Fischer und Surfer im portugiesischen Nazaré

Denn sie wissen, was sie tun

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Der Großwellensurfer Hugo Vau aus Nazaré © Deutschlandradio / Tilo Wagner
Von Tilo Wagner |
Früher war Nazaré an der portugiesischen Westküste ein Fischerstädtchen. Doch dann entdeckten Surfer die außergewöhnliche Kraft der Wellen. Mittlerweile ist Nazaré zum Mekka der weltbesten Großwellen-Surfer geworden.
Nuno Miguel steuert sein sieben Meter langes Fischerboot aus dem Hafen von Nazaré. Der 38-Jährige trägt einen orangenen Overall, und die Baseballkappe hat er ins braungebrannte Gesicht gezogen – zum Schutz gegen die noch tief stehende Morgensonne. Er lässt die Kaimauern hinter sich und fährt auf den offenen Atlantik. Das Boot tanzt über die hohen Wellen, die Gischt spritzt über den Bug. Auf der rechten Seite zieht sich ein breiter Sandstrand die Küste entlang, dahinter Häuser und mehrstöckige Apartmentblocks.
Nur noch Beton, wohin man schaut, sagt Nuno Miguel und erinnert sich: Als er in den 1980er Jahren aufwuchs, gab es nur ein paar Häuserzeilen, Felder, Wiesen und ein weites Naturschutzgebiet zwischen dem Meer und den Hügeln dahinter. Die bunten Fischerboote lagen am Strand, die Netze zum Trocknen aufgespannt. Nazaré war sehr arm, aber schön.
Portugals EWG-Beitritt läutete das Ende der Fischerei in Nazaré ein
Die Kleinstadt, rund 120 Kilometer nördlich von Lissabon, entwickelte sich Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem beliebten Ferienziel. Erst kamen wohlhabende Lissabonner, später ausländische Touristen. Und die lebhafte Kultur der Fischer gab dem Städtchen über die Grenzen hinaus einen besonderen Ruf als ein Ort, wo der Traditionsberuf und das Sommerurlaubsvergnügen friedlich nebeneinander existierten.
Mit dem Eintritt Portugals in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Mitte der 1980er Jahre nahm das Ende der Fischerei in Nazaré jedoch seinen Lauf.
"Die Fischer haben viel Geld bekommen, um ihre Flotte einzustampfen. Das ging nach Gewicht. Je größer das Schiff, umso mehr Geld gab's. Die Schiffsbesitzer sind richtig reich geworden, aber die vielen Fischer, die auf den großen Booten anheuerten, bekamen gar nichts. Sie waren häufig schon zu alt, um irgendetwas anderes zu machen. Kein Geld, kein Job, keine Zukunft. Sie haben sehr gelitten."
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"Einer der mächtigsten Orte der Welt": Nazaré an der portugiesischen Westküste© Deutschlandradio / Tilo Wagner
Damit stand die ganze Gemeinde vor einem riesigen Umbruch. Die Kinder und Enkelkinder der alten Fischer von Nazaré wollen mit dem harten Leben ihrer Vorfahren nichts mehr zu tun haben. Eine Tradition geht langsam verloren, die den Ort über Jahrhunderte geprägt hat:
"Ich habe schon als Junge mit meinem Vater in den Tavernen gesessen und den Alten zugehört, wie sie ihre Geschichten erzählt haben. Doch das ist jetzt vorbei. Die Alten gibt es nicht mehr, und die Jungen interessieren sich nicht mehr für das Erbe von Nazaré. Sie wollen einen Job, bei dem sie am Monatsende regelmäßig ihr Gehalt auf dem Konto haben. Als Fischer ist das anders: Wir verdienen nur so viel, wie wir fangen. Und das verstehen sie nicht. Sie wollen nur einen Schreibtischjob. Sie wollen nicht aufs Meer. Das Leben als Fischer ist hart, und man muss immer einen klaren Kopf bewahren."
Die Jungen aus Nazaré mögen nicht unbedingt auf einem Fischerboot arbeiten. Aufs Meer wollen sie aber trotzdem.
Bodyboarder: radikalere und brutalere Kunststücke als die Wellenreiter
Am Praia do Norte – dem Strand nördlich von Nazaré – sitzt Dino Carmo auf einer Anhöhe und schaut auf den weiten Sandstrand und die Brandung. Bevor er ins Wasser geht, sucht er nach dem besten Spot – dem Ort, wo die Wellen am perfektesten brechen. Dino ist Bodyboarder, das heißt, er liegt im Wasser auf einem ein Meter langen Brett aus Hartschaumstoff und trägt Flossen, um so schnell wie möglich in die sich brechenden Wellen zu kommen.
