Fiston Mwanza Mujila: "Tram 83"
Aus dem Englischen Katharina Meyer und Lena Müller
Paul Zsolny Verlag, Wien 2016
207 Seiten, 15,99 Euro
Geschichten aus einem Höllenort
"Tram 83" von Fiston Mwanza Mujila hat in Frankreich und der englischsprachigen Welt schon viel Aufsehen erregt. Nun liegt der Roman auch auf Deutsch vor. - Faszinierend, verblüffend und begeisternd, meint Rezensent Johannes Kaiser.
Ist das ein Roman? Schwer zu sagen, denn eine richtige Geschichte erzählt der aus der Demokratischen Republik Kongo stammende Fiston Mwanza Mujila nicht. Er lässt den Leser über vieles im Ungewissen, beschränkt sich auf grelle Momentaufnahmen, kennt keinen Plot. Das Ende bleibt in der Luft hängen. Es gibt zwar zwei Hauptfiguren, den Schriftsteller Lucien und den Gangster Requiem, aber eigentlich steht im Mittelpunkt des Romans eine Bar namens Tram 83.
Es geht um zwei Dinge
Sie ist der quirlige, angesagte, unvermeidbare Treffpunkt für alle Bewohner der afrikanischen Stadt: Huren und Ausländer, rebellische Studenten und brutale Grubenarbeiter, Gangster, Gauner, Touristen. Sie ist zugleich ein Musikclub mit ständig wechselnden Bands, zu deren Musik die Gäste tanzen. Sie ist eine Art Bordell, denn in der Bar warten blutjunge Prostituierte, Küken genannt und Single-Mamis auf Kunden, mit denen sie dann in den gemischten Toiletten verschwinden. Vor der Tür von Tram 83 wird geschlachtet und Hundefleisch gegrillt, drinnen maßlos getrunken. Die Bar ist Umschlagsplatz für Drogen und Informationen. Doch eigentlich geht es nur um zwei Dinge: Geld und Sex.
Requiem jagt erfolgreich beidem hinterher, ist ein geschickter Manipulator, ein Frauenaufreißer, ein skrupelloser Mafioso, ein Erpresser, der selbst den herrschenden General der Lächerlichkeit preisgibt. Bei ihm untergekrochen ist sein Bruder Lucien, ein armer Schlucker, der aus dem Hinterland in die Anonymität der Großstadt geflohen ist, ein poète maudit, den es zwar jeden Abend wieder ins Tram 83 zieht, der aber mit der ganzen sex- und geldgierigen Gesellschaft nichts zu tun haben will, sie verachtet.
Literat mit absurd hohen Ansprüchen
Er sitzt trinkend da und saugt die Atmosphäre in sich auf, um sie in einen Roman, in ein Theaterstück umzusetzen. Eine Lesung mit ihm geht in Tumult unter. Die Männer lachen über ihn. Doch die Frauen sind von ihm fasziniert, bieten sich ihm geradezu an. Er weist sie alle brüsk ab, bleibt geradezu unverständlich keusch. Lucien ist ein Literat mit absurd hohen moralischen Ansprüchen, der an sich und der Welt leidet. Er scheitert, lernt nichts dazu, bleibt stur, landet sogar im Gefängnis.
Was er aufzeichnet, gibt der Roman wieder. Es sind die Sprüche der Gäste, ist die drastische und obszöne Anmache der Huren. Fiston Mwanza Mujila vergleicht seine Sprache gerne mit einem Jazzorchester mit vielen Instrumenten. Auf YouTube kann man sehen und hören, wie er aus seinem Roman vorliest. Atemlos stößt er die Wörter hervor, hängt knappe Phrasen im Stakkato-tempo aneinander, singt seine Sätze geradezu. Und genauso liest sich sein übrigens phantastisch übersetztes Buch. Immer wieder kommt es wie die Musik auf gewisse Themen zurück, wiederholt wie kleine Leitmotive einzelne Sätze, die uns durch den ganzen Roman begleiten. Die Sprache atmet, vibriert, ist Musik. Sie ist der Roman, seine Seele. Und ihr folgt man amüsiert, fasziniert, verblüfft und begeistert. Was für ein Romandebüt!