Flamenco

Mehr als Olé und bunte Rüschen

Camilla, wife of Britain's Prince Charles (2ndR) and the Duchess of Alba (R) watch the dancer Cristina Hoyos' (L) flamenco performance during the first official visit to Spain, on April 1, 2011, in Seville.Charles and Camilla -- officially the Prince of Wales and the Duchess of Cornwall - arrived in Madrid on Wednesday from Portugal as part of a three-nation tour that will also take them to Morocco.
Flamencotänzerin tanzt vor Camilla, der Ehefrau des britischen Prinzen Charles © AFP PHOTO / CRISTINA QUICLER
Von Brigitte Kramer |
Andalusien sei die Mutter, Madrid die Hebamme, die Ausgeburt ist der Flamenco - ein 200 Jahre alter Tanz. Entstanden ist der Flamenco in den Armenhütten Andalusiens, galt als "unmodern", erlebt aber inzwischen in Madrid eine Renaissance.
Auch heute liebt die Madrider Jugend den Flamenco. Wer die Künstler von morgen treffen will, besucht die Casa Patas. Das dreistöckige Haus steht im Herzen der Hauptstadt. Unten ist ein Restaurant mit Livebühne, oben lernen 130 Schüler die Kunst des Cante jondo, des so genannten tiefen Gesangs, tief, weil er aus der Seele kommen soll. Oder sie lernen andere Ausdrucksformen des Flamenco, Tanz, Gitarre, Perkussion. Nicht nur Spanier üben und trainieren hier, die Schüler kommen auch aus Korea, Venezuela oder Kanada. Einer davon ist Sergio Sánchez.
"Also, ich spiele Gitarre, noch nicht professionell, ich bin Halbprofi, sagen wir. Ich wäre gerne Gitarrist, aber zum Leben reicht das nicht, ich muss mir noch mein Brot woanders verdienen. Ich arbeite in der Stierkampfarena und in einem Studentenwohnheim. Das sind Jobs, die mir Zeit lassen für die Musik. So komme ich meinem Ziel immer näher. Irgendwann will ich vom Flamenco leben. Er ist eine Lebensform, eine Art, sich auszudrücken, ein ganz besonderes Gefühl, wie ein Zauber."
Dieser Zauber ist besonders gut in der Altstadt von Madrid zu spüren. In den engen, mit Kopfstein gepflasterten Gassen ist die Szene groß und lebendig. Die Musikbühnen füllen sich an den Wochenenden, vor oder nach den Vorstellungen isst man ein paar Tapas, unterhält sich lauthals auf dem Bürgersteig.
Es gibt Tanzkompagnien, Tourneeveranstalter, Agenten. Rund ein Dutzend Musikbühnen, so genannte Tablaos, bieten mehrmals die Woche Live-Shows. Dazu kommen Theater und Festivals. Es gibt Gitarrenbauer, Schuster, Schneider, kleine Familienbetriebe, die sich auf Tanzschuhe und Bühnenkleidung spezialisiert haben.
"Wenn es eine Gruppe gibt, die sich für den Flamenco stark gemacht hat, dann waren es die andalusischen Auswanderer, die Verstoßenen, die Schwächsten von allen. Viele siedelten sich hier an, in Arbeitervierteln wie Vallecas, andere zogen nach Bilbao, Barcelona oder in andere Städte Europas. Aber hier, in Madrid, entwickelte sich der Flamenco am stärksten. Hier wurde aus einer mehr oder weniger interessanten Volkskunst eine Bühnenkunst."
Erzählt Joaquín San Juan, Leiter der renommierten Flamencoschule Amor de Dios, die auch im Zentrum von Madrid, im zweiten Stock einer Markthalle untergebracht ist. Der 64-Jährige ehemalige Programmierer war früher selbst Mitglied in einem dieser Fanclubs in Vallecas, obwohl San Juan kein Andalusier ist, was schon sein Äußeres verrät. Der große Mann mit den hellblauen Augen stammt aus Nordspanien. Erst in Madrid entdeckte der ehemalige Informatiker seine Leidenschaft.
Sänger Camarón de la Isla: Größter Flamenco-Künstler
"Ich bin kein geborener Flamenco-Fan, mir wurde das nicht in die Wiege gelegt. Ich habe ihn erst später entdeckt, so mit 25, 26, vorher störte mich diese Musik sogar. Aber von da an habe ich mir alle möglichen Fragen gestellt, existenzielle Fragen. Es war die Zeit des Neuen Flamencos. Damals schloss ich die Kunst in die Arme und habe, sagen wir, 80 Prozent davon verinnerlicht. Ich glaube, sie hat mich so tief getroffen, weil ich enttäuscht war, enttäuscht von der jungen Demokratie. Ich hatte wie viele junge Spanier damals gegen die Diktatur von Franco gekämpft. Als dann die Wende kam, wurde mir schnell klar, dass sich nicht viel ändern würde. Man durfte zwar protestieren und so weiter, aber die neuen Machthaber nahmen die Demokratie nicht wirklich ernst. Das denke ich übrigens heute noch."