"Wir Bodyboarder wollen genauso wie die Wellenreiter die Welle hinunterrasen. Aber die Kunststücke, die wir in der Welle machen, sind für mich noch ein Stück radikaler und brutaler, weil wir direkt auf dem Wasser liegen. Das Meer vor Nazaré eignet sich viel besser zum Bodyboarden, außer wenn es ganz große Wellen gibt. Und die Wellenreiter wissen, dass wir Bodyboarder unsere Wellen hier viel besser surfen können."
Dino ist einer der besten in seiner Sportart. Er hat in Portugal mehrmals die Juniorenmeisterschaften gewonnen und am Weltcup teilgenommen. Der 23-Jährige stammt aus Nazaré. Das Meer hat in seiner Familie immer eine ganz besondere Rolle gespielt. Die Großväter waren Fischer, die Großmütter und seine Mutter Fischverkäuferinnen. Dinos Vater heuerte auf Containerschiffen an. Das brachte mehr Geld und ein sicheres Einkommen. Denn im Winter fuhren die Fischer von Nazaré nicht aufs Meer, weil der Wellengang zu hoch und das Fischen zu gefährlich war.
Das Gesicht braungebrannt, die Haare vom Meersalz leicht ausgewaschen: Man sieht es Dino an. Er verbringt einen großen Teil seines Lebens zwischen Sand, Sonne und Wasser. Doch sein Spiel mit den Kräften des Meeres gefiel seiner Familie zunächst gar nicht.
"Als ich jünger war, musste ich meinen Eltern verheimlichen, dass ich hier am Nordstrand ins Wasser gehe. Und wenn sie es rausbekamen, gab es mächtig Zoff zu Hause. Selbst wenn ich jetzt hier am Strand an Wettbewerben teilnehme, dann schaut mir meine Mutter immer noch nicht zu, weil sie zu große Angst hat. Das hat natürlich auch mit den Erfahrungen meiner Familie zu tun. Als Fischer hatten sie ja immer riesige Angst vor der Brandung, also genau vor dem Ort, an dem wir uns in die Wellen stürzen. Wir haben ja nur ein kleines Brett. Die Fischer mussten mit ihren großen Booten durch die Brandung, und dann kenterten sie manchmal, und vielleicht konnten sie nicht schwimmen oder sie bekamen irgendetwas an den Kopf und starben dann in den Fluten."
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Dino Carmo ist einer der besten Bodyboarder Portugals© Deutschlandradio / Tilo Wagner
Nazaré war schon immer bekannt für sein raues Meer und die hohen Wellen. Und die Fischer standen den Naturgewalten ohnmächtig gegenüber. Das Meer ist ein Hund, sagen sie. Man kann ihm nicht trauen. Doch die Kinder der Fischer von Nazaré haben aus dem Ozean einen Spielplatz gemacht. Und sie wussten, dass sich in den Wellen am Nordstrand nicht nur die Einheimischen messen wollen.
Ein Bodyboarder aus Nazaré, erzählt Dino, hat irgendwann Fotos von den riesigen Wellen gemacht und sie an die besten Großwellensurfer geschickt. Und einer kam wirklich nach Nazaré, um sich das Schauspiel anzuschauen: der Amerikaner Garrett McNamara. Was er sah, hat ihn so begeistert, dass er seit mehreren Jahren immer wieder im Herbst an die portugiesische Westküste kommt – auf der Suche nach der größten Welle der Welt.
Zwischen dem Nordstrand und dem Fischerstädtchen biegt die Steilküste weit ins Meer hinein, und auf dem letzten schroffen Felsen steht ein Leuchtturm, der über die Grenzen Portugals hinaus bekannt ist. Im Januar 2013 ging ein Foto um die Welt: ein kleiner roter Turm und ein paar winzige Gestalten im Vordergrund und dahinter ein klitzekleiner Surfer, der einen riesigen Berg aus Wasser hinunterbrettert. Über 30 Meter hoch. McNamaras Wellenritt war Weltrekord.
