Flächennutzung am Bodensee

Rohstoffabbau statt Biotope?

07:04 Minuten
Drohnenaufnahme: Die Altstadt von Meersburg am Ufer des Bodensees wird von der Morgensonne angestrahlt.
Bevölkerungswachstum bedeutet auch mehr Flächenbedarf. Doch darum gibt es Konflikte im Bodenseekreis, zu dem auch Meersburg gehört. © picture alliance / dpa / Felix Kästle
Von Thomas Wagner |
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Die Planungen für neuen Kiesabbau sowie Wohn- und Gewerbegebiete in der Boomregion Bodensee-Oberschwaben rufen heftigen Protest hervor. Die Bürger warnen vor Umweltzerstörung. Die Verantwortlichen schieben den schwarzen Peter an das Land weiter.
Vor dem Rathaus in Horgenzell, einer kleinen Gemeinde im oberschwäbischen Landkreis Ravensburg, protestieren vor allem junge Frauen und Männer lautstark gegen Kiesabbau in einem nahe gelegenen Waldstück.
Im Rathaus beraten Bürgermeister und Gemeinderäte aus der Region Bodensee-Oberschwaben über dasselbe Thema, aber mit anderer Zielrichtung: Sie wollen Kiesabbau – und vieles andere mehr.
Genauer gesagt feilen sie an den letzten Details des sogenannten "Regionalplans" für die Region Bodensee-Oberschwaben, erklärt Thomas Kugler, Bürgermeister der badischen Kleinstadt Pfullendorf und Vorsitzender des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben. Dort haben sich die Vertreter des Bodenseekreises sowie der Landkreise Sigmaringen und Ravensburg zusammengeschlossen.
Ihr Auftrag ist, festzulegen, wo in den kommenden Jahren Jahrzehnte neue Baugebiete entstehen sollen, wo Rohstoffe abgebaut werden dürfen und wo die Natur geschützt werden soll. Also eine Art "Langfristkonzept" für eine Region mit mehr als 600.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

7000 Einwände gegen den Regionalplan

In der Endphase der Beratungen über diesen Regionalplan regen sich jedoch Proteste. Auch im gut eine dreiviertel Autostunde von Horgenzell entfernten Salem im Bodenseekreis gibt es eine Bürgerbewegung. Auch dort sollen, so steht es im Entwurf zum Regionalplan, langfristig weitere Gewerbebetriebe angesiedelt werden können.
Dagegen macht Suzan Hahnemann vom Aktionsbündnis "Grünzug Salem" derzeit Front. Der Plan sei, Biotope eines geschützten Grünzugs in ein Industriegebiet zu verwandeln, kritisiert Hahnemann. "Das ist sehr schwierig für Flora und Fauna. Und es ist aber auch ganz besonders wichtig für die klimatische Belüftung des Salemer Tals."
Hier die Proteste gegen den Kiesabbau, dort der Widerstand gegen die Ansiedlung von Gewerbegebieten: 7000 Einwände – eine enorme Zahl – sind gegen den neuen Regionalplan im Raum Bodensee-Oberschwaben eingegangen.

Stark wachsende Region

"Das kann mich natürlich nicht kalt lassen!", sagt Wilfried Franke, als Direktor des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben so etwas wie der "geistige Vater" des vorliegenden Regionalplanes, der auf so viele Widerstände stößt.
Dabei verspüre er alles andere als die pure Lust am Killen von Biotopen oder Wäldern zugunsten von Gewerbegebieten und Kiesgruben, sagt Franke. Aber: "Unser Auftrag lautet gemäß Landesplanungsgesetz: Wir müssen uns um die Flächen für Siedlung, Freiraum, Standorte und Trassen sorgen."
Und das in einer Region, in der die Bevölkerung sehr stark wächst: "Wir haben jetzt 635.000 Einwohner. Und wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten 15 bis 20 Jahren um die 29.000 Einwohner dazu bekommen."
Wachstum bedeutet aber immer auch mehr Flächenbedarf. Regionalverbandsdirektor Wilfried Franke weist darauf hin, dass er und sein Team so wenig freie Flächen wie überhaupt möglich überplant hätten. Nach der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung liege "die Untergrenze bei 225 Hektar. Und wir planen jetzt 120." Das sei nicht einmal die Hälfte, betont Franke.

Reichhaltige Rohstoffvorkommen

Hinzu komme, dass es im Raum Bodensee-Oberschwaben reichhaltige Rohstoffvorkommen wie Kies und Sand gebe. Einem begrenzten Abbau könne und dürfe man sich nicht verschließen.
"Wenn wir sehen, dass wir tatsächlich Wohnungsnot haben – die Kanzlerin hat gesagt, die Wohnungsfrage ist die soziale Frage Nummer eins –, dann kann man das nicht negieren", so Franke. Und Bauen sei ohne Kiese und Sande nicht möglich.
"Selbst wenn sie umweltfreundlich unterwegs sind mit einem Bus, dann fahren sie über eine Brücke, die aus Beton hergestellt ist. Also es kann niemand sagen, dass er das nicht braucht."

Flächenmanager gefordert

Bei den Kritikern des Regionalplans dringt Wilfried Franke mit solchen Argumenten allerdings nicht durch: Es gebe berechtige Zweifel an den Vorhersagen eines derart starken Bevölkerungszuwachses, heißt es da. Und: Die Regionalplaner müssten sich viel intensiver als bisher neuen Voraussetzungen und Instrumenten der Raumplanung bedienen.
Sie plädierten erst einmal für eine Innenverdichtung, sagt Suzan Hahnemann vom "Aktionsbündnis Grünzug Salem". "Wir wollten auch einen Flächenmanager installieren. Wir wissen, dass es im bestehenden Gewerbegebiet noch sechs Hektar Freifläche gibt."
Außerdem müsse in die Planung auch einfließen, "dass durch die Pandemie Homeoffice eine ganz andere Bedeutung bekommen hat, dass Wohnen und Arbeiten wieder mehr zusammen sein wird, dass wir da ganz andere Konzepte brauchen."

Uralter Landesentwicklungsplan

Regionalverbandsdirektor Wilfried Franke hingegen verweist auf einen grundsätzlichen Zielkonflikt, der sich hinter der Auseinandersetzung über den Regionalplan im Raum Bodensee-Oberschwaben verberge:
"Das sind gesamtgesellschaftliche Fragestellungen, die man an viel höherer Stelle diskutieren und entscheiden müsste, also auf Bundesebene und Landesebene." Denn sie seien an vorgegebene Rechtsgrundlagen gebunden, ganz besonders an einen uralten Landesentwicklungsplan aus 2002.
Seinerzeit hatten beispielsweise Klima- und Naturschutz längst noch nicht die Bedeutung von heute. Und deshalb werde es höchste Zeit, solche Belange auch in die Vorgaben für die Regionalplaner einzuarbeiten.
Diese Fragen seien nicht nur Fragen für Bodensee-Oberschwaben, "sondern für ganz Baden-Württemberg, für ganz Deutschland oder sogar für Europa". Umweltrecht sei europäisches Recht. Deshalb müsse das alles auf diesen Ebenen diskutiert werden.
(abr)
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