San Juans Äußerungen zeigen beispielhaft, wie sich der Flamenco im Lauf der Jahre von der Musik der Armen aus dem Süden zur Ausdrucksform auch von Akademikern und Angehörigen der Mittelschicht entwickelt hat.
Als Musiker waren es Camarón de la Isla, Paco de Lucía oder Enrique Morente, die das Genre erneuerten und mit neuen Rhythmen und Instrumenten experimentierten. Sie mischten Flamenco mit Jazz, Blues oder Rock.
Der Sänger Camarón de la Isla, geboren 1950 im andalusischen Cádiz, gestorben 1992 bei Barcelona, wird bis heute als der größte Flamenco-Künstler verehrt. Er stammt aus einer armen Gitano-Familie, einer spanischen Untergruppe der Roma, in der Flamenco fester Teil des Lebens war.
Mit fünf Jahren tritt er zum ersten Mal auf und trägt fortan mit seiner Musik zum Unterhalt der neunköpfigen Familie bei. Mit 16 zieht er nach Madrid, wo er schnell berühmt wird. Gleichzeitig bekommt er Probleme mit dem Gesetz: er nimmt Drogen, auch Heroin und wird abhängig. Camaróns früher Tod mit 41 Jahren, der Stolz auf seine ethnische Zugehörigkeit, sein Charisma und sein Talent machen ihn bis heute zur Identifikationsfigur, besonders für Spaniens Gitanos.
Eine Flamencotänzerin auf einem Festival - im Hintergrund spielen Musiker. Das Show ist in Madrid.
Eine Flamencotänzerin auf einem Festival in Madrie - im Hintergrund spielen Musiker© Imago / GranAngular
Begleitet wurde Camarón von Paco de Lucía. Seine Karriere beginnt ebenfalls früh, mit elf Jahren und endet abrupt, Anfang dieses Jahres, als er am Strand von Mexiko mit 66 Jahren einem Herzinfarkt erliegt. Zwölf Jahre lang hat er Camarón an der Gitarre begleitet, bevor er seine eigene Karriere aufbaut und die Flamenco-Gitarre als Soloinstrument etabliert. Er arbeitet mit Jazzgitarristen wie Al di Meola oder John McLaughlin zusammen. Seine letzten Jahre verbringt der abseits der Bühnen und Studios. Nach 38 Alben und einem Leben auf Tournee, wollte er im Alter Ruhe, sagte er vor drei Jahren im spanischen Fernsehen.
"Ich halte mich von allem fern, was mich an die öffentliche Figur Paco de Lucía erinnert. Ich suche Frieden, Ruhe und Gelassenheit, Dinge, die mit der Figur nicht vereinbar sind. Ich habe mich 20 Jahre lang immer auf die Ferien gefreut, um endlich in meinem Haus am Strand von Yucatán zu sein. Ich brauche nur wenig zum Leben. Wenn es nach mir ginge, läge ich den ganzen Tag herum. Ich bin sehr träge. Das Problem sind die Verpflichtungen, und dann gehe ich eben wieder auf Tournee, besser gesagt, ich werde auf Tournee geschickt."
Der 2010 verstorbene Enrique Morente - auch er hat sich dem zeitgenössischen Flamenco verschrieben - lotet die Grenzen des Genres aus. Er inszeniert Konzerte mit Texten von Miguel de Cervantes oder Federico García Lorca (sprich Federiko Garthiia Lorka). Er komponiert Messen, interpretiert Songs von Leonard Cohen, vertont Gedichte von Picasso, tritt mit Rockbands und einem bulgarischen Frauenchor auf. Ein Jahr vor seinem Tod sagt er der spanischen Tageszeitung "El País":
"Ich liebe die Tradition, ja, aber gleichzeitig langweilt mich der Gedanke, wie unsere Großväter zu singen. Meine Arbeit mit Künstlern anderer Sparten hat den Flamenco einem neuen Publikum geöffnet. Ich habe keine Angst vor dem Risiko, Extreme faszinieren mich. Ich habe immer das getan, was ich in mir fühlte. Wenn das als innovativ gilt, dann ist es reiner Zufall."
Musiker wie Morente, Camarón und Paco de Lucía haben den Flamenco weltweit bekannt gemacht. Seit 2010 steht er unter Unesco-Schutz, gilt als immaterielles Erbe der Menschheit. Ein Zeichen internationaler Anerkennung, die im eigenen Land noch fehle, beklagen die Betreiber der Flamenco-Schule Casa Patas. Martín Guerrero:
"Der Flamenco bräuchte viel mehr öffentliche Unterstützung. Wir warten noch darauf, dass die Unesco-Auszeichnung den spanischen Politikern endlich die Augen öffnet. Die Institutionen haben den Flamenco so gut wie vergessen. Dabei ist er ein wichtiger Teil unserer Kultur. Sie sollten ihm mehr Aufmerksamkeit schenken und aktiver fördern. Wir Spanier sagen immer: Wäre der Flamenco französisch, dann könnte man ihn sicher an der Sorbonne studieren."