Mannschaftssport Großwellensurfen
Unterhalb des Leuchtturms steht Hugo Vau und zeigt auf einen vorgelagerten Felsen im Wasser, an dem immer wieder weiße Gischt hochschießt. Hugo erklärt, warum es in Nazaré so riesige Wellen gibt. Ein Unterwassercanyon, der in 5000 Meter Tiefe, rund 40 Kilometer vor der portugiesischen Küste entfernt beginnt, endet direkt vor dem Felsen. Die Wellen im Canyon prallen von der einen Seite zur anderen und peitschen sich so immer weiter in die Höhe. Wenn dann hoher Seegang vorhergesagt ist, der Wind richtig steht und die Gezeiten stimmen, dann türmt sich die Welle 20, 30, 35 Meter hoch – "Big Mama" nennen die Surfer sie.
Hugo Vau gehört zu McNamaras dreiköpfigem Team. Großwellensurfen ist ein Mannschaftssport. Denn die Surfer paddeln ihre Bretter nicht selbst in die Welle. Dafür ist sie zu groß. Sie werden an einer Leine von ihren Teamkollegen, die auf schnellen Jet-Skis sitzen, in den Wasserberg gezogen. Alles geht rasend schnell. Die Abstimmung zwischen den Wassermotorädern und dem Surfer auf seinem Brett muss stimmen. Jeder muss sich auf den anderen verlassen können. Je mehr Vertrauen, umso größer die Sicherheit. Die Abläufe trainiert Hugo jedes Jahr im Herbst, wenn McNamara aus Hawaii nach Portugal kommt.
Während Hugo vom Canyon erzählt, vom Wetter und den Wellen, kommen immer wieder Leute über die steile Treppe den Felsen hinunter, schauen auf die Brandung, lassen sich die Gischt ums Gesicht fegen, machen Fotos. Nazaré ist längst nicht mehr nur ein Fischerstädtchen, sondern der Ort der Surfer und ihrer Riesenwellen.
Manchmal kämen die Touristen auf ihn zu und fragen: Um wie viel Uhr surfst du die nächste Welle? Da kann Hugo nur lachen und seine blauen Augen funkeln lassen. Das Meer hat keinen Fahrplan. Oder zumindest keinen, der sich an irgendwelche Regeln hält.
"Hugo, wenn du jetzt nicht aufsetzt, bist du tot"
Ein paar Tage später an einem Strand südlich von Nazaré. Hugo Vau ist im Stress, auch wenn sich der 37-Jährige das nicht anmerken lassen will. Ein deutscher Autohersteller dreht mit McNamara und seinem Team einen aufwendigen Werbespot. Hugo soll zusammen mit ein paar Helfern drei Jet-Skis ins Wasser lassen, die für die Filmaufnahmen gebraucht werden. Daraus wird nichts.
"Vor dem Meer müssen wir immer großen Respekt haben. Nichts ist garantiert, nichts verhält sich geradlinig. So ist eben die Natur. Gerade eben wollten wir die Jet-Skis über die Rampe ins Wasser lassen. Da kamen die drei größten Wellen des ganzen Tages und haben eine Maschine fast am Fels zerschmettert."
Mit Jeep und Anhänger fährt Hugo nun die Jet-Skis in den Hafen, lässt sie dort zu Wasser und rast über den Ozean die Küste entlang zurück zum Strand. Das Meer glitzert ruhig, die Frühlingssonne brennt schon auf der Haut, nur die großen Wellen sucht man vergeblich. Die Werbefilmer stört das nicht. Nach gut zwei Stunden im Wasser kommt Hugo in seinem dunklen Neoprenanzug aus der Brandung und setzt sich in den Sand. Das ist mein Leben hier, sagt er, blickt aufs Meer und streicht sich den Sand aus seinem kurzen Backenbart.
Niemand in Hugos Familie hatte eine besondere Beziehung zum Ozean. Seine Eltern stammen aus dem ländlichen Portugal und sind in den 1970er Jahren nach Lissabon gezogen. Hugos erster Kontakt mit Wasser war in einem Hallenbad in der Hauptstadt – er wurde Leistungssportler, nahm bis zu seinem 17. Lebensjahr an Schwimmmeisterschaften auf nationaler Ebene teil. Dann wechselte er vom Chlor- ins Salzwasser, lernte erst Bodyboarden und später Wellenreiten. Doch der internationale Durchbruch kam erst, seit ihn der berühmte amerikanische Extremsportler in sein Team mitaufnahm. Im vergangenen Herbst surfte Hugo Vau seine größte Welle – eine 20 Meter hohe Wasserwand direkt vor dem Leuchtturm von Nazaré.
