. Kommunikation finde in der Regel mit den Fäusten statt:

"Die sprechen kein Arabisch. So gut wie alle Polizisten stammen aus Pakistan oder Bangladesh. Keine einziger Bahraini ist dabei. Nur ihre Offiziere sind Bahrainis, sie kommandieren diese Pakistanis. Sie bekommen Geld dafür, dass sie unsere Leute töten und unsere Proteste unterdrücken."

Bahrains Polizeichef, Generalmajor Tareq Hassan hält solche Vorwürfe der Opposition für übertrieben:

"Einige von unseren Polizisten sprechen sogar ziemlich flott Arabisch. Nicht alle. Aber immerhin der Eine oder Andere von ihnen. Es sind doch schließlich auch Bewohner unseres Landes. Unsere Polizisten haben allesamt Aufenthaltsgenehmigungen. Sie leben hier seit Jahren. Ich würde sie nicht Ausländer nennen."

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