Fischerei in Schleswig-Holstein

Der letzte Krabbenfischer von Sylt

Krabbenfischer Paul Walter sitzt am 26.09.2015 an Deck seines Kutters «Tümmler» im Wattenmeer vor der Nordseeinsel Sylt (Schleswig-Holstein). Walter ist seit 50 Jahren Fischer. Er ist der einzige, der auf Sylt noch Krabben fischt und seinen Fang selbst gleich am Hafen verkauft.
Krabbenfischer Paul Walter an Deck seines Kutters. © picture alliance / Simone Steinhardt
Von Dietrich Mohaupt |
Paul Walther ist der letzte seiner Art. Der 73-Jährige ist der einzige noch verbliebene Krabbenfischer auf Sylt, der seinen Fang auch noch selbst verkauft. Ein Jahr will er auf jeden Fall noch weitermachen. Grund genug, ihn bei der Arbeit zu begleiten.
Morgens um kurz vor 3 Uhr ist die Nacht für Paul Walter vorbei. Mit ein paar routinierten Handgriffen hat er seinen kleinen Kutter "Tümmler" im Hafen von List auf Sylt bereit gemacht - dann ein Druck auf den Starterknopf ... und los geht's. Vorsichtig manövriert Paul Walter den Kutter aus dem Hafenbecken, der kräftige Lichtkegel einer drehbaren Lampe auf dem Dach des Steuerhauses tastet sich durch die tiefschwarze Nacht - für den erfahrenen Fischer ist das aber kein Problem.
"Ja - wenn es zappenduster und offene See ist, dann geht das noch. Aber wenn dann nachher noch Tonnen oder sowas kommen ... "
Erstmal kommen aber keine Tonnen oder sowas - es geht vom Lister Hafen nach Südwesten. Paul Walter ist hoch konzentriert, ständig wandert sein Blick zwischen Radar und Echolot hin und her, er registriert die Position anderer Kutter, achtet auf die Wassertiefe und geht in Gedanken schon die nächsten Arbeitsschritte durch.
"So - wir wollen erstmal schauen, dass ich das Netz klar kriege. 20 Meter 40 haben wir hier schon, gleich kommen wir auf 27, 28 Meter und nachher wird das wieder flacher, dann wollen wir auf 14, 15 Meter fischen und hoffen, dass wir was kriegen. Der eine Kutter ist am Ellenbogen sehe ich gerade, der andere im Hoyer Tief - so, und ich gehe jetzt eben mal an Deck!"
Da draußen, auf dem engen Achterdeck, habe ich nichts verloren - das hat Paul Walter mir schon beim Auslaufen klar gemacht. Also bleibe ich brav im Fahrstand, beobachte den Fischer bei der Arbeit - und muss zwischendurch immer mal wieder in Deckung gehen.
"Ich muss da mal ein bisschen drauf kucken - hier, das ... den Schirm muss ich mit im Auge haben! Ja - alles klar!"
Also - schnell den Kopf einziehen, sonst versperre ich den Blick auf das Echolot. Paul Walter kämpft derweil mit dem 6 Meter breiten und 10 Meter langen Netz, das er am Heck des kleinen Kutters ins Wasser lässt. Dabei muss er immer wieder nach vorne in das Steuerhaus flitzen, kurz Gas geben und den Kurs korrigieren, dann wieder ab nach hinten und aufpassen, dass sich das Fanggeschirr samt Netz nicht in der Schiffsschraube verheddert. Zwischendurch startet er immer wieder die Winde - Draht abspulen, damit das Netz bis zum Grund der Nordsee absinken kann. Dort soll die sogenannte Kurre auf Rollen über den Boden gleiten und dabei die Garnelen aufschrecken, die dann - hoffentlich - ins Netz hüpfen. Die richtige Handhabung des Fanggeschirrs erfordert einiges an Fingerspitzengefühl.
"Erfahrungswerte - ich habe jetztungefähr 60 Meter Draht weggesteckt. Und dann nachher, wenn wir auf 13 / 12 / 15 Meter kommen, dann brauche ich nicht immer heben, dann bin ich auf der sicheren Seite, dann brauche ich nicht immer hin und her springen. Die großen Kutter - da ist das kein Problem. Der eine kümmert sich ums Deck, und der eine nur um die Winde, kann die von drinnen fahren - das ist etwas einfacher."
Nach einer Weile hat Paul Walter das Netz endlich perfekt im Wasser - der Kutter "Tümmler" tuckert jetzt gemächlich mit knapp 2 Knoten, etwa 3 Kilometern pro Stunde, ein paar Kilometer südwestlich von List über die Nordsee. Noch immer ist es zappenduster - beste Voraussetzungen für einen vernünftigen Fang.
"Das Wasser ist verdammt klar - bei Tag würden wir hier nix haben!"