"Die Gleitfahrt schien überhaupt kein Ende mehr zu nehmen. Von außen wirkt die Wellenoberfläche glatt, aber weil wir so schnell fahren, wird jede kleinste Unebenheit zur Sprungschanze. Ich bin dreimal abgehoben und beim dritten Mal habe ich in der Luft wirklich Zeit gehabt zu denken: Hugo, wenn du jetzt nicht richtig aufsetzt, dann fällst du und bist tot. Es war Nachmittag und die Sonne stand hinter der Welle, und ich habe gesehen, wie mich der Schatten überholt hat. Und es war so, als ob der Schatten hörbar war und an mir vorbei rauschte. Und da ist mir wirklich bewusst geworden, was sich für ein riesiger Berg hinter mir aufgetan hat."
Es gibt weltweit eine Reihe von Orten, die für ihre großen Wellen bekannt sind: Mavericks in Kalifornien, Jaws auf Hawaii, Teahupoo auf Tahiti. Doch Nazaré ist anders. Denn die Welle bricht nicht an einem der Küste vorgelagertem Riff, sondern direkt an einem Sandstrand. Das macht die Wasserkräfte unberechenbar.
"Wenn du fällst und die Welle über dir zusammenbricht, dann wird man unter Wasser hin und her geschleudert. Du fühlst dich so, als ob ein Riese seine zwei großen Pranken um alle Teile deines Körpers legt und ihn auswringt. Du hast keinerlei Kontrolle, und du darfst dich auch nicht wehren. Du musst dich treiben lassen und hoffen, dass dich das Meer wieder ausspuckt. Und alle Surfer, die das in Nazaré erlebt haben, sagen, es wäre einer der mächtigsten Orte der Welt."
Den Bobyboardern fehlt es an Sponsoren
Mittlerweile ist am Strand ein fünfzigköpfiges Produktionsteam eingetroffen. Portugiesen, Deutsche, Engländer. Hugo bespricht mit dem Regisseur, welche Takes er noch im Wasser aufnehmen soll. Garrett McNamara, der eigentliche Star des Werbespots, fährt oberhalb des Strandes seine Runden vor einem speziellen Kamerawagen. Funkgeräte surren, Kabel werden ausgerollt, Straßen gesperrt, der Zugang zum Wasser streng kontrolliert.
Fernab der Hektik um die aufwendigen Dreharbeiten läuft der Bodyboarder Dino zu seiner Lieblingsbar: Ein gemütlicher Holzverschlag in den Dünen des Nordstrandes von Nazaré.
Dino hat mit seinen 23 Jahren noch ein bisschen Zeit, bevor er den Höhepunkt seiner Karriere erreichen wird. Am fehlenden Talent scheint es nicht zu liegen, dass Dino der ganz große Durchbruch bisher nicht gelungen ist: Schon mit 9 Jahren gewann er gegen wesentlich ältere Konkurrenten Jugendwettkämpfe. Aber in seiner weichen Stimme klingt ein bisschen Melancholie mit, wenn er an seinen Traum denkt, irgendwann Weltmeister zu werden und ganz für den Sport leben zu können. In Nazaré gibt es leider keine großen Unternehmen, die ihn finanziell unterstützen könnten, denn das meiste Geld fließt, wie so häufig in Portugal, in den drittklassigen Fußballverein. Und portugiesische Großunternehmen finanzieren fast ausschließlich das Wellenreiten. McNamaras und Hugo Vaus spektakuläres Großwellensurfen ist für die Sponsoren scheinbar lukrativer als das Bodyboarden.
"Eine Firma hat mich bis vor kurzem noch komplett unterstützt. Das Unternehmen hat seine Anzüge, Flossen und Bretter mit den Bodyboardern zusammen entwickelt und macht vielleicht 80 Prozent seines Umsatzes mit unserem Sport. Doch jetzt hat die Firma fast alle Sponsorenverträge mit den Bodyboardern aufgekündigt und unterstützt nur noch die Surfer. Sie glauben, damit mehr Leute zu erreichen, obwohl ihre Wurzeln doch in unserem Sport liegen."
