Spott über den verkrampften Diskurs der Integration
Die Niederlande und Flandern, der flämische Teil Belgiens, bestreiten in diesem Jahr den Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse. Mehr als 400 übersetzte Titel kommen auf den deutschen Markt - viele mit aktuellen Themen von Integration bis Gewalt des Populismus.
Flandern und die Niederlande liefern pünktlich zur Saison und sie liefern viel. Man taumelt geblendet von Titel zu Talent, vor allem um Jüngere soll es gehen bei diesem zweiten Gastlandauftritt der Flamen und Niederländer. Aber was ist relevant in diesem Überfluss? Das sind im Besonderen die Sachbücher und Romane, die kritisch Anstoß nehmen. Und ihre Themen sind aktuell: Flüchtlingsschicksal und Krise der Demokratie, islamistischer Terror und die Gewalt des Populismus, Migration und Integration.
Zunächst zu den Romanen: Die Selbstwerdung in einer fremden Welt war schon immer ein tragender Impuls der modernen Literatur. So ist das auch bei jungen Autoren aus Migrationsgesellschaften. Zum Beispiel im Romandebut des belgischen Autors Fikry el Azzouzi mit dem Titel "Wir da draußen". Das ist eine rasante und sprachwitzige Road Novel über eine Clique junger Outsider marokkanischer Herkunft. Ein Zitat aus dem Roman:
"Karim heißt eigentlich Kevin. Er ist das einzige Weißbrot von uns. Warum er mit den Drarries loszieht? Weil er sich bei uns gut fühlt. Karim ist bei uns eine Minderheit, und deshalb übernimmt er die meisten Angewohnheiten von der Mehrheit. Das nennt man Integration."
Drarries sind die Marokkaner, Weißbrote die weißen Belgier - allerdings übernimmt das "Weißbrot" Kevin alias Karim nicht die Angewohnheiten der Drarries. Während sie, die Mehrheit im Milieu, sich mit sexuellen Nöten, Geldmangel und Drogen herumschlagen, besorgt er, der Konvertit, am Ende die Tickets für den Dschihad. Die Szenerie erinnert deutlich an Brüssels multiethnischen Stadtteil Molenbeek, wo der Schriftsteller Fikry el Azzouzi selbst lebt.
Die Gabel links - damit beginnt Integration
Marokkanische Wurzeln hat auch der Amsterdamer Debutant Mano Bouzamour. Sein Held und Alter Ego Sam alias Samir aber scheitert nicht an der weißen Mehrheit, sondern zieht sich praktisch am eigenen Zopf aus dem Sumpf, sprich aus der Krise der Identität. Er spielt genial Klavier, erobert die Herzen reicher Töchter auf dem Gymnasium und kontaktiert die höheren Sphären im Edelrestaurant:
"Die Gabel in die linke Hand zu nehmen widerstrebte mir. Aber was soll's, ich strengte mich an, irgendwo muss die Integration ja anfangen."
Die Erzähler in diesen Büchern machen sich gerne lustig über den verkrampften Diskurs der Integration. Dabei gelingt es ihnen sehr wohl, die Leser für ihre Protagonisten und Probleme zu interessieren und die Horizonte der Wahrnehmung zu öffnen. Das stellt sich die Frage, ob man hier etwa von einer Literatur der Integration sprechen könnte:
"Ich denke, das ist problematisch. Littérature integrée, das insinuiert, dass eine Littérature integrée nicht etwa eine Littérature engagée sein könnte. Dabei gibt es gerade viele Autoren mit Migrationshintergrund, die sehr engagiert schreiben."
David Van Reybrouck hat Recht - Engagement und eine Literatur der Integration schließen sich überhaupt nicht aus, im Gegenteil. Und die jungen Autoren mit Migrationshintergrund werden auch nicht etwa in einem marktkonformen Kästchen entsorgt, sondern finden sich in bester Gesellschaft.
Weltfremde Berufspolitiker
Zum Beispiel in der von Dola de Jong: Die in Arnheim geborene jüdische Autorin beschreibt in ihrem Roman "Das Feld in der Fremde" von 1945, wie jüdische Flüchtlinge in Marokko stranden. Oder in der Gesellschaft von Hugo Claus. Der thematisiert in seinem großen Epos "Der Kummer von Belgien" das Verhältnis von deutschen Besatzern und katholischen Dorfbewohnern, auch dies ein Drama im weiten Feld des misslungenen Kulturkontaktes. Nebenbei vergegenwärtigt Hugo Claus mit wenigen Sätzen den ewigen Sumpf des Populismus. Mit seiner Romanfigur "Tante Mona" ist er brandaktuell:
"Ich würde die Sache schon schaukeln. Erst mal an die Wand mit allen Roten, die in Spanien waren und dort die Priester massakriert haben. Und alles Kapital, das in den Händen von Fremden und Freimaurern ist, beschlagnahmen und gerecht unter den Leuten verteilen, die für ihr tägliches Brot arbeiten."
An diese Denkweise appellieren heute die rechten Populisten in ganz Europa. Der bereits genannte David Van Reybrouck hält ihren wachsenden Einfluss für das Zeichen einer gefährlichen Krise der Demokratie. In seinem aktuellen Buch "Gegen Wahlen" sucht er die Gründe im Scheitern der repräsentativen Demokratie, weil - etwas verknappt ausgedrückt - die Berufspolitiker zu weltfremd geworden seien. Van Reybrouck plädiert für eine neue Form deliberativer Demokratie.
Ebendies tut auch der belgische Psychotherapeut und Autor Paul Verhaege in seinem Buch "Autorität und Verantwortung". Und das hört sich ganz plausibel an: Deliberative Demokratie beruht auf der zeitweiligen und direkten politischen Mitbestimmung ausgeloster Bürger, und dazu würden selbstverständlich auch Flüchtlinge zählen.