Das besondere Flair der Pyrenäen
Eines der schönsten Täler von Andorra – die Aussichtsplattform des Mirador Roc Del Quer in den Pyrenäen. © Oliver Neuroth, ARD-Studio Madrid
Steuerparadies in den Bergen
21:22 Minuten
Die Bergkette der Pyrenäen zieht sich auf einer Länge von fast 450 Kilometern zwischen Frankreich und Spanien vom Atlantik zum Mittelmeer. Eine Freude für Ski- und Naturtouristen – und mit Andorra ein Bergidyll inklusive niedriger Steuern.
Spanisch-französischer Grenzverkehr in den Pyrenäen.
Das heißt: Aus weiß wird plötzlich grün. Nach der Ortsausfahrt des Grenzstädtchens Puigcerdà verschwinden auf einen Schlag die spanischen Verkehrsschilder – schwarze Schrift auf weißem Untergrund. Und französische tauchen auf. In welche Richtung es nach Toulouse oder Perpignan geht, steht in weißen Buchstaben auf grünem Untergrund. Doch die Fahrt durch Frankreich dauert nicht einmal drei Minuten, da kommen die spanischen Schilder zurück. Sie gehören zu Llívia, einer Pyrenäen-Exklave.
Llívia gehört zu Spanien, ist aber umgeben von französischem Territorium, erklärt Jordi. Er kommt aus der Nähe von Barcelona und ist mit seiner Frau Rosa auf einer Reise durch die Pyrenäen.
„Ich liebe es hier. Überall stehen Steinhäuser, die sehr typisch sind für die Gegend.“
„Llívia ist einfach ein malerischer Ort, der sich zu besuchen lohnt. Hier steht zum Beispiel die älteste Apotheke Europas. Die sollte man sich als Tourist auf jeden Fall anschauen.“
"Eine kleine spanische Insel in Frankreich"
Pol nennt Llívia eine kleine spanische Insel in Frankreich. Er selbst kommt aus Puigcerdà und arbeitet hier als Tankwart.
Er habe viele französische Kunden, die an seiner Tankstelle Tabak kauften, erzählt Pol. Denn der ist hier in Spanien billiger. Der 1400-Einwohner-Ort Llívia wirkt ein wenig wie eine Mischung aus beiden Ländern. In den Gässchen hört man spanische und französische Wortfetzen, etwa genauso viele Autos mit dem einen und dem anderen Kennzeichen rauschen über die breite Durchgangsstraße.
Doch zu Frankreich bestehe für viele Einheimische eher so etwas wie eine Hassliebe, sagt Jaime. Der 70-Jährige hat sein ganzes Leben in Llívia verbracht. Und kennt die ungewöhnliche Anbindung des Ortes an Spanien bestens.
„Der französische Abschnitt der Straße ist etwas enger, nicht so gut instandgehalten. So ist das eben.“
Grenzkontrollen wegen Corona
Jaime erinnert sich noch gut an die Zeit vor den freien EU-Grenzen. Als er am Ortsausgang von Llívia seinen Pass vorzeigen musste, um die 1,7 Kilometer durch Frankreich zu fahren. Am Ortseingang von Puigcerdà war die nächste Kontrolle, der Wiedereintritt nach Spanien.
„Das war etwas kompliziert. Für Lieferanten zum Beispiel, die die Strecke häufiger fahren mussten. Die Kontrolle war sehr streng.“
Zu Beginn der Corona-Pandemie fühlte sich Jaime in diese Zeit zurückversetzt. Spanien und Frankreich bauten ihre Grenzposten wieder auf. Und diesmal durften die Bewohner nur mit triftigem Grund Llívia verlassen und in den spanischen Nachbarort fahren.
„Wir waren hier quasi eingesperrt. Aber es fehlt uns ja an nichts: Wir haben Geschäfte, gleich zwei Supermärkte, eine Apotheke, eine Bäckerei, man bekommt im Prinzip alles.“
Zwischen iberischer Halbinsel und Resteuropa
Die Pyrenäen trennen die Iberische Halbinsel vom übrigen Europa. Und sie ziehen sich über rund 430 Kilometer. Auf der Südseite liegt Spanien, nördlich Frankreich. Dazwischen befindet sich ein kleines, aber berühmtes Fürstentum: Andorra. Es ist der einzige Staat der Welt, in dem zwei ausländische Amtsträger gemeinsam die Funktion des Staatsoberhauptes innehaben: der französische Präsident und der Bischof von Urgell in Katalonien. Sie sind die Co-Fürsten von Andorra, repräsentieren das Land quasi als Doppelherrschaft.