Paul Walther fing die ersten Fische mit vier Jahren

Im Morgengrauen sortiert Paul Walter den ersten Fang des Tages
Im Morgengrauen sortiert Paul Walter den ersten Fang des Tages © Deutschlandradio / Dietrich Mohaupt
Denn die Nordseegarnelen sind erstaunlich sportlich: Bei Tageslicht und klarem Wasser würden viele es schaffen, einfach über das Grundnetz hinweg zu hüpfen und zu flüchten, erfahre ich. Diese Gefahr besteht jetzt - in der pechschwarzen Nacht - nicht. Paul Walter hat jetzt, nachdem das Netz ordentlich ausgebracht ist, etwas mehr Ruhe und sogar Muße für einen Pott Tee und die eine oder andere Scheibe Käsebrot. Zeit für ein ordentliches Frühstück - und für ein paar Geschichten von damals. Von seinem Vater zum Beispiel, der im 2. Weltkrieg als Bootsführer bei der Marine auf Sylt stationiert war.
"Und dann nach dem Krieg wurde er von den Engländern ja übernommen. Hier waren - glaube ich - bei 6000 Flüchtlinge, es gab nix zu essen. Alles was schwimmen konnte - wenn man sah, Badewannen hatten sie gehabt, da ruderten sie mit raus, waren am Angeln, am Machen und Tun - kann man sich heute gar nicht vorstellen. Und er hatte dann eine Barkasse gehabt in dieser Größe, vom Engländer. Und da fing er dann an zu fischen für die Bevölkerung."
Paul Walter wurde gerade 4 Jahre alt als er seine ersten Fische fing, zusammen mit dem Vater auf einem 8 Meter 50 langen Boot.
"Dann - ein oder zwei Jahre später - hat er ein Boot gechartert, das war ein bisschen größer - zehn Meter, 26 PS!! Und dann ging das so weiter - das muss dann 1948 gewesen sein, 1947 oder 48 ... Augenblick mal, jetzt muss ich eben mal ein bisschen aufpassen wieder!"
Das Fanggeschirr beansprucht zwischendurch mal wieder die volle Aufmerksamkeit des Fischers: Kurs korrigieren, Leinen straff ziehen - als das Netz wieder da ist, wo es sein soll, wird weiter erzählt, von ersten Kutterneubauten des Vaters, von der Seefahrtsschule in Cuxhaven, von ersten großen Fangfahrten auf dem Fischdampfer nach Island und Grönland. Paul Walter berichtet von einem gebrochenen Bein, von Stürmen, Monsterwellen und schweren Schäden am Schiff - er kann gut erzählen.
" ... und dann kriegten wir Orkan. Da hat der eine Dampfer eine Wellenhöhe gemessen, die eine Welle, 32 Meter. Ich hatte Freiwache gehabt, ich war am Schlafen, und dann plötzlich ein Knall, eine Erschütterung durch das ganze Schiff! Ich hoch - und da hatten wir einen gedroschen gekriegt: Den ganzen Windenfahrstand weggeschmissen, das waren so 6 Millimeter Stahlblech, die waren zusammengerollt wie Papier. Dann ist die Welle hinten an den Dom geschlagen, hat den Dom 6 Meter aufgerissen, hat das eine Rettungsboot da an Deck flach gemacht, wie Kleinholz lag das da dann."

