Ganz viel Tanz
Es war ein hohes künstlerisches Niveau, das beim ersten Flamenco-Festival in Berlin zu erleben war. Schwergewichte des Genres waren aus aller Welt in die deutsche Hauptstadt gekommen. Da schadete es auch nicht, dass die Macher beim Programm auf Nummer sicher gingen.
Trotz weniger Worte ein nachdenklich klingendes Stück: Orobroy – "Gedanke" in Caló, der Sprache der spanischen Gitanos. Komponiert und gespielt vom Pianisten David Peña Dorantes. Der zwischen Flamenco, Jazz, Klassik und vielen weiteren musikalischen Welten elegant wandelnde, international gefeierte Andalusier bescherte mit der ebenso weltgewandten Tänzerin Leonor Leal gestern dem Berliner Flamenco-Festival ein würdevolles Finale.
Die Vorfahren von Dorantes, der einer musikalisch schwergewichtigen Zigeunerdynastie entstammt, haben sehr wahrscheinlich die Anfänge des Flamenco vor 200 Jahren mitgeprägt. Da ist sich Manuel Moraga recht sicher. Der Flamenco-Experte und Radiojournalist ist Vorsitzender von "Flamenco en el Mundo". Die spanische Assoziation, maßgeblicher Organisator des neuen Festivals, will dem Flamenco als vor allem szenische Kunst weltweit entsprechende Aufführungsorte und Aufmerksamkeit verschaffen. Nach St. Petersburg und Dublin steht Berlin auf der Agenda der Spanier.
"Seit langem hat Berlin, hat Deutschland eine enorme Bedeutung für den Flamenco. Die besten Künstler frequentieren schon seit Jahrzehnten dieses Land: Paco de Lucía, der Tänzer Toni El Pelao trat hier unzählige Male auf. Man hat mir viele Anekdoten erzählt von seinen Besuchen hier. Deutschland erscheint mir also ein zentrales Land zu sein, was die Entwicklung des Flamenco in Europa angeht."
Staatliche Finanzierung eingeheimst
Die spanischen Flamenco-Förderer gingen unter anderem mit Hilfe staatlicher Finanzierung ans Werk – die Fördertöpfe sind im Krisenland Spanien offenbar nie wirklich leer – gemeinsam mit Berlins Instituto Cervantes sowie den Flamencos vor Ort. Vorneweg Michael Schuldt, der mit Vertretern der lokalen Szene einen der insgesamt sechs Festivalabende gestaltete. In DDR-Zeiten von der Tänzerin und Schauspielerin Almut Dorowa Ballhaus in Leipzig ausgebildet und schon damals vom Flamenco infiziert, war Schuldt auch viele Jahre der künstlerische Leiter des einstigen Berliner Festivals.
Während man in der damaligen Bundesrepublik schon ab Mitte der 60er Künstler wie Paco de Lucía live erleben konnte, herrschte in der DDR auch diesbezüglich große Ahnungslosigkeit. Erst Carlos Sauras Film "Carmen" entfachte die ganz große Begeisterung – und zwar auf beiden Seiten der Mauer. Als die fiel, fanden zumindest die deutsch-deutschen Flamenco-Welten leicht zusammen, wie der Tänzer und Tanzlehrer erinnert.
"In den 90er Jahren passiert eben auch auf der Ostseite eine große Bewegung durch Almut Dorowa Ballhaus, die erst mit 63 Jahren wieder als Dozentin an der Leipziger Ballettschule zu unterrichten und auch eine Amateurgruppe in Berlin kreierte und daraus ein - man kann sagen - Pan-Flamenco entstand. Wir hatten nie Flamenco gesehen, nur Almut Dorowa wusste, um was es geht. Wir hatten nur Schallplattenaufnahmen, und daraus entwickelte sich Flamenco. Mit dem Mauerfall passierte hier zu dem Impuls, der Film "Carmen", der in Ost und West gezeigt wurde, eine unwahrscheinliche Energie, daraus was zu entwickeln. Daraus entstand das Festival, das waren Begründer aus Ost und West, die das entwickelt haben."
"Events wie dieses beleben die Szene"
Neben Deutschlandpremieren, wie die von Rosario La Tremendita, einer jungen musizierenden und komponierenden Cantaora, fanden sich im hochkarätigen, rein spanischen Line-Up dieser ersten Ausgabe von "Flamenco Berlín" auch Deutschland-kundige Künstler. Der Madrider Antón Jiménez, herausragender Vertreter der jüngeren innovativen Gitarristengeneration, geht von der Scholle des Flamenco aus über alle nur denkbaren Genre-Grenzen. Der Enddreißiger kommt dabei gut durch die Welt, und schon seit langem offenbar besonders gerne in unsere Breiten. Schon jetzt schwärmt er von der Aussicht, sein nächstes Projekt sowohl in Spanien wie auch in Deutschland uraufzuführen.
"Ich gehöre schon zur vorigen Berliner Festivaletappe, trat dort 2004 mit einer großen Gruppe auf. Darunter waren auch deutsche Musiker des zeitgenössischen Jazz, mit denen ich auch deutsche Klassik spielte. ...und eben Musiker, die mit mir aus Spanien anreisten. Ich bin schon etliche Jahre mit diesem Land verbunden. Und Events wie dieses beleben einfach die ganze Szene. Ich stoße hier auf ein sehr schönes musikalisches Verständnis, man schaut etwas weiter als vielleicht in anderen Ländern. Zumindest was die Flamenco-Gitarre angeht - für die, als Konzertinstrument, mache ich mich stark. Man sprach bei der Pressekonferenz davon, dass das Festival vor allem mit den Tanzfans rechnete. Ich kann das - zumindest für Berlin nicht bestätigen, dort kam das Publikum auch stets mit Interesse und großer Begeisterung für die Gitarristen."
Der Tanz als weltweit verständliches Exportgut
Tatsächlich wollten die aus Spanien angereisten Festivalmacher bei diesem ersten Neuversuch in der deutschen Hauptstadt, nach eigener Aussage, ein wenig auf Nummer sicher gehen. Und fokussierten daher den Tanz, der noch immer gemeinhin als stärkstes, weltweit verständlichstes Flamenco-Exportgut verstanden und gehandelt wird. Und das, obwohl Vertreter der anderen beiden Künste – des Cante und des Toque, also des Spiels der Gitarre sowie neu hinzugekommener Instrumente – längst ebenfalls weltweit triumphieren. Doch der zeitgenössische Flamenco-Tanz - wie dieser Tage in Berlin zu erleben – agiert ja gerne im Verbund mit innovativen Musikern und Sängern. Insofern dürften die aufgeschlossenen Liebhaber der Musik wie des Tanzes gleichermaßen auf ihre Kosten gekommen sein. Bleibt zu hoffen, dass das Festival bei einer weiteren Ausgabe dieses hohe künstlerische Niveau zu halten vermag, sowie auch die lokalen bzw. auch andere nichtspanische Entwicklungen noch stärker einbezieht.