Der Zwergstaat liegt in einem Hochtal der Pyrenäen, umgeben von etlichen Gipfeln. 65 Berge in Andorra übersteigen die 2000-Meter-Marke. Das lockt im Winter Skiurlauber an und den Rest des Jahres Wandertouristen, wie dieses Paar aus Barcelona.
„Wir haben uns ein paar Tage freigenommen. Wegen der Corona-Krise wollen wir im Moment nicht weit weg verreisen, daher sind wir hierhergekommen. Und erkunden die Berge.“
Die beiden bestaunen den Mirador Roc Del Quer, eine Aussichtsplattform auf Glasplatten. Wer hier steht, muss schwindelfrei sein: Unter den Füßen geht es Hunderte Meter in die Tiefe. Unten liegt eines der schönsten Täler von Andorra, weiter oben reicht der Blick hinauf zu malerischen Berggipfeln.
Eine Boutique neben der nächsten
Aber Touristen kommen nicht nur wegen der spektakulären Natur. Andorra ist auch ein Shoppingparadies. Die niedrige Mehrwertsteuer von 4,5 Prozent macht es möglich. Am Rande der Hauptstadt Andorra La Vella sind in den vergangenen Jahren etliche Outlet-Center entstanden; im Zentrum selbst reiht sich eine Boutique an die nächste. Dazwischen Juweliergeschäfte und Parfümerien.
„Wir sind zum Entspannen hier und um die typischen Andorra-Einkäufe zu erledigen, vor allem Mode. Aber ein paar Ausflüge in die Berge machen wir auch.“
„Na ja, gut, ist halt alles Shopping und so weiter. Parkplätze eng, klein, man muss suchen. Aber sonst schön hier in den Bergen.“
Meint dieser deutsche Urlauber aus Hessen, der auf dem Weg nach Spanien einen Zwischenstopp in Andorra eingelegt hat. Das Fürstentum lebt vom Tourismus. Vor der Pandemie kamen acht Millionen Besucher pro Jahr, Hundert Mal so viele Menschen, wie der Zwergstaat Einwohner hat.
"Wir können problemlos Schulden aufnehmen"
Doch wie alle touristischen Ziele hat auch Andorra unter der Corona-Krise zu leiden, die Zahl der Gäste ist im vergangenen Jahr kräftig eingebrochen. Damit auch die Einnahmen des Staates. Andorras Finanzminister Eric Jover sieht die Lage allerdings nicht allzu finster.
„Klar, wir sind kein Mitglied der Europäischen Union und bekommen daher auch keine Corona-Hilfen aus Brüssel. Wir haben das Glück, dass unsere Haushaltslage dennoch einigermaßen entspannt ist.
Unsere Staatsverschuldung beträgt nur 34 Prozent der Wirtschaftsleistung. In unseren Nachbarländern liegt diese Quote weit über der 100er-Marke. Das heißt, wir können problemlos Schulden aufnehmen, um die staatlichen Leistungen für unsere Bürger sicherzustellen.“
Besserer Zugang zum EU-Markt erwünscht
Aktuell laufen Verhandlungen zwischen Andorra und der Europäischen Union. Es geht nicht um einen Beitritt, vielmehr um einen besseren Zugang zum EU-Markt. Zum Beispiel für die andorranischen Banken.
Denn der Bankensektor ist gemessen an der Größe des Landes riesig. Das Bankgeheimnis hat das Fürstentum vor vier Jahren schon abgeschafft, um sich den europäischen Standards anzupassen. Seit 2020 gehört Andorra zum Internationalen Währungsfonds und ist damit sein jüngstes Mitglied.
Das Land will sich in Zukunft nicht mehr so sehr auf den Tourismus als Einnahmequelle verlassen. Wie schnell das Geschäft mit den Urlaubern stillstehen könne, habe man in der Pandemie eindrücklich gesehen, sagt Eric Jover, als plötzlich die Grenzen geschlossen waren.
„Wir sind ein Staat in den Bergen, Land ist knapp und teuer. Wir werden nie die Schwerindustrie nach Andorra locken können. Aber das wollen wir auch nicht, allein schon wegen der Umwelt. Außerdem wären die Kosten für die Logistik riesengroß. Andorra ist zum Beispiel ein Land, das sich bestens für Telearbeit eignet, also für Homeoffice aus der Ferne.“
Denn die Versorgung mit schnellem Internet sei bestens, versichert der Minister. Außerdem schwärmt er für das gute Gesundheitssystem und natürlich das attraktive Steuermodell. Das Wort „Steuerparadies“ nehmen Regierungsvertreter nicht so gerne in den Mund.