Um halb fünf wird es Zeit nach dem Fang zu schauen

Zwischendurch immer mal wieder ein schneller Blick auf die Uhr, kurz die Strömungsverhältnisse prüfen:
" ... ich glaube, wir gehen jetzt gegen an, und dann werden wir doch mal ... machen wir schon? - Ja, schleppen wir jetzt noch eine viertel Stunde, zwanzig ... ja - es ist jetzt noch ein bisschen dunkel, fangen wir vielleicht ein bisschen mehr, nachher haben wir's hell, die Zeit ist ... wir schleppen noch bisschen, wir schnacken noch ein bisschen und schleppen weiter."
Na dann - es ist ja nicht so, dass Paul Walter nix mehr zu erzählen hätte. Stundenlang könnte man zuhören, wenn er von den großen Fahrten auf dem Fischdampfer erzählt, von langen Abenden in rauen Seemannskneipen - und von der Zeit, in der er dann endlich in List auf Sylt sesshaft wurde.
"Da hatte ich mich ja dann selbstständig gemacht - da hab‘ ich den Kutter von meinem Vater gekauft, das war 1965, ersten April. Dritten April hab‘ ich gleich ein Netz verloren für 1500 Mark, das war damals ein Vermögen. Dann habe ich ... September 1965 hab‘ ich geheiratet und 1967, da musste ich zum Bund. Musste meinen Fischereibetrieb verkaufen, musste zum Bund als Steuermann - da war ich dann 7 Jahre, und dann wurden die Boote außer Dienst gestellt bzw. verlegt, und dann bot man mir eine Bürostelle an - hier!"
Ein Bürojob bei der Marine auf Sylt - für einen wie Paul Walter, mit jeder Menge Salzwasser im Blut, konnte das natürlich nicht die Erfüllung sein. Zum Glück durfte er nebenbei weiter Krabben fischen. 1978 ließ er sich dann den kleinen Kutter "Tümmler" bauen, mit dem er heute noch auf Krabbenfang geht. Apropos - es ist inzwischen fast halb fünf, am Horizont beginnt sich langsam die Morgendämmerung abzuzeichnen. Es wird Zeit, mal nach dem Fang zu schauen.
"Wir schleppen jetzt eine Stunde und zwanzig Minuten gut ... ich drehe jetzt gegen den Strom hier gleich - normalerweise würde ich mit dem Strom gehen, aber weil ich hier quer zum Strom fische ... und dann werden wir das Netz vorhieven und dann mal schauen, was da so drin ist. Tja ... wenn wir jetzt nix drin haben, dann haben wir die Arschkarte gezogen - da wird's dann auch nicht mehr viel werden!"
Klare Worte von Paul Walter, der sich sofort an die Arbeit macht. Erst einmal müssen gut 60 Meter Draht eingeholt werden - dann taucht langsam das Netz aus der Nordsee auf. Die Motorwinde hat ganz gut zu tun, der Fang hat sich offenbar doch gelohnt. Vorsichtig schwenkt Paul Walter das Fanggeschirr über die seitliche Bordwand an Deck, über einem mit Blechwänden abgeteilten Bereich öffnet er mit routinierten Handgriffen den Steert, den hintersten Abschnitt des Schleppnetzes, in dem sich der gesamte Fang gesammelt hat. Und ... zufrieden mit dem Ergebnis?
"Ja ... gut bis sehr gut, haste gut gemacht! Jetzt will ich sehen, dass ich den Kessel in Gange krieg‘, denn ... ich glaube das war soweit zufrieden ... wenn wir nochmal die Hälfte dazu bekommen, wär's gut!"