Gefährliche Wellen: fünf Fischer starben - nur 100 Meter von der Küste entfernt
Wenn das Meer zu unruhig ist und der Wind aus der falschen Richtung bläst, bleibt auch der Fischer Nuno Miguel an Land. Nuno hat keine Kinder, niemanden, um den er sich kümmern muss. Deshalb verbringt er auch die Tage, an denen er nicht fischen geht, in seiner Garage im Hafen von Nazaré. Er flickt Netze, bereitet Fischköder vor, entknotet verhedderte Fangleinen. Erst vor 30 Jahren haben die Fischer von Nazaré ihren Hafen bekommen, im Süden der Stadt: ein Gelände mit flachen Lagerräumen, Kaimauern und ruhigem, schlierigem Wasser. Vorher lagen die Boote am Hauptstrand an der Uferpromenade mitten in der Stadt. Was für die Touristen damals wie bunte Folklore aussah, war für die Fischer von Nazaré ein gefährliches Ritual.
"Wer zum Fischen aufs Meer wollte, musste immer zuerst durch die Brandungswellen, und die waren sehr häufig richtig groß. Aber es gab keine Alternative. Als sie den Hafen dann endlich gebaut haben, war das eine enorme Erleichterung für uns. Es gibt nun viel weniger Unglücke, und wir Fischer können frei entscheiden, wann wir aufs Meer fahren und sind nicht mehr wie damals von den Gezeiten abhängig."
Nuno stammt aus einer Fischerfamilie. Das Handwerk hat ihm sein Vater beigebracht. Bereits als kleiner Junge verbrachte Nuno seine Zeit im Hafen.
"Das Meer öffnet Horizonte. Es beruhigt mich innerlich. Und es zeigt mir, wie vielseitig das Leben ist. Ich kann ohne das Meer nicht leben. Ich hab's mal versucht. Vier Monate lang habe ich an Land gearbeitet. Das hat mir gereicht. Ich musste zurück aufs Meer und den Wellengang unter meinen Füßen spüren."
In seiner Jugend hat Nuno selbst Wassersport gemacht: Bodyboarden und Wasserski.
Nuno Miguel hat neue Nachbarn im Hafen von Nazaré: Die Großwellensurfer haben hier eine Garage angemietet, in der sie ihr Material verstauen. Die Surfer bringen wieder Schwung in den Tourismus, sagt Nuno. Und das sei gut für alle. Mit McNamara verstehen sich Nuno und seine Kollegen blendend. Der Amerikaner hat im Hafen von Nazaré sogar einen Kosenamen bekommen: Macara, rufen die Fischer von Nazaré, und dann lachen sie alle.
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Der Fischer Nuno Miguel © Deutschlandradio / Tilo Wagner
Lange bevor die Großwellensurfer in Nazaré ihr Lager aufgeschlagen haben, wussten die Fischer bereits von den mächtigen Wellen am Nordstrand. Vor ein paar Jahren kenterte dort ein Boot, nur 100 Meter vom Strand entfernt – fünf Kollegen von Nuno Miguel starben in den Fluten.
"Schon in den 60er Jahren kamen Wellenreiter zum Nordstrand, um dort zu surfen. Aber doch nicht diese Riesenwellen! Ich kenne niemanden aus Nazaré, der das machen würde. Und in ganz Portugal gibt es vielleicht nur ein oder zwei, die so verrückt sind, bei solchen Wellen ins Wasser zu gehen. Es musste einfach ein Ausländer sein, der damit beginnt. Jemand aus Amerika oder Hawaii oder aus England oder Brasilien."
Friedliche Koexistenz der Fischer und Surfer
Fünfzig Meter von Nunos Garage entfernt verstaut der Surfer Hugo Vau Jet-Skis, Surfbretter und Zubehör in einer kleinen Lagerhalle. Der Werbespot ist abgedreht, McNamara längst auf dem Weg in seine Heimat im Pazifik. Hugo schraubt ein breites Board von einem der Jet-Skis ab. Das Brett, am Heck des Wassermotorrads befestigt, kann für Großwellensurfer die letzte Rettung sein. Denn nach dem Wellenritt sind die 260 PS starken Jet-Skis die einzige Chance aus dem Wasserchaos herauszukommen:
"Für die Rettung habe ich normalerweise vier bis fünf Sekunden Zeit. Innerhalb von zwei Sekunden muss ich dort sein, wo ich glaube, dass der Surfer auftauchen wird. Dann greife ich nach seinem ausgestreckten Arm, schleudere ihn auf dieses Brett hier und gebe sofort Gas. Denn wir haben nur ganz wenig Zeit, bevor die nächste Welle über uns zusammenbricht. Alles muss funktionieren. Wir gehen immer bis ans absolute Limit."