YouTuber und Influencer ziehen nach Andorra
Aber de facto sind die Steuern so niedrig, dass sich vor allem Besserverdiener gerne einen Wohnsitz in Andorra zulegen. Zum Beispiel spanische Influencer und YouTuber. Dass sie vermehrt Andorra ansteuern und dem spanischen Staat dadurch haufenweise Steuern verloren gehen, sorgt seit Monaten für Schlagzeilen.
„Dass die YouTuber zu uns kommen, hat Werbung für uns gemacht. Wir suchen aber keinesfalls Streit mit unserem Nachbarn Spanien.
Wir möchten, dass Europäer – seien es zum Beispiel Spanier oder Deutsche – aus freien Stücken nach Andorra ziehen, mit ihren Familien, mit ihren Firmen. Das sorgt für Reichtum für unser Land und das ist unser Ziel.“
Wer von Andorra aus mit seinen Liebsten in der Heimat auf analogem Wege in Kontakt bleiben möchte, muss sich übrigens auf zwei verschiedene Postsysteme einlassen. Andorra selbst hat keine eigene Post. Daher wickelt die spanische Correos den Versand innerhalb des Fürstentums und nach Spanien ab, die französische La Poste die übrigen internationalen Sendungen, zum Beispiel die nach Deutschland.
Der Traum von einem Flughafen
Eher schlechte Werbung für sich macht Andorra mit seiner Verkehrsanbindung. Hinein und hinaus geht es nur über die Straße. Gerade an Wochenenden kommt es immer wieder zu langen Staus: Ausflügler aus Spanien und Frankreich verstopfen mit ihren Autos die engen Täler.
Seit Jahren will Andorra aus der Luft erreichbar sein. Doch einen Flughafen zu bauen, ist mitten in den Pyrenäen so gut wie unmöglich. Daher kooperiert das Land nun mit seinen Nachbarn Katalonien und will einen Flugplatz dort für sich nutzen. Der kleine Flughafen La Seu D’Urgell, zehn Kilometer von der Grenze Andorras entfernt, hat zusätzlich den Namen „Aeroport Andorra“ verpasst bekommen. Ab Mitte Dezember stellt die spanische Iberia eine Verbindung nach Madrid her – zum großen Umsteigeflughafen, von dem aus Anschlüsse in die ganze Welt möglich sind.
„Das ist eine sehr gute Nachricht, auf die wir Jahre gewartet haben. Ein alter Traum wird wahr. Andorra verbessert seine Anbindung, in diesem Fall über die Luft.“
Freut sich Andorras Wirtschaftsstaatssekretär Eric Bartholomé. Der Politiker hofft, dass die Madrid-Verbindung nur der Anfang ist, dass weitere Ziele hinzukommen. Angedacht sind zum Beispiel Flüge nach Mallorca und nach Lissabon.
"Wir sind hier isoliert in den Pyrenäen"
Die neue Anbindung Andorras sorgt nicht nur in der Politik für große Hoffnung, auch in der Wirtschaft. Joan ist Einzelhändler in Andorra La Vella.
„Diese Nachricht ist wirklich toll. Wir sind hier schließlich isoliert in den Pyrenäen. Die Tickets werden ja schon ab 59 Euro verkauft. Das erscheint mir etwas zu günstig. Aber gut, so kann ich auch mal Madrid besuchen.“
Zurück nach Spanien. 70 Kilometer westlich der Hauptstadt Andorras liegt Sort, ein erst mal unscheinbarer 2000-Einwohner-Ort. Ein Fluss schlängelt sich durch das Städtchen. Die Häuser sind herausgeputzt. Gerade in der Vorweihnachtszeit kommen unzählige Gäste hierher. Denn „Sort“ heißt auf Katalanisch „Glück“. Und genau darauf spekulieren Besucher, die die Verkaufsstelle der staatlichen spanischen Lotteriegesellschaft ansteuern. Dort gibt es auch die Lose für die berühmte Weihnachtslotterie „El Gordo“, die jedes Jahr am 22. Dezember die ganze Nation vor den Fernseher lockt.
„Hier sind schon ziemlich oft Lose für den Hauptgewinn verkauft worden. Wir sind extra von Barcelona aus hierhergekommen. Drei Stunden Fahrt. Nur um hier die Lose zu kaufen.“
40 Lose für die ganze Familie
Und dabei „Sort“, also Glück, zu haben. So sieht der Plan von Jesus und seinen Freunden aus. Manolo ist ebenfalls aus Barcelona angereist, um hier Lose zu kaufen. Er kommt mit 40 Stück in der Hand aus dem kleinen Geschäft.