Wenn die Sonne strahlt, wird das zweite Netz eingeholt

Der Kutter Tümmler, seit 35 Jahren im Einsatz
Der Kutter Tümmler, seit 35 Jahren im Einsatz © Deutschlandradio / Dietrich Mohaupt
Ruckzuck ist das Netz wieder ausgebracht, der Kutter schippert wieder mit knapp zwei Knoten in den langsam anbrechenden Morgen. Mit einem in Diesel getränkten Fidibus macht Paul Walter Feuer unter dem großen Kessel - durch einen dicken Schlauch pumpt er Seewasser hinein, dann kippt er noch ein bisschen Salz dazu. Dann geht es erstmal ans Sortieren des gerade eingeholten Fangs: Am Heck des Kutters rattert lautstark ein Rüttelsieb, hier trennt sich auf zwei Ebenen quasi "die Spreu vom Weizen".
"Das ist die Vorsortierung - erstmal oben werden die groben Teile, Krebse, Schollen und sowas, raus sortiert, die fallen hinten gleich ins Wasser. Dann fallen sie auf das Grobsieb, da kommen die größeren Krabben durch in den Korb und die kleinen fallen gleich wieder ins Wasser."
Anschließend muss der Fang mit Seewasser noch gespült werden, dann werden die Krabben gekocht. Auch dabei ist volle Konzentration geboten.
"Umrühren, damit sie gleichmäßig warm werden, das sie gleichzeitig gekocht sind ... ich muss schon wieder umrühren ... die kriegen jetzt weiße Punkte, und dann nehmen wir sie jetzt raus ... auf's Kühlsieb."
Auf diesem großen Metallsieb spült Paul Walter die Krabben noch einmal mit frischem Seewasser gründlich ab und sortiert per Hand noch kleine Krebse und Algenreste aus. Inzwischen ist die Sonne aufgegangen - ein strahlender Morgen hat begonnen, es wird Zeit, das Netz zum zweiten Mal einzuholen. Diesmal geht es ganz leicht, auf den ersten Blick ist zu erkennen:
"Ein Schiet-Hol - Menge Dreck, nichts drin ... lange geschleppt, Ernüchterung!"
Für alle Landratten - ein Schiet-Hol ist, vorsichtig übersetzt, ein eher bescheidener Fang. Waren es beim ersten Hol noch um die dreißig Pfund Krabben, so landeten diesmal nur knapp zehn Pfund im Netz - gerade genug, um noch einmal den Kessel anzuheizen. Insgesamt vierzig Pfund - eigentlich viel zu wenig, leben kann er davon nicht. Einfach so loslassen kann Paul Walter er aber auch nicht.
"Man sagt: Einmal Fischer, immer Fischer - das ist wie so eine Manie, ne! Das ist vielleicht wie bei so einem Spieler der sagt: Ich muss an den Spieltisch! Und ich sage: Menschenskinder das Wetter - ich muss zum Fischen!"
Also fährt er immer noch regelmäßig raus, so oft Wind und Wellen es zulassen. Um ihn herum hat sich aber viel verändert - etwas nachdenklich blickt Paul Walter auf die vergangenen Jahrzehnte zurück.
"Hätte ich nie gedacht, dass ich mal der letzte Fischer bin. Meine Kollegen sind alle weggestorben - der letzte ist glaube ich vor zehn Jahren hier weggestorben, Jan Hansen - und jetzt krebse ich alleine rum."

Die anderen Kutter liegen so gut wie nie im Hafen

Die beiden anderen Kutter, die an diesem Morgen noch ganz in der Nähe unterwegs sind - die zählen nicht, die sind von auswärts, im Hafen liegen die so gut wie nie.
"Der eine, der ist in Tönning registriert, das ist ein Lister Fischer, der fährt von Tönning aus. Der hat da mit dem Kapitän den Kutter gekauft, und die fischen die meiste Zeit hier, liegen aber drüben in Dänemark, in Rømø, oder dann nachher wieder in Tönning. Und der andere, der ist von Föhr, der fischt meistens von April bis Juni hier, und dann kriegen wir hier zu viel Kraut, Salat, dann geht der wieder zurück nach Föhr, und dann fischt der von da aus. Die kriegen wir hier nicht zu sehen im Hafen, die kommen ein-, zweimal ran - wenn es gerade warm ist und die wollen ein Eis essen, dann kommen sie schnell mal in den Hafen, holen sich ein Eis und dann sind sie wieder weg."
Vor 10, 15 Jahren, da war List noch ein kleiner, charmanter Fischerort, im Hafen herrschte noch buntes Treiben.
"Das geht leider alles verloren - wenn man bedenkt, was sonst ... schon alleine Detlef, als der noch da war, Jan, da waren wir mit drei kleinen Kuttern hier am Hafen, es war ein ganz anderes Leben am Hafen. Was da an Leute, an Gäste kam - man hatte Gespräche, die wollten dies wissen, die wollten das wissen - jetzt ist gar nix mehr los. Also, wenn ich rein komme in den Hafen - wenn dann zwei, drei Leute vielleicht an der Pier stehen, dann ist das viel. Und wenn dann mal ein oder zwei Pfund Krabben verkauft werden, direkt von der Pier, das ist sehr viel."
Immer öfter gerät Paul Walter in der letzten Zeit deshalb ins Grübeln. Wie lange mag sich der ganze Aufwand wohl noch lohnen, fragt er sich regelmäßig.
"Ich werde jetzt 74 - es ist an und für sich jetzt schon mehr Hobby. Ich fahre jetzt nur noch einmal die Woche raus und wenn ich damit die Unkosten nicht reinkrieg und selber praktisch von meiner eigenen Rente als reine Touristenattraktion da drauf zahlen muss - dann sagt man sich, also Paul, irgendetwas stimmt nicht."
Damit wenigstens in den nächsten Tagen die Kasse einigermaßen stimmt, heißt es jetzt aber, den Fang vernünftig zu vermarkten. Seit ein paar Jahren geschieht das über eine Internetseite, auf der potenzielle Kunden erfahren können, wann welcher Kutter in welchem Hafen mit fangfrischem Fisch - oder eben Krabben - anlegt. Auf dem Rückweg Richtung Lister Hafen - es ist inzwischen halb neun am Morgen - greift Paul Walter zum Handy:
"Ja - moin Herr Sturm, Paul Walter - List. Heute ab 11 Uhr frische Krabben in der Alten Bahnhofstraße und morgen auch frische Krabben Alte Bahnhofstraße ab 11 Uhr. Ende!"
Schon ein paar Minuten später sind diese Informationen online - die Internetseite "fischvomkutter.de" ist für viele kleine Fischereibetriebe an der schleswig-holsteinischen Nord- und Ostseeküste zu einem wichtigen Hilfsmittel geworden, um ihren frischen Fang ohne den Umweg über Händler direkt zu vermarkten. Etwa eine halbe Stunde später läuft der Kutter "Tümmler" wieder in das kleine Lister Hafenbecken ein - vorsichtig manövriert Paul Walter das Boot an seinen Liegeplatz. Oben auf der Mole steht Nils Schneider vom Seenotkreuzer Pidder Lüng - und freut sich schon auf eine ordentliche Portion fangfrischer Krabben.
"Jo - immer wieder gerne genommen. Eigentlich regelmäßig wenn sich die Chance bietet, an frische Krabben zu kommen, dann nimmt man das natürlich gerne mit."