Hugo und seine Kollegen mögen Extremsportler sein. Lebensmüde sind sie aber nicht. Die Lagerhalle ist vollgepackt mit Ausrüstung, die die Sicherheit erhöht. Gepolsterte Neoprenanzüge, Funkgeräte, Rettungswesten mit eingenähten Gasflaschen, die der Surfer selbst in kritischen Momenten unter Wasser per Leinenzug aktivieren kann, um innerhalb von Sekunden an die Oberfläche gedrückt zu werden.
Direkt hinter dem Lager führt eine Rampe in die trübe Hafenbrühe, über die die Surfer ihre Jet-Skis ins Wasser lassen. Kleine Fischerboote schaukeln an den Stegen, ein paar Möwen fressen Köderreste vom Boden, es riecht nach Brackwasser, alten Fischresten und Benzin.
"Ich glaube, zu Beginn haben die Fischer das gedacht, was allen anderen auch durch den Kopf ging: Diese Surfer sind ja total verrückt und lebensmüde. Aber nach und nach haben sie sich immer mehr dafür interessiert, was wir machen. Und viele von ihnen schauen uns zu, wenn wir an Tagen mit riesigen Wellen hier ins Wasser gehen. Und sie fahren dann zum Leuchtturm, um uns beim Surfen zuzuschauen. Wer das Meer liebt, muss sich so etwas einfach angucken. Ich glaube, mittlerweile sind sie auch stolz darauf, dass wir hier bei Ihnen im Hafen sind. Schließlich sind wir ja Nachbarn und verstehen uns gut."
Das Hafenbecken ist für die Fischer wie auch für die Surfer ein Ort des Rückzuges. Das Meer beginnt gleich dahinter, aber hier im ruhigen Wasser hat es seine bedrohliche Kraft verloren.
Bevor sie zu den großen Wellen aufbrechen, erzählt Hugo, gibt es immer einen Moment der Reflexion. Sie halten sich an den Händen, sagen ein paar Worte, wie in einem Gebet, und wünschen sich, dass alles gut geht. Und wenn sie dann losfahren, dann fühlen sie sich wie Astronauten, die auf einen Planeten fliegen, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen ist. Und deshalb ist die Rückkehr nach einem langen Tag in den Wellen auch ein großer Augenblick voller Emotionen. Wenn alle wohlauf und wieder mit ihren Partnerinnen und Freunden vereint sind, die im Hafen warten.
Hugo wuchtet ein fast drei Meter langes Surfboard auf seinen Jeep. Seine Frau Inês hilft ihm, das Brett auf dem Gepäckträger zu befestigen. Die beiden leben auf den Azoreninseln, haben dort ein Boot, mit dem sie fischen gehen oder Wale und Delphine beobachten. Hugo schließt die Garagentür zu. "Dream Garage" nennt er sie – die Garage seiner Träume. Er steigt ins Auto. Abschied von Nazaré. Im Herbst, wenn die Riesenwellen wiederkommen, ist auch er zurück.
Vor der Ausfahrt ein Gläschen Schnaps oder Wein
Die Strandpromenade im Zentrum von Nazaré gleicht vielen Urlaubsorten im Süden. Sandstrand, breiter Bürgersteig, Bars und Gaststätten. Im Sand liegen ein paar alte Holzkähne. Touristen bleiben stehen, posieren vor den Überresten einer ehemals so präsenten Fischerkultur. Es gibt keinen Zweifel: Von den beiden Säulen der lokalen Wirtschaft hat im Zentrum nur der Tourismus überlebt.
Ein alt eingesessenes Restaurant sticht heraus. An den Seitenwänden hängen riesengroße Aufnahmen von der Rekordwelle, die McNamara hier gesurft ist. Celeste Botelho, nach der das Lokal benannt ist, steht in der Küche und bereitet einen Salat vor, den der amerikanische Großwellensurfer regelmäßig bei ihr isst, wenn er sich in Nazaré aufhält. Seit fast 60 Jahren arbeitet Dona Celeste in dem Betrieb ihrer Familie.