„Die sind für Freunde, für den Schwager, für den Cousin, für die ganze Familie. 860 Euro habe ich hiergelassen, einen Teil bar und einen Teil mit Karte bezahlt. Ich hoffe, mir geben alle das Geld zurück. Sonst behalte ich die Lose und werde steinreich.“
Die meisten Spanierinnen und Spanier kaufen Zehntellose für die Weihnachtslotterie. Eines kostet 20 Euro. Damit hat man die Chance auf einen Zehntel des Hauptgewinns, das sind 400.000 Euro.
Die Schlange vor dem Losgeschäft ist lang. Denn tatsächlich ist in Sort schon überdurchschnittlich oft „El Gordo“ dabei gewesen. Also ist das Losglück hier wirklich größer als anderswo? Wohl eher nicht. Das Geschäft verkauft einfach überdurchschnittlich viele Lose. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Nummernkombination des Hauptgewinns dabei ist.
Die eigene Sprache als Schatz schützen
Weiter westlich in den Pyrenäen liegt das Val D’Aran. Ein Tal, das aussieht wie aus dem Bilderbuch: Saftig grüne Weiden, die von Wanderwegen gekreuzt werden. Die Sonne spiegelt sich in der Garonne, dem Fluss, der südlich des Val D’Aran entspringt und über Toulouse und Bordeaux in den Atlantik fließt. In der Ferne: knapp 3000 Meter hohe Berge. Blumengeschmückte Balkone an gepflegten Häusern – etwas Alpenidyll schwingt mit. Wäre da nicht das Spanisch, das die meisten Touristen hier sprechen – und vor allem die spezielle Sprache der Bewohner.
„Heute ist ein schöner Tag“, sagt Monica auf Aranesisch, als sie in eine der Bäckereien von Vielha kommt, dem Hauptort des Tals. Sie spricht die Sprache fast immer – mit Familie, Freunden und auf der Arbeit.
„Das ist ein Kulturschatz für die Menschen hier, eine eigene Sprache zu haben. Diesen Schatz sollten wir schützen.“
1700 Menschen sprechen Aranesisch
Bäcker José mag es, wenn seine Kunden ihn auf Aranesisch begrüßen. Aber das sei natürlich keine Pflicht, sagt er.
„Ich spreche mit allen Leuten aus dem Tal Aranesisch. Aber wenn wir ehrlich sind: Es ist eigentlich eine Unterart des Okzitanischen.“
Eine romanische Sprache, die vor allem im südlichen Drittel Frankreichs gesprochen wird, an das das Val d’Aran grenzt. Ein bis zwei Millionen Menschen verwenden das Okzitanische nach Schätzungen im täglichen Leben. Doch im Val D’Aran sprechen nur noch 1700 Menschen Aranesisch. Jusèp Sans ist der Präsident des Instituts für aranesische Studien in Vielha.
Er macht für diese Entwicklung die Einwanderung mitverantwortlich: Tausende Menschen sind in den vergangenen Jahren zugezogen, weil es viele Arbeitsplätze im Tourismus gibt. Das Val d’Aran ist eines der größten und wichtigsten Skigebiete Spaniens.
„All diese Migranten kamen aus südamerikanischen Ländern, aus Rumänien oder den Maghreb-Staaten. Klar, sie sprechen andere Sprachen.
Durch diese Menschen wuchs die Einwohnerzahl im Tal und es sank der Anteil der Menschen stark, die unsere Sprache tagtäglich sprechen. Denn eine kleine Bevölkerungsgruppe, wie wir es sind, kommt mit unserer Sprache natürlich nicht gegen mehrere Tausend Zugezogene an.“
Gegen das Verschwinden der Sprache
Doch nicht nur der Zuzug im großen Stil lässt das Aranesische verblassen – auch familiäre Veränderungen im Kleinen.
„Wenn in einem Drei-Personen-Haushalt, in dem alle Aranesisch sprechen, der Sohn eine Frau heiratet, die nur Spanisch spricht, führt das mittelfristig dazu, dass in diesem Haushalt zu 70 Prozent Spanisch gesprochen wird.
Das belegen Studien, die wir gemacht haben. Dazu kommt es also, wenn sich ein spanisch-sprechender Mensch in einen aranasisch-sprechenden verliebt.“
Auch die Regierung von Katalonien will die spezielle Sprache des Val D’Aran stärken, sie ist schließlich eine der Amtssprachen in der spanischen Region.