Am Hafen ist kein Geschäft mehr zu machen

Ein Schiet-Hol, der zweite Fang des Tages ist eine Enttäuschung
Ein Schiet-Hol, der zweite Fang des Tages ist eine Enttäuschung © Deutschlandradio / Dietrich Mohaupt
Der Korb mit dem Fang von heute ist inzwischen an Land gehievt, eine Tüte Krabben für 6 Euro das Pfund - bitte sehr. Paul Walter hält sich jetzt aber nicht lange am Hafen auf - die Krabben kommen bei ihm zu Hause in der Alten Bahnhofstrasse, nur ein paar hundert Meter vom Hafen entfernt, in eine Kühlbox. Direkt vor dem Haus ist der kleine Verkaufsstand aufgebaut - hier sitzt Paul jetzt gemütlich auf einer kleinen Bank in der Sonne und wartet auf Kunden. Manchmal steht er mit dem Verkaufsstand auch unten am Hafen - immer öfter allerdings vergeblich.
"Es sind viele Leute, die kommen an wenn ich am Hafen steh - oh, frische Krabben, schön! Paul, gut dass du hier noch stehst - wir kommen nachher vorbei. Dann kommen sie nach eineinhalb Stunden wieder vorbei - Paul, es tut uns leid, wir sind so satt ... wir kommen später mal wieder. Aber es ist gut, dass du hier stehst und dass es das noch gibt. Alle wollen, dass ich da stehe - nur kaufen ... da kommt gerade ein Kunde an, hurra! Moin moin!!"
Draußen auf der Straße vor dem Haus hat Udo Koschorek aus Hattingen in Nordrhein-Westfalen angehalten - angelockt von dem Schild mit dem Hinweis auf die frischen Krabben.
"Okay - dann nehme ich ... ein Liter 6 Euro bei Barzahlung ... Ja, dann nehme ich 2 Liter, ich würde gerne überweisen nächste Woche ... "
Mit einer Konservendose als Messbecher füllt Paul Walter die Krabben in eine Tüte. Vor gut zwei Stunden noch in der Nordsee, jetzt als Leckerbissen frisch auf den Tisch - besser geht es doch gar nicht, freut sich Udo Koschorek.
"Man liest immer so sehr viel über Krabben - die haben ja in der Regel einen sehr, sehr weiten Weg hinter sich. Die werden hier aus der Nordsee gefischt, dann gehen die - wenn man dem Glauben schenkt, was man liest - werden die nach Rumänien oder nach Nordafrika verschifft und werden da gepuhlt, werden wieder zurück gebracht, und das muss man ja nicht haben, wenn man es hier frisch vor Ort kaufen kann. Ja - da freuen wir uns. Unser Nachmittag ist gerettet."
Kurz darauf kommt noch eine Kundin - das war's dann aber auch schon, nur ein paar Pfund Krabben gehen an diesem Vormittag noch über den Tresen, der Verkauf läuft sehr schleppend. Die Wartezeit nutz Paul Walter für ein paar kritische Worte über die heutige Krabbenfischerei. Immer weniger Kutter fangen immer mehr Krabben - das zuständige Ministerium in Kiel spricht von derzeit etwa 6000 Tonnen pro Jahr, fast dreimal so viel wie 1990. Das hat Auswirkungen auf den gesamten Fischbestand im Wattemeer, das als Kinderstube für zahlreiche Fischarten für den Erhalt der Bestände extrem wichtig ist.
"Die Fischerei - ich weiß nicht, ob die heutzutage richtig ist. Die Krabbe ist ja an und für sich ein Grundnahrungsmittel für die Fische, und die wird so befischt - wir haben hier keine Fische mehr. Die schweren Geschirre kommen dazu - wenn der Fisch zum Beispiel kommt zum Ablaichen, dann wird von dem schweren Rollengeschirr doch sicher schon 60 - 70 Prozent von dem Laich kaputt gemacht. Sagen wir dann nachher, die 30 Prozent die schlüpfen - da wird von dem Rollengeschirr auch noch mal 70 Prozent kaputt gemacht."

