Flannery O'Connor:
"Keiner Menschenseele kann man noch trauen. Storys"
Aus dem amerikanischen Englisch von Anna Leube und Dietrich Leube
Arche Verlag, Hamburg 2018
347 Seiten, 22,00 Euro
Düstere Geschichten aus dem engstirnigen Amerika
Gottesfürchtig, selbstgerecht und niederträchtig - in zehn Storys erzählt Flannery O'Connor von den Menschen ihrer Südstaaten-Heimat. Die Geschichten stammen aus den 1950er-Jahren und wirken doch wie ein Sittengemälde aus dem Trump-Amerika.
"Die Großmutter wollte nicht nach Florida." Mit diesem Satz beginnt der Band mit zehn – neu übersetzten – Storys von Flannery O’Connor. Hätte doch nur irgendjemand auf die alte Dame gehört. Aber Sohn und Schwiegertochter und die Enkelkinder wollen unbedingt über die Landesgrenzen hinaus fahren. Und dort nimmt das Unheil seinen Lauf. "Ein guter Mensch ist schwer zu finden" – so lautet der Titel dieser Geschichte, die heiter und leicht daher kommt und in einer unfassbaren Düsternis und Gewalt endet. Man erholt sich nach der Lektüre nur langsam.
Flannery O'Conners Protagonisten in "Keiner Menschenseele kann noch trauen" sind selten sympathisch oder freundlich, sie sind stark im Glauben und in der Angst vorm Fremden. Früher waren die Verhältnisse besser, die Straßen sicherer, die Menschen gottesfürchtiger - und Amerika war groß und unangefochten:
Flannery O'Conners Protagonisten in "Keiner Menschenseele kann noch trauen" sind selten sympathisch oder freundlich, sie sind stark im Glauben und in der Angst vorm Fremden. Früher waren die Verhältnisse besser, die Straßen sicherer, die Menschen gottesfürchtiger - und Amerika war groß und unangefochten:
"Die alte Dame sagt, ihrer Meinung nach sei allein Europa schuld an den jetzigen Verhältnissen. Sie sagte, so, wie Europa sich aufführe, könnte man denken, wir seien aus Geld gemacht, und Red Sam sagte, es sei zwecklos, darüber zu reden, sie habe vollkommen recht."
Immer wieder kommt es einem bei der Lektüre dieser großartigen Geschichten aus den 1950er-Jahren so vor, als sei hier von der Gegenwart die Rede, vom Trump-Amerika, wie wir es aus Nachrichten und Berichten kennen.
Ein literarisches Erweckungserlebnis
Flannery O'Conner zu lesen, das bedeutet aber auch und vor allem sich einem literarischen Erweckungserlebnis auszusetzen, denn diese katholische Südstaatenautorin beschreibt meisterhaft, mit düsterer Ironie und beißendem Sarkasmus die ordentlichen, gottesgläubigen Menschen ihrer Heimat. Sie werden betrogen und hintergangen, kein gnädiger Gott steht ihnen zur Seite. Alle menschliche Niedertracht kommt in diesen Geschichten vor: Eine kluge junge Frau, die sich wegen ihrer Behinderung eigentlich schützt vor den Annäherungsversuchen ihrer Mitmenschen, lässt sich schließlich doch auf einen jungen Mann ein und wird unfassbar getäuscht. Er hatte es nur auf ihr Holzbein abgesehen. Eine Plantagenbesitzerin ist froh über den osteuropäischen Flüchtling, der so viel fleißiger arbeitet als ihre schwarzen Angestellten und sieht am Ende doch nur die Bedrohung, die der Fremde darstellt. Ein Vater opfert aus lauter - heute würde man sagen - "Gutmenschentum" seinen eigenen Sohn, weil er einem Jungen aus armen Verhältnissen unbedingt helfen will.
Flannery O'Conner - die an einer unheilbaren Krankheit litt, zurückgezogen auf einer Farm mit ihrer Mutter lebte, Geflügel und Pfauen züchtete und mit 39 Jahren starb - erzählt von ebenso selbstgerechten wie verzweifelten Menschen, von Rassisten und bigotten Christen, von abgrundtiefer Gemeinheit und Bösartigkeit. Und von einer göttlichen Gnade, die es trotz allem und für wenige Augenblicke gibt: Da ist die eine Mutter, die ihre behinderte Tochter an einen Landstreicher verheiratet, die andere, die allem kindlichen Abscheu zum Trotz nicht aufhört, es zu lieben. Dass und wie sehr auch böse und beschränkte Menschen das Zeug zum literarischen Helden haben, ist nicht die schlechteste Lektion dieser Geschichten.
Flannery O'Conner - die an einer unheilbaren Krankheit litt, zurückgezogen auf einer Farm mit ihrer Mutter lebte, Geflügel und Pfauen züchtete und mit 39 Jahren starb - erzählt von ebenso selbstgerechten wie verzweifelten Menschen, von Rassisten und bigotten Christen, von abgrundtiefer Gemeinheit und Bösartigkeit. Und von einer göttlichen Gnade, die es trotz allem und für wenige Augenblicke gibt: Da ist die eine Mutter, die ihre behinderte Tochter an einen Landstreicher verheiratet, die andere, die allem kindlichen Abscheu zum Trotz nicht aufhört, es zu lieben. Dass und wie sehr auch böse und beschränkte Menschen das Zeug zum literarischen Helden haben, ist nicht die schlechteste Lektion dieser Geschichten.
Übersetzung ohne Sprachmoralverdikte
Und: Dass und warum die Übersetzer sich zum Glück nicht aus aktuellen Sprachmoralverdikten dazu haben hinreißen lassen, die Sprache und Begriffe der Autorin zu verändern, wird am Ende des Bandes erklärt – und sollte eine zusätzliche Lektion für die politisch Selbstsicheren unserer Tage sein:
"O'Conners Sprache zu zensieren würde unterstellen, dass wir deren Anstößigkeit besser verstünden als sie selbst, oder auch, dass heutige Leser empfindlicher wären als O'Conners ursprüngliche Leser. Wir haben keinen Grund zu dieser Unterstellung, zensieren O'Conners Sprache daher nicht und warnen die Leser dieses Buchs: Sie mögen stellenweise die Sprache anstößig finden; genau so sollte es sein."