Fixpunkt Klagenfurt
Der diesjährige Träger des Büchnerpreises, Josef Winkler, präsentiert in seinem neuen Buch elf kleine Prosastücke, in denen er einen weiten Bogen von Indien und Mexiko bis nach Österreich spannt. Kern seiner Assoziationskette ist der Tod eines Jungen während der Vorbereitungen zu der Fußball-Europameisterschaft 2008.
Wie um den Büchnerpreis zu bestätigen, den Josef Winkler in diesem Jahr zugesprochen bekommen hat, kreist sein neuestes Buch wieder um seine alten Themen, zuvörderst um den Tod. Es ist ein im Österreich der siebziger Jahre entstandener Tod, um die Zeit, als Josef Winkler zu schreiben anfing. Wie um die Fama, die traditionelle Riten um Tod, Verwesung und Schwärze in diesen Breiten zu hypertrophieren, hat Josef Winkler von Anfang an das Thema des Todes in den Mittelpunkt seiner Texte gestellt. Darum gruppiert sind die typischen Ingredienzien wie faschistoides Bauerntum und Katholizismus, autoritärer Vater, verquer und jäh ausbrechende Sexualität.
Winklers neuestes Buch mit dem langen Titel "Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot" steht in einer Entwicklungslinie, die diese Themen immer musikalischer und immer weltläufiger variiert. Winkler hat eine Assoziations- und Leitmotivtechnik entwickelt, die sehr suggestiv mit Wiederholungen arbeitet und das Dorf, den Tod und die Ausbruchsversuche des Körpers in immer neuen Blickwinkeln zeigt. Auch auf Reisen in andere Länder und vor allem andere Kontinente – Indien lieferte für Winkler früh einen neuen Bildervorrat – ist die frühe Klagenfurter Prägung präsent und beleuchtet die vermeintlich fernen und andersartigen Riten.
Man könnte das neueste Buch Winklers – als Originalausgabe in der Taschenbuchreihe edition suhrkamp erschienen – ein Virtuosenstück nennen. Es handelt sich um elf kurze Prosastücke, die alle Themen anschlagen, die der Autor mit der Zeit intoniert hat. Italien, Indien oder Mexiko werden mit der Kärntener Dorfkindheit und dem Klagenfurter Jetzt konfrontiert, in rhythmisch ausholenden Suaden. Kern der Assoziationsketten ist der Tod eines Jungen, der beim Überqueren eines Zebrastreifens von einem Lastwagen getötet wurde – zur Zeit der hektischen Bautätigkeit für die Fußball-Europameisterschaft 2008, als auch in Klagenfurt das Stadion modernisiert wurde. Der Unfalltod dieses Kindes geistert durch alle Texte des Buches, in jedem dieser Texte taucht der Tod eines Kindes auf und bildet das geheime Kraftzentrum. Der Titel des Buches aber führt dies alles wieder in die Winklersche Dorfkindheit zurück, als Fixpunkt der Wahrnehmung und des Seinsgefühls: Die Mutter wies ihn zurecht, dass er das Brot falsch schneide, er solle nicht "dem Herrgott die Fersen abschneiden". Darauf habe der junge Josef Winkler geantwortet: "Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot" – das Paradox des Unterlegenen, die Kraft und die Wut des Schwachen. Mit diesem Titel ist die Ästhetik dieses Autors kongenial umrissen.
In den einzelnen Texten des Buches mischt Winkler Reportageformen und lyrische Überhöhungen. Die Todesszenen sind in einen Assoziationsteppich hineingewoben, der von den Büchern gemustert ist, die Winkler auf seinen Reisen liest: mal ist es Peter Handke, mal Terezia Mora, mal ein Gedicht von Gerald Zschorsch. Durch diese literarische Grundierung bekommt der Text einen Verweisungscharakter, der alle Erfahrungen in den neu entstehenden Kunstwelten aufzuheben versucht. Winklers Motivnetz ist bei alldem nach wie vor eng und überschaubar, man kann es mehr denn je in einem österreichischen Dorf-Topos verorten. Aber seine Texte sind verblüffend variationsreich, sie erinnern an Jazzimprovisationen über bekannte Standards.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Josef Winkler: Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot
edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2008
125 Seiten, 9 Euro
Winklers neuestes Buch mit dem langen Titel "Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot" steht in einer Entwicklungslinie, die diese Themen immer musikalischer und immer weltläufiger variiert. Winkler hat eine Assoziations- und Leitmotivtechnik entwickelt, die sehr suggestiv mit Wiederholungen arbeitet und das Dorf, den Tod und die Ausbruchsversuche des Körpers in immer neuen Blickwinkeln zeigt. Auch auf Reisen in andere Länder und vor allem andere Kontinente – Indien lieferte für Winkler früh einen neuen Bildervorrat – ist die frühe Klagenfurter Prägung präsent und beleuchtet die vermeintlich fernen und andersartigen Riten.
Man könnte das neueste Buch Winklers – als Originalausgabe in der Taschenbuchreihe edition suhrkamp erschienen – ein Virtuosenstück nennen. Es handelt sich um elf kurze Prosastücke, die alle Themen anschlagen, die der Autor mit der Zeit intoniert hat. Italien, Indien oder Mexiko werden mit der Kärntener Dorfkindheit und dem Klagenfurter Jetzt konfrontiert, in rhythmisch ausholenden Suaden. Kern der Assoziationsketten ist der Tod eines Jungen, der beim Überqueren eines Zebrastreifens von einem Lastwagen getötet wurde – zur Zeit der hektischen Bautätigkeit für die Fußball-Europameisterschaft 2008, als auch in Klagenfurt das Stadion modernisiert wurde. Der Unfalltod dieses Kindes geistert durch alle Texte des Buches, in jedem dieser Texte taucht der Tod eines Kindes auf und bildet das geheime Kraftzentrum. Der Titel des Buches aber führt dies alles wieder in die Winklersche Dorfkindheit zurück, als Fixpunkt der Wahrnehmung und des Seinsgefühls: Die Mutter wies ihn zurecht, dass er das Brot falsch schneide, er solle nicht "dem Herrgott die Fersen abschneiden". Darauf habe der junge Josef Winkler geantwortet: "Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot" – das Paradox des Unterlegenen, die Kraft und die Wut des Schwachen. Mit diesem Titel ist die Ästhetik dieses Autors kongenial umrissen.
In den einzelnen Texten des Buches mischt Winkler Reportageformen und lyrische Überhöhungen. Die Todesszenen sind in einen Assoziationsteppich hineingewoben, der von den Büchern gemustert ist, die Winkler auf seinen Reisen liest: mal ist es Peter Handke, mal Terezia Mora, mal ein Gedicht von Gerald Zschorsch. Durch diese literarische Grundierung bekommt der Text einen Verweisungscharakter, der alle Erfahrungen in den neu entstehenden Kunstwelten aufzuheben versucht. Winklers Motivnetz ist bei alldem nach wie vor eng und überschaubar, man kann es mehr denn je in einem österreichischen Dorf-Topos verorten. Aber seine Texte sind verblüffend variationsreich, sie erinnern an Jazzimprovisationen über bekannte Standards.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Josef Winkler: Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot
edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2008
125 Seiten, 9 Euro