Noch ein Jahr - und dann?

Dass diese Art der Fischerei nicht mehr lange gut gehen kann, das sollte doch eigentlich klar sein, meint Paul Walter. Er selbst erlebt die drastischen Veränderungen bei jeder Fangfahrt hautnah.
"Wenn ich bedenke - mit dem kleinen Kutter, als ich da anfing vor 35 Jahren, Schollen oder sowas hab ich gar nicht mitgenommen, das wollte keiner haben. Da hatte ich jedes Mal so einen großen Eimer Seezungen gehabt, Steinbutt, es wurde nur Edelfisch mitgenommen. Und heute hatten wir Glück - sechs oder sieben Plattfische hatten wir, das war gut! Letztes Jahr hatte ich das ganze Jahr über nicht so viel gehabt wie heute."
Auch deshalb denkt der letzte Krabbenfischer von Sylt immer mal wieder übers Aufhören nach - auch wenn ihm das nicht wirklich leicht fällt.
"Ich habe den Kutter ja auch angeboten zum Verkauf ... muss ich sagen. Und im Januar wurde mein Sohn 50 in Dortmund - da war ich zu Besuch, und dann bekam ich plötzlich einen Anruf von dem Makler, dem ich den Kutter gegeben hatte. Hallo Paul, sagt der, es geht um den Kutterverkauf. Und dann bin ich wohl ganz blass geworden - ich dachte, jetzt ... wenn ein Kunde da ist, verkauf ich ihn. Und mein Sohn, der hat sich halb tot gelacht, der sagte, Papa, sagt, er, du bist plötzlich ganz blass geworden - wollen wir hoffen, dass vorläufig noch keiner kommt und den Kutter kauft!"
Bisher ist noch niemand gekommen - und ganz ehrlich, wenn man Paul Walter mal auf seinem Boot erlebt hat oder beim Klönschnack mit den Kunden, wenn er ihnen seine frischen Krabben verkauft, dann kann man sich bei besten Willen nicht vorstellen, dass er seinen Kutter irgendwann mal einfach so hergibt. Vor fast zehn Jahren war er schon einmal fast so weit, aber ...
"Als ich 65 wurde - da hab ich gesagt: So, jetzt ist Schluss! Und dann saß ich da, und dann wurde das langweilig, und dann bekam ich ein Kribbeln im ganzen Körper, und ich wusste nicht, was los war. Und dann sagte einer: Du, fang mal wieder an zu fischen. Und das Kribbeln war weg gewesen, die Gesundheit war besser gewesen ... und somit versuche ich das zu halten."
Die Krabbenfischerei als Gesundbrunnen! In diesem Jahr will Paul Walter auf jeden Fall noch weiter machen - und dann ... mal sehen!
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