"Früher fuhren die Fischer mit ihren Booten alle hier vom Strand aus aufs Meer. Bevor sie im Morgengrauen aufbrachen, kamen sie hier ins Restaurant und tranken ihren Schnaps mit Zucker oder ein Gläschen Weißwein. Die Boote haben sie mit Ochsen ins Meer gezogen. Es gab ja den Hafen noch nicht, und deshalb gab es hier viele Unglücke. Manchmal kenterten sie direkt vor dem Strand und die Menschen an Land mussten mitansehen, wie die Fischer direkt vor ihren Augen ertranken."
In einem kleinen Gastraum direkt neben der Küche hängen ein paar alte Schwarzweißbilder. Sie zeigen Boote am Strand, riesige Wellen auf dem Meer. Über 100 Jahre seien die Fotos alt, sagt Dona Celeste. Da das Meer gerade im Winter so unberechenbar war, trauten sich die Fischer manchmal monatelang nicht, ihre Boote ins Wasser zu setzen. Und ohne Fische und Einkommen litten viele Familien unter großer Armut. Ihre Mutter, die im Landesinneren lebte, brachte damals Gemüse und Brot mit und kochte Suppen für die hungernden Fischer von Nazaré, erinnert sich die 66-Jährige.
Das Restaurant von Dona Celeste ist immer wieder ein Anlaufpunkt für die Menschen aus Nazaré und für Besucher gewesen. Heute sitzen keine Fischer im Lokal, sondern die Großwellensurfer, die zu ihr liebevoll "unsere Mama in Nazaré" sagen.
Glückseligkeit, die man nicht kaufen kann
In der Bar am Nordstrand zieht sich Dino Carmo einen Espresso aus der Maschine. Für die Freunde des Hauses gilt Selbstbedienung. An den Wänden der Bar hängt Strandgut, das der Barbesitzer auf seinen Spaziergängen gesammelt hat. Das Meer hat vieles ausgespuckt, zu dem auch Dino eine besondere Beziehung hat: Ein Bodyboard, ein paar Flossen und ein bunt bemalter Topf. Das benutzen die Leute hier, um Tintenfische im Meer zu fangen, erklärt er. Das Bild auf dem Topf findet er gelungen. Dino hat Design studiert an einer Fachhochschule etwas südlich von Nazaré. Doch das Studium hat er nicht abgeschlossen.
Dino trinkt seinen Espresso aus und geht. Er läuft an den Hunden vorbei, die vor der Bar liegen, durch die Dünen zum Strand, wo er sein Auto geparkt hat. Er muss noch zu seiner Großmutter, die seine Hilfe braucht, um ihre Tabletten in der Apotheke zu bestellen.
Die Familie ist für den jungen Mann weiterhin sehr wichtig. Seine Mutter unterstützt ihn finanziell, denn das Geld, das er als Lehrer in den Surfschulen verdient, reicht nicht zum Leben. Wenn er an die Zukunft denkt, hat Dino nur ein paar vage Ideen.
"Man müsste hier etwas ganz Spezielles für Bodyboarder aufbauen, denn dafür ist Nazaré wie geschaffen. Aber da bräuchten wir einen großen Investor, und der ist leider nicht in Sicht. Also bleibt uns Bodyboardern zwangsläufig nur eins: Wir müssen einen Laden für Wellenreiter aufmachen."
Aus seiner Clique sind in den letzten Jahren auch immer wieder Freunde ausgewandert. Doch das ist für Dino keine Lösung. Auf den Dünen zieht er seine Baseballmütze ins Gesicht und schaut über den Nordstrand. Der Sand ist vom Regen noch feucht, das Meer spült unruhige Wellen ans Land. Die Sonne schaut hinter den Wolken hervor. Ein paar Möwen segeln im Wind.
Nazaré ist ein schöner Ort, um zu leben, sagt er. Auch viele Künstler bleiben hier, um sich von Licht und Wellen inspirieren zu lassen. Der Stadt den Rücken zu kehren, kommt für Dino Carmo nicht in Frage. Denn von dem Geld, das er woanders verdienen würde, kann er sich nicht das kaufen, was er hier empfindet: Glückseligkeit.
Tilo Wagner: "Im Hafen von Nazaré hat ein Fischer seinem kleinen Kätzchen den Namen 'McNamara' gegeben. Als ich das gehört habe, dachte ich: Das ist doch kurios - ein alter Portugiese benennt sein Haustier nach einem amerikanischen Surfer. Da steckt doch eine Geschichte dahinter."
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Tilo Wagner© Deutschlandradio / Tilo Wagner
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