Seine Kollegin Begoña Fernández schildert die Lage für angehende Flamenco-Künstler.
"Wenn ein Flamencotänzer, -sänger oder -gitarrist einen vom Kulturministerium anerkannten Abschluss haben will, muss er auf eine staatliche Musikhochschule gehen. Dort lernt er dann alle möglichen Disziplinen, klassischen und spanischen Tanz, Volkstänze und so weiter. Das Ministerium müsste Flamenco endlich als unabhängigen Stil mit eigener Identität anerkennen und offizielle Abschlüsse erteilen, ohne dass man sechs Jahre auf ein Konservatorium gehen muss. Wir exportieren Flamenco in die ganze Welt. Im Ausland ist er bekannt und hoch geschätzt, viel höher als hier in Spanien."
Heute ist Flamenco Musik und Tanz für Intellektuelle
Ein guter Flamencokünstler muss nicht nur ausgefeilte Technik und Rhythmusgefühl haben. Er sollte auch möglichst viele der rund 50 Palos, der Stile beherrschen, die nach Rhythmus, geographischer Herkunft, Charakter und Ausdrucksform unterschieden werden. Und dann braucht er für den Erfolg dieses gewisse Etwas. Eine mysteriöse Kraft, eine unerklärliche Magie, die Eingeweihte den Duende nennen. Er kann ein Flamencokonzert zu einem unvergesslichen Erlebnis machen.
"Es ist eine Bühnenkunst, die sich mit den großen Themen der Menschheit auseinandersetzt, mit Tod, Gnade, Mut oder Mitleid. Der Flamenco idealisiert all das nicht, er ist eine sehr bodenständige Kunst. Für die Unterdrückten ist Liebe nie ideal. Wer sich verliebt, hat verloren. Flamenco ist die Vision eines Menschen, der alleine ist. Er öffnet sich komplett, zeigt sein Inneres, holt das Gute und das Schlechte hervor, das Bunte und das Dunkle, und kann all das künstlerisch ausdrücken. Ohne Lügen."
Flamenco – Die hohe Kunst des ehrlichen Ausdrucks. Das hat nichts damit zu tun, was an Spaniens Küstenorten, hunderte Kilometer von Madrid entfernt, jahrzehntelang den Touristen vorgesetzt wurde und ein falsches Bild geprägt hat, sagt Musikkritiker Juan Verdú:
"Das mit den Frauen, die auf dem Tisch tanzen und dabei die Unterhose zeigen, das ist zum Glück lange vorbei, all dieses Kastagnettengeklapper, die Nelken im Haar, die Fiesta - das war ein großes Missverständnis. Ich nenne das Pseudoflamenco. Franco hat das für sich genutzt, man wollte den Touristen gefallen. Mit Flamenco hat das aber nichts zu tun. Flamenco, das ist heute Musik und Tanz für Intellektuelle."
Die japanische Tänzerin Eiko Takahashi (M.) nimmt an der Flamenco-Aufführung "Eiko und die kleinen Kirschen aus Japan" am Chumbera Theater in Granada teil. Eiko Takahashi lebt seit über 30 Jahren in Spanien. (13.05.2011)
Die japanische Tänzerin Eiko Takahashi (M.) - Flamenco ist ein weltweit bekannter Tanz© dpa/ picture alliance / Miguel Angel Molina
Juan Verdu, Joaquin San Juan, Sergio Sánchez – sie alle sind eingefleischte Anhänger des Flamenco. Auch der Sänger Carmelo García gehört dazu, der an der Casa Patas studiert.
"Ich arbeite als Verkäufer. In meiner Freizeit singe ich, gehe mit Freunden zu Konzerten, höre Aufnahmen, um zu lernen, um den Flamenco besser zu verstehen. Ich liebe Flamenco mehr als mein Leben, alles gefällt mir daran, der Rhythmus, der Tanz, die Lieder. Ich tue nichts lieber als singen."
Dann betritt Carmelo die kleine Schulbühne. Er trägt einen Martinete vor, einen jener melancholischen Rhythmen, die Schmiede in Andalusien entwickelt haben, zum Klang des Eisenhammers. Er setzt sich auf einen Holzstuhl und schließt die Augen. Mit vor der Brust geballter Faust singt er:
"Ich bin nicht mehr der, der ich war, und auch nicht der, der ich sein sollte. Ich bin ein kleines Möbel aus Traurigkeit, abgestellt an der Wand. Als Gefangener in Cádiz setzte ich mich auf meinen Seesack und begann zu grübeln, und fühlte nicht, was mit mir geschehen war sondern das, was mir noch passieren würde."
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