So ist gesetzlich festgelegt, dass die Bewohner auch Rundfunk und Fernsehen auf Aranesisch bekommen. TV 3, der Regionalsender Kataloniens, hat ein Studio in Vielha, Catalunya Radio ebenfalls.
Das Leben im Tal ist eine Mischung
José kümmert sich als Radiomoderator um die tägliche Talksendung. Drei oder vier Studiogäste diskutieren eine Stunde lang über ein aktuelles Thema.
„Wir versuchen natürlich zu erreichen, dass alle Aranesisch sprechen. Manchmal kommt es vor, dass nur zwei oder drei Gäste Aranesisch können und einer nur Spanisch oder Katalanisch. Aber diese Mischung drückt ja auch das Leben hier im Tal aus.“
Ein Tal, das gerade einmal doppelt so groß ist wie die Fläche der Stadt Bremen und in dem der größte Ort 5000 Einwohner hat. Aber in dem es eine eigene Sprache gibt. Eine Autostunde weiter heißt es auf Schildern „Willkommen in Aragón“. Die Straßen werden an einigen Stellen etwas enger und die Begleiter um einen herum exotischer.
Der größte Bahnhof Spaniens
Mal kreuzen Kühe den Weg, mal Schafe – und zwar in größeren Gruppen. Natur pur. Irgendwann taucht im Tal des Flusses Aragón schließlich das wohl ungewöhnlichste Gebäude der Pyrenäen auf: ein gigantischer Bahnhof. Der größte Spaniens und der zweitgrößte Europas. Und er gehört zu einem Dorf, in dem gerade einmal 700 Menschen leben: Canfranc, nur wenige Kilometer von der französischen Grenze entfernt.
Der Bahnhof war Anfang des 20. Jahrhunderts als Grenzstation geplant worden: Hier endeten die Züge aus dem französischen Pau und die Verbindungen aus dem spanischen Zaragoza. Passagiere mussten umsteigen, beide Eisenbahnen hatten unterschiedlich breite Gleise. Aber der Riesenbahnhof spielte auch eine Rolle im Güterverkehr, erklärt Historikerin Maria Jesus Sánchez.
„Im Zweiten Weltkrieg wurde von hieraus Kriegsrohstoffe wie Wolfram nach Deutschland befördert. Die Nazis wiederum haben hierher Gold und Geld geschickt. Das belegen einige wissenschaftliche Untersuchungen, auch in Romanen wird davon erzählt. Einige Spione sollen sich hier ebenfalls herumgetrieben haben. Also gibt es Verbindungen zur deutschen Geschichte.“
240 Meter lang mit 365 Fenstern
Ende der 1940er-Jahre war Schluss mit dem Eisenbahnfernverkehr in Canfranc, seit den 70er-Jahren ist die Strecke auf französischer Seite unterbrochen. Bald wurde klar: Der Bahnhof mit seinem 240 Meter langen Hauptgebäude mit 365 Fenstern war völlig überdimensioniert. Heute ist er ein Anziehungspunkt für Eisenbahnliebhaber. Luis aus Zaragoza steht vor dem imposanten Gebäude, das den Glanz früherer Zeiten allerdings verloren hat.
„Über die Zeit ist der Bahnhof verfallen. Aber in den letzten Jahren ist die Fassade komplett saniert worden, eine Hotelgruppe will das Gebäude zu einem Fünf-Sterne-Hotel machen. Wir zweifeln etwas, ob sich ein Fünf-Sterne-Hotel hier in der Gegend lohnt. Ich persönlich befürchte, dass das nicht funktioniert.“
Auf den Gipfeln in der Nähe liegen Wintersportorte. Doch die Skifahrer steigen in der Regel gleich dort ab, nicht in Canfranc. Im Rest des Jahres kommen in die Gegend vor allem Wanderer, keine typischen Fünf-Sterne-Touristen. Das meinen auch Domingo und Carmen, die mit Wanderrucksäcken am neuen, deutlich kleineren Bahnhof von Canfranc stehen. Sie sind Fans der Pyrenäen.
„Es ist so schön hier, die tollen Wälder, die Berge. Wir haben das Glück, gar nicht so weit entfernt zu wohnen, das nutzen wir aus.“
„Das Einzige, was mich stört: In dieses Tal kommt die Sonne kaum hinein. Es gibt Pyrenäen-Täler mit mehr Sonne. Die Berge rund um den Ort sind einfach zu steil.“
Doch das ist Kritik auf sehr hohem Niveau, gibt Domingo später selbst zu. Die Landschaft der Pyrenäen ist einmalig. Und die Geschichten, die diese Bergkette zu bieten hat, sind es auch.