Flaschenpost aus der Vergangenheit

Rezensiert von Ursula März |
Lytton Strachey gehörte zum so genannten Bloomsbury-Kreis, jener kleine Intellektuellenzirkel in London, dem auch Virginia Woolf angehörte. Strachey kritisierte die Irrwege des englischen Imperiums. Sein Essay "General Gordons Ende" untersucht das Scheitern eben dieses Generals im Sudan, das erstaunliche Parallelen zur Situation im heutigen Irak aufweist.
Wer den Namen "Bloomsbury" hört, sieht elegische Bilder der Schwestern Virginia und Vanessa Woolf vor sich, denkt an literarische Avantgarde, erotisch libertäre Boheme und Freigeist.

Doch ebenso bedeutsam wie das Ästhetische war für jene Gruppe englischer Künstler und Intellektueller, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vielschichtig miteinander verbunden war und sich nach einem Londoner Stadtteil "Bloomsbury" nannte, das Politische – das pazifistische Engagement, die Kritik am Viktorianismus, am Kolonialismus und seinem Erbe.

So gehörten zum Bloomsbury-Kreis eine Reihe von Historikern und politischen Publizisten, unter ihnen neben Leonard Woolf vor allem Lytton Strachey. Er lebte von 1880 bis 1930. Sein bekanntestes Werk hat den Titel "Eminent Victorians".

Es versammelt vier biographisch-historische Porträts berühmter Viktorianer, in denen Strachey exemplarisch die politischen Irrwege des englischen Imperiums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert verfolgt. Eines der vier Porträts ist General Gordon gewidmet, einer Legende des Scheiterns englischer Kolonial- und Außenpolitik.

Gordon, ein schmaler, kleiner, fanatisch religiöser und fanatisch asketischer Mann, der sein Leben damit zubrachte, als hoher Kolonialbeamte rastlos von einem Land ins nächste zu ziehen – von China nach Ägypten, von Indien nach Syrien und zuletzt in den Sudan –, scheute kein Mittel, die von ihm verwalteten Gebiete nach englischem Vorbild zu reformieren. Im Mittelpunkt seines verbissenen Feldzugs stand die Bekämpfung des Sklavenhandels.

Als Gordon 1883 als Generalgouverneur in den Sudan geschickt wurde, traf er dort auf eine politisch erhitzte, instabile Situation. Ein islamisch-fundamentalistischer Prediger ist dabei, die Macht an sich zu reißen und einen Gottesstaat zu errichten. Gordons rabiate Versuche, dies zu verhindern, und dem Land ein englisches Rechts-, Steuer- und politisches System aufzuzwingen, führen nicht zur Befriedung, sondern zur Eskalierung der Lage.

Hier liegt die Parallele dieses ebenso analytischen wie subtil sarkastischen Essays zur aktuellen Weltpolitik im Jahre 2005. Was Lytton Strachey über General Gordons Sudan-Abenteuer berichtet, ließe sich auch auf die amerikanische Irak-Politik anwenden. Sein Essay wurde 1918 zum ersten Mal veröffentlicht - und er liest sich heute, 90 Jahre später, wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit.

Lytton Strachey: General Gordons Ende
Biographischer Essay. Zuerst erschienen 1918.
Aus dem Englischen von Hans Reisiger.
Mit einem Nachwort von Reinhard Blomert.
Berenberg Verlag. Berlin 2005. 144 S., 19 Euro