Umweltkatastrophe an der Oder

Warum sterben die Fische?

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Hinter einem Grenzpfeiler am deutsch-polnischen Grenzfluss Oder bergen freiwillige Helfer tote Fische aus dem Wasser.
Dass so viele Fische im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder sterben, sei kein Naturphänomen, betont Gewässerökologe Martin Pusch vom Leibniz-Institut in Berlin. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Christoph Richter · 24.08.2022
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In der Oder sind massenhaft Fische verendet. Was ist der Grund für das massive Fischsterben? Und warum wurde so spät gewarnt? Ein Überblick über den derzeitigen Stand der Ermittlungen.
In der Oder schwammen zuletzt unzählbar viele verendete Fische. Dabei ist der Fluss, der einen Teil der deutsch-polnischen Grenze bildet, naturbelassen – einer der wenigen Flüsse in ganz Europa. Doch laut Behörden wurden in Polen und Deutschland rund 200 Tonnen toter Fische eingesammelt. Wie viele noch auf dem Grund des Flusses liegen, ist unklar. Das Brandenburger Institut für Binnenfischerei geht von einem Gesamtschaden von bis zu 400 Tonnen aus.

Warum sind so viele Fische gestorben?

Zu den Gründen für das große Fischsterben in der Oder gibt es verschiedene Hypothesen.
Das Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei sieht die Ursache nicht in einem Naturphänomen, sondern in der massiven Einleitung von Salzlake in die Oder und der rasanten Entwicklung einer giftigen Brackwasser-Alge.
Die Salzlake sei über einen Zeitraum von mehr als einer Woche in den Fluss geleitet worden, sagt Gewässerökologe Martin Pusch vom Leibniz-Institut. „Laut den polnischen Quellen ist diese Einleitung sogar genehmigt.“ Dann wäre jedoch zu hinterfragen, ob es eine ausreichende Umweltverträglichkeitsprüfung dafür gegeben habe. Denn zwischen der eingeleiteten Salzmenge und der Menge an Wasser in der Oder habe es ein Missverhältnis gegeben.
Untersuchungen seines Instituts hätten einen auf mehr als das Doppelte erhöhten Salzgehalt gezeigt. Zudem führte die Oder extremes Niedrigwasser und war mit 25 Grad Wassertemperatur außerordentlich warm.
In dieser Salzwolke habe sich offenbar die Alge Prymnesium parvum entwickelt – auch „Goldalge“ genannt –, die vermutlich starke Giftstoffe gebildet habe, so Pusch. „Das ist die unmittelbare Ursache des Todes der Fische“, erklärt der Gewässerökologe und fügt hinzu: „Ohne Einleitung des Salzes wären die Fische nicht gestorben.“
Die polnische Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ berichtete in der vergangenen Woche, dass der Auslöser für den hohen Salzgehalt Einleitungen von „riesigen Mengen" von Salzwasser aus dem Stausee Żelazny Most gewesen seien. Das Blatt bezieht sich dabei auf Angaben des oppositionellen Abgeordneten Piotr Borys.
In der Zeitung heißt es weiter, dass das Unternehmen eine Genehmigung für die Einleitung salzhaltigen Wassers gehabt hätte. Am 10. August habe das polnische Bergbau-Unternehmen von sich aus die Einleitung der Salzlake gestoppt. Polens Wasserbehörde hat zudem nach eigenen Angaben 282 Abwasserabflüsse ohne aktuelle wasserrechtliche Genehmigung entdeckt.

Warum werden Behörden kritisiert?

Das brandenburgische Landesumweltamt sieht sich Vorwürfen zu seinem Vorgehen ausgesetzt: Die Behörde, die Messstationen an der Oder betreibt, habe zu lange nicht reagiert. Dabei sei seit dem 1. August ein stetig steigender Salzgehalt gemessen worden.
Zum Agieren der deutschen Behörden kommt: Auch die polnischen Behörden informierten nicht. Bereits Ende Juli seien die ersten toten Fische entdeckt worden – weiter flussaufwärts, nahe dem polnischen Wrocław, dem früheren Breslau. Auf polnischer Seite sei man zunächst davon ausgegangen, dass es sich um ein lokales Ereignis gehandelt habe, heißt es.
Erst zwei Wochen nach den ersten Fischfunden, am 10. August, wird die Öffentlichkeit informiert, Angel- und Betretungsverbote an der Oder werden erst am 12. August ausgesprochen.
Wolfgang Roick, stellvertretender SPD-Fraktionschef im Brandenburger Landtag, gehört zu denjenigen, denen es zu langsam ging. Er fordert ein Fluss-Kataster, eine Art Übersicht aller Industrieabwässer, die in die Oder geleitet werden.
Umweltminister Alexander Vogel (B‘90/Die Grünen) fordert zudem, die Warn- und Alarmpläne an der Oder zu überarbeiten. Auf Nachfrage hieß es: „Nach internationaler Vereinbarung hätte die polnische Seite das für die Oder geltende Meldesystem auslösen müssen, als ein massives Fischsterben dort bekannt wurde.“
Auf Basis der bis dahin in der Messstelle in Frankfurt (Oder) festgestellten Werten habe man nicht von einem Fischsterben ausgehen können. „Auch in der Vergangenheit hatte es schon deutlich hohe Leitfähigkeitswerte, die auf Salzfrachten hindeuten, gegeben, die kein Fischsterben in der Oder auslösten.“
Das Landesamt für Umwelt habe erste konkrete Hinweise auf eine Umweltverschmutzung nicht über die offiziellen Meldewege, sondern durch einen Schiffsführer erhalten.
Kritik an der polnischen Seite kommt nicht nur aus Deutschland – auch in Polen selbst protestieren Umweltschützer und Nichtregierungsorganisationen und dringen auf Aufklärung.

Welche Auswirkungen sind schon sichtbar?

Die Umweltkatastrophe in der Oder habe ein funktionierendes Ökosystem zerstört, so Gewässerökologe Martin Pusch vom Leibniz-Institut in Berlin. Unter den großen Mengen toter Fische, die aus dem Fluss geborgen werden müssen, seien auch seltene Fischarten wie beispielsweise der Goldsteinbeißer. Er komme in Deutschland nur in der Oder vor. Ob der Goldsteinbeißer überlebt habe, sei noch unsicher: „Und es wurde der gesamte Bestand des Ostsee-Störs abgetötet, der sich in der Oder aufgehalten hat.“
Der Ökologe Dirk Treichel, Chef des Nationalparks „Unteres Odertal“, weiß von weiteren Opfern der Katastrophe: „In den letzten Tagen haben sich ganz viele Großmuscheln und auch Wasserschnecken verabschiedet, sodass wir von einem erheblichen Schaden für das ganze Ökosystem ausgehen.“
Nicht nur auf die Natur – auch politisch wirkt sich die Umweltkatastrophe an der Oder aus, etwa auf das deutsch-polnische Verhältnis: So bezichtigte die polnische Umweltministerin Anna Moskwa Deutschland am Wochenende der Verbreitung von Fake News. Hintergrund war eine Meldung, dass Pestizide im Fluss entdeckt worden seien, die als Auslöser des Fischsterbens in Betracht gezogen